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Kassandra im Meer

Die Riffe der Erde sind gefährdet, so berichten Experten in der aktuellen Ausgabe von "Science". Auf der Internationalen Korallentagung in Fort Lauderdale berichteten Wissenschaftler über Frühwarnsysteme, die kommende Korallenbleichen ankündigen. Gegenmittel gegen das Massensterben gibt es leider nicht.

Von Guido Meyer |
    Ein Drittel aller Riffe weltweit sind in ihrer Existenz bedroht. Um das australische Great Barrier Reef ist es besonders schlecht bestellt: Selbst mit einem drastischen Rückgang der Kohlendioxid-Emissionen Australiens sei das Korallenriff vor der Küste Queensland wohl kaum noch zu retten und bis 2050 wahrscheinlich abgestorben - so die Warnung australischer Wissenschaftler, unter ihnen Ove Hough-Guldberg vom Zentrum für marine Studien an der Universität von Queensland in St. Lucia, der aber auch die Bemühungen der australischen Regierung lobt.

    "Australien hat gerade erst in ein Ozean-Überwachungssystem investiert, dass die 16 Millionen Quadratkilometer australische Hoheitsgewässer überwacht. Das System besteht aus einem Netzwerk von Bojen und Überwachungsstationen, die ihre Messdaten fast in Echtzeit per Satellit überspielen. Sie funktionieren automatisch und messen Temperatur, Licht, Salzgehalt und andere Parameter, auf die sie vorher programmiert wurden. Dank ihrer Messergebnisse erfahren wir sofort, wenn irgendwo Korallen anfangen zu bleichen."

    Bereits seit den 90er Jahren überwacht ein Netz von Satelliten besonders gefährdete Korallenbänke weltweit - sogenannte Hot Spots - und gibt Alarm, wenn die Temperatur irgendwo steigt - ein Indikator für einen bevorstehenden Bleichprozess. Doch so wie Australien ergänzen derzeit auch die USA die Überwachung der Riffe aus dem All mit irdischen Messmethoden.

    "”Wir wollen den nächsten Schritt gehen und die Riffe in situ untersuchen. Die Satelliten beobachten Gebiete von etwa 25 mal 25 Kilometer Ausdehnung. Unsere Instrumente vergleichen diese Ergebnisse mit den Werten vor Ort. Dabei bedienen wir uns nicht nur Messungen der Ozeantemperatur, sondern zeichnen zum Beispiel auch die Windstärke auf, die Sonneneinstrahlungen und den Kohlendioxidgehalt der Luft und des Wassers.""

    James Hendee, der für die amerikanische Behörde für Ozeanografie und Atmosphärenforschung Noaa das Projekt Icon betreut, das Integrierte Korallen-Beobachtungsnetzwerk. Icon hat nachgewiesen, dass der ansteigende CO2-Gehalt in der Luft - neben dem unmittelbaren Effekt steigender Temperaturen - auch indirekte Folgen hat, die die Riffe bedrohen. So nehmen die Winde ab, wenn es wärmer wird, mit der Folge, dass das Wasser in den Ozeanen weniger durchgewirbelt wird – sowohl in der Tiefe wie an der Oberfläche. Hendee:

    "”Während windstiller Phasen bilden sich keine Wellen an der Oberfläche. Somit kann die Sonne ungebrochen tiefer in die Korallenkolonien scheinen. Dabei nimmt der Anteil im Wasser gelöster organischer Moleküle ab. In ruhigem Wasser sinken sie zu Boden. Normalerweise dienen sie den Korallen aber als eine Art Sonnenschutz, der ihnen nun fehlt. Und so prallt das UV-Licht der Sonne noch direkter auf die Korallenbänke.""

    Vier dieser Icon-Beobachtungsstationen gibt es derzeit: vor den Bahamas, den Jungferninseln, vor Puerto Rico und vor Jamaika. Die Bojen sind auf dem Meeresboden verankert und reichen bis zur Wasseroberfläche. Unter dem Meeresspiegel untersuchen sie die Eigenschaften des Wassers, an der Oberfläche vermessen sie Wind und Luft. Hendee:

    "”Das System untersucht alle aufgenommenen Daten auf ein Muster hin, das ein bevorstehendes Bleichen ankündigt: hohe Sonneneinstrahlung, wenig Wind, hohe Ozeantemperatur und ein hoher Kohlendioxidgehalt. Wir kombinieren diese Daten im Computer und können so einen Bleichprozess vorhersagen. Wir schicken dann einen Wissenschaftler vor Ort, der unsere Prognose überprüft.""

    Wenngleich die meisten Vorhersagen eintreffen, bleibt das Frustrierende für die Meeresbiologen, dass sie nicht mehr tun können als prognostizieren, diagnostizieren – und dem Riff beim Sterben zusehen, denn ein sofort wirkendes Gegenmittel gegen das Korallensterben gibt es nicht.