Die Jawaharl-Nehru-University, kurz JNU im Süden von Delhi. Überall auf dem Gelände finden sich riesige Plakate und Banner, die Justice for Najeeb fordern, Gerechtigkeit für Najeeb. Seit über 80 Tagen wird der muslimische Student der Universität bereits vermisst. Studierendenvertreter vermuten, dass eine rechte Studierendengruppe für das Verschwinden verantwortlich ist. Die amtierende Regierung unterstütze diese Gruppe, sagt Sai Balaji, Masterstudent an der JNU und Mitglied einer landesweiten, linken Studierendenorganisation.
"Sie können nicht tolerieren, das ein Dalit, ein Adivasi oder ein Moslem, also Menschen, die außerhalb des Kastensystems stehen, an der Uni sind. Dass sie auf einer Stufe mit der Brahmanen-Kaste stehen und deren Privilegien infrage stellen und als Studierende die Gesellschaft verändern wollen."
Vor gut zwei Jahren wurde Premierminister Narendra Modi mit großer Mehrheit ins Amt gewählt – als Kandidat einer religionsnationalistischen Partei, der BJP. Vor wenigen Monaten erst machte der Selbstmord eines anderen Studenten Schlagzeilen, der Dalit war. Balaji lehnt das Wort Selbstmord ab und spricht lieber von institutionellem Mord, denn der Student sei von seiner Hochschulverwaltung systematisch gemobbt worden, man habe ihm Geldzuweisungen aus seinem Stipendium gestrichen, den Zugang zu den Studierendenunterkünften verwehrt. Vom vermissten Studenten der JNU fehlt bislang jede Spur.
Frauen sind immer noch benachteiligt
"Das ist Indien im 21. Jahrhundert, ein Land, das immer noch an den Werten des Kastensystems, an Hierarchie und patriarchalen Strukturen festhält. Wenn wir das Kastensystem nicht endlich loswerden wird Indien keines seiner Probleme lösen. Unser Bildungssystem schließt Menschen aus, anstatt sie zu integrieren."
Unabhängig von Kastenzugehörigkeit oder Religion: Frauen sind insgesamt benachteiligt im indischen Bildungssystem.
Churchgate ein Stadtteil von Mumbai im Süden der Finanzmetropole, hier befindet sich eine Hochschule nur für Frauen.
Einige Frauen sitzen im Kreis auf dem Boden im Innenhof der SNDT Women´s University. Bildung für Frauen ist immer noch nicht selbstverständlich in Indien, ebenso wenig, dass der Unterricht in solch geschützter Atmosphäre stattfindet, ohne Männer.
"Es gibt Belästigung, Mobbing und so weiter, aber hier ist das kein Problem, hier gibt es so etwas nicht."
Vibhuti Patel ist Leiterin des wirtschaftswissenschaftlichen Instituts an der SNDT und forscht über die Diskriminierung von Frauen in der indischen Gesellschaft.
"Es gibt ein Sprichwort, eine Tochter großzuziehen, in sie zu investieren, das ist wie die Pflanze des Nachbarn zu gießen. Eine Bauernfamilie, die ansonsten sehr großzügig sein kann würde ihrer Tochter nicht die Schule bezahlen. Deswegen fordern wir, dass der Staat das übernimmt. Selbst wenn sie das bezahlen könnten, werden sie es nicht tun, weil die Tochter als der Besitz von jemand anderem gilt."
Mehr Bildung durch Online-Kurse?
Zurück an der Jawaharl-Nehru-University in Delhi, im Büro von Jagadesh Kumar, Vizekanzler der Uni und damit eine Chef der Verwaltung.
"Wir müssen rund 300 Millionen Menschen ausbilden. Von diesen 300 Millionen erreichen gerade einmal 30 Millionen die Hochschule. Wenn jeder dieser 300 Millionen an die Uni will, ist das kaum zu schaffen. Wir müssen also neue Formen der Bildung erschließen, die indische Regierung will deswegen MOOCs, also Onlinekurse fördern."
Kumar selbst ist jedoch unter den Studierenden und auch unter den Lehrenden der als links geltenden JNU umstritten, er soll Modis Regierungspartei nahestehen. Für Sai Balaji, den Studenten an der JNU, ist die Regierung selbst an echter Bildung gar nicht interessiert.
"Die wollen nur Angestellte, keine Wissenschaftler. Sie wollen lediglich Roboter."