Die Schlange vor dem Shop der Unabhängigkeitsbewegung "Assemblea Nacional Catalana" ist lang. Dutzende T-Shirts in rot und gelb gehen über den Tresen, Helfer drücken den Käufern Zettel mit Stellplänen und Gebrauchsanweisungen in die Hand. Um Punkt 17.14 sollen sich Hunderttausende an den Hauptverkehrsadern Barcelonas in Form eines gigantischen Siegeszeichens in den katalanischen Nationalfarben aufstellen, zu einem V wie "Victoria", "Sieg" oder wie "Votar", Wählen.
Eine halbe Million Menschen hat sich für das Straßenmosaik angemeldet – das sind mehr Anmeldungen als im letzten Jahr die Menschenkette hatte, die sich einmal quer durchs Land zog, frohlocken die Organisatoren. Doch jenseits der Aktivistenkreise macht sich nach über zwei Jahren Dauermobilisierung Ernüchterung breit:
"Das ist ein absurdes Spiel, mit dem sie die Leute in die Irre führen. Natürlich hätte ich gern ein Referendum. Aber über was? Um was für Vorschläge aus dem Bereich Bildung, Gesundheit, Soziales soll es denn gehen? Darüber spricht keiner, das ist doch eine Farce."
"Es gibt eine große Volksbewegung, der es wirklich um etwas geht: Ihr Wunsch nach einem Referendum, nach einem unabhängigen Staat ist echt. Aber sie wird von den traditionellen Parteien benutzt, die doch bloß ihre Macht erhalten wollen. Aber das dient weder der Unabhängigkeitsbewegung, noch ist es verantwortungsvoll. Denn es spitzt die Konfrontation zu. Man könnte das Thema sehr viel diplomatischer handhaben, so wie wir es immer gemacht haben."
Sagt diese Frau und ergänzt:
"Wenn es ein Referendum gibt, dann höchstens ein 'falsches Referendum', ein 'Spiel-Referendum' ohne irgendwelche Relevanz – quasi, um die Leute nicht völlig zu verärgern."
Referendum ohne wirkliche Erfolgsaussichten
Tatsächlich ist das geplante Referendum schon jetzt eine Befragung "light": Durchgeführt werden soll es auf der Grundlage eines noch zu verabschiedenden katalanischen Gesetzes, eine bindende Wirkung hätte es in keinem Fall. Doch auch in der abgespeckten Variante, quasi als bloßes Stimmungsbarometer, bleibt seine Umsetzung fraglich: Das katalanische Gesetz wird mit großer Wahrscheinlichkeit vom spanischen Verfassungsgericht angefochten werden. Und Ministerpräsident Artur Mas ist – im Gegensatz zu seinem linksrepublikanischen Koalitionspartner Oriol Junqueras – von Haus aus keiner, der sich gegen staatsrechtliche Ordnungen auflehnt.
Vor zwei Jahren hat sich der Chef der konservativ-liberalen CiU an die Spitze der Unabhängigkeitsbewegung gestellt, mehr aus Angst, den politischen Zug zu verpassen denn aus echter Überzeugung. Seitdem laviert er zwischen den Fronten: Gegenüber Madrid signalisiert er Dialogbereitschaft und Gesetzestreue, in Katalonien gibt er sich als Verfechter einer Befragung.
"Wir sind vorbereitet und werden wählen, um über unsere Zukunft zu entscheiden. Wir sind – wie es aus Madrid immer heißt – dem Gesetz und der Dialogbereitschaft verpflichtet, aber eben auch der Demokratie."
Gewählt wird werden – nur was, das lässt Mas offen: ganz bewusst. Denn sind die Mikros aus, geben inzwischen auch ranghohe Politiker zu, dass das wahrscheinlichste Szenario Neuwahlen sind. Der große Gewinner wäre dabei Mas Koalitionspartner Ezquerra Republicana, die Partei tritt seit jeher für eine Loslösung von Spanien ein und ist seit den Europawahlen stärkste Kraft in Katalonien. Ob deren starker Mann Oriol Junqueres dann seinen Worten Taten folgen lässt und das Land im Extremfall mit einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung zur "Freien katalanischen Republik" ausruft, bleibt Spekulation.
Für Convergència i Unió allerdings hätten vorgezogenen Neuwahlen fatale Folgen. Nach einer aktuellen Umfrage verlöre die Partei, die nebenbei noch mit millionenschweren Steuer- und Finanzskandalen der Familie des Parteigründers Jordi Pujol zu kämpfen hat, satte elf Prozent ihrer Wähler, käme lediglich auf 20 Prozent. Für die politische Formation, die Katalonien über zwei Jahrzehnte am Stück regierte, wäre das ein Fiasko - für Artur Mas, den Unabhängigkeitskämpfer wider Willen, ein Vermächtnis jenseits seiner schlimmsten Befürchtungen.