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Kastenprotest in Indien
Wenn eine Gruppe gesellschaftlich herabgesetzt werden will

Eigentlich ist das Kastenwesen in Indien abgeschafft. Trotzdem verlangt die Gruppe der Jats, dass der Staat sie in eine der niederen Kasten herabstuft. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, gingen sie auf die Straße. Es kam zu Ausschreitungen. Seit Freitag wurden 19 Menschen getötet, rund 200 wurden verletzt.

Von Jürgen Webermann |
    Angehörige der Jat blockieren eine Autobahn in Panchkula. Es sind Menschen in aufgeregter Diskussion zu sehen.
    Angehörige der Jat blockieren eine Autobahn in Panchkula. (STRDEL / AFP)
    Das Wasser fließt wieder im Munak-Kanal, nördlich von Neu-Delhi. Entlastung für die indische Hauptstadt. Und etwas Aufatmen. Die Stadtregierung hatte die 20 Millionen Einwohner schon vor einer schweren Wasserkrise gewarnt. Und viele Stadtteile haben tatsächlich seit Samstag kein Wasser mehr erhalten. Demonstranten hatten den Munak-Kanal beschädigt, der für die Versorgung der indischen Hauptstadt unverzichtbar ist. Sogar das Betonbett ist an einigen Stellen aufgerissen.
    "Die Armee hat die Kontrolle über den Kanal erlangt. Es wird dauern, bis er repariert ist. Wir müssen also improvisieren. In wenigen Stunden wird das Wasser Delhi erreichen, aber es muss erst aufbereitet werden. Wir hoffen, am Abend einige Haushalte versorgen zu können. Die Krise wird wohl noch andauern", sagt der Chef der Wasserbehörde, Kapil Mishra. Die Schulen in der Hauptstadt blieben heute geschlossen. Die Behörden rationierten die Wasserversorgung. Notfallpläne für Krankenhäuser wurden aus den Schubladen geholt.
    "Die Lage auf den Straßen ist übel"
    Der Grund für die Krise liegt im Bundesstaat Haryana, der an Neu-Delhi grenzt. Dort haben tausende Randalierer die wichtigsten Straßen blockiert, Einkaufszentren, Autos, Geschäfte und Häuser angezündet, darunter sogar die Residenz des Finanzministers von Haryana. Die Polizei soll aus einigen Orten geflohen sein, dafür schritt die Armee ein. Mindestens 15 Menschen starben bislang. Immer noch gilt vielerorts eine Ausgangssperre.
    "Die Lage auf den Straßen ist übel", sagt ein Einwohner in der Stadt Sonipat: "Busse sind stecken geblieben, die Kinder weinen. Die Leute benehmen sich völlig daneben. Überall sind Straßenblockaden. Die Regierung sollte sie wirklich hart bestrafen. Das ist inakzeptabel."
    Oberstes Gericht lehnte die Forderung nach Herabstufung bereits ab
    Hintergrund der Randale ist ein Streit um das Kastenwesen. Die Gruppe der Jats, die in Haryana etwa 25 Prozent der Bevölkerung stellt und eine wichtige Rolle in der Landwirtschaft spielt, fordert von der Regierung, künftig in die Gruppe der niederen, benachteiligten Kasten eingruppiert zu werden. Dann würden die Jats für den Staatsdienst eine Job-Quote zugesprochen bekommen.
    In Indien ist das Kastenwesen zwar offiziell abgeschafft. Weil aber die niedrigsten Schichten derart diskriminiert werden, gibt es für sie eine Quote – für Studienplätze und auch für Arbeitsplätze in der Verwaltung. Die Jats gehören eigentlich zu den höheren Kasten. Auch ökonomisch waren sie bisher nicht benachteiligt. Das indische Oberste Gericht Indiens hatte ihren Forderungen zuletzt im vergangenen Jahr eine Absage erteilt.
    Sozialer Druck ist groß
    Die Ausschreitungen zeigen jedoch, wie groß der soziale Druck in Indien ist. Viele junge Menschen wandern ab in die Städte. Sie glauben, dass sie dort eine bessere Perspektive haben. Aber die Konkurrenz ist hart. Indien müsste pro Jahr bis zu 15 Millionen Jobs schaffen, jeder zweite Mensch ist jünger als 25 Jahre. Deshalb kommt es immer wieder zu Protesten einzelner Gruppen, die für sich Quoten und bessere Chancen fordern.
    Indiens Regierung will den Jats entgegen kommen. Aber die Straßenblockaden gingen heute weiter. Darunter leidet auch Neu-Delhi - nicht nur, weil das Wasser übers Wochenende nicht mehr floss. Auch die Preise für Gemüse oder Milch könnten jetzt deutlich steigen, weil viele Güter aus Haryana stammen und nicht mehr geliefert werden können. Die Proteste der Jats – sie dürften auch deshalb weiter für große Unruhe sorgen.