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Katalonien
"Dieser Konflikt wird am 21. Dezember nicht beendet sein"

Im Katalonien-Konflikt wird es nach Ansicht des Sozialwissenschaftlichers Walther Bernecker vor den Neuwahlen kurz vor Weihnachten keinen Dialog mehr zwischen der Regionalregierung und Madrid geben. Erst dann könnte mittelfristig eine Beruhigung eintreten - falls nicht die Separatisten gewännen, sagte Bernecker im Dlf.

Walther Bernecker im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Barcelona
    Die Fahnen von Spanien und der Region Katalonien wehen am 30.10.2017 auf dem Gebäude der katalanischen Regierung (Palau de la Generalitat) in Barcelona. (picture alliance/dpa/Foto: Andrej Sokolow)
    Mario Dobovisek: Rebellion wirft die spanische Regierung in Madrid dem früheren katalanischen Regierungschef Puigdemont vor, Aufruhr und Veruntreuung öffentlicher Mittel noch obendrauf. Jetzt könnte er in Brüssel nach seiner Flucht verhaftet werden, denn Spanien hat einen Europäischen Haftbefehl ausgestellt und seine Auslieferung beantragt. Aber erst mal ist die belgische Justiz am Zug. Sie muss entscheiden, ob sie dem Antrag stattgibt oder nicht. Am Telefon begrüße ich Walther Bernecker, emeritierter Professor für Auslandswissenschaften an der Universität Erlangen-Nürnberg, und immer wieder hat er sich intensiv mit Spaniens Geschichte und Politik auseinandergesetzt. Guten Tag, Herr Bernecker!
    Walther Bernecker: Guten Tag!
    Dobovisek: Dialog als einziger Ausweg aus der Krise, sagt Puigdemont. Gibt es denn noch eine Chance auf einen Dialog?
    Bernecker: Das Erstaunliche ist, dass Puigdemont diese Forderung erhebt, nachdem er selbst sich dem Dialog sehr lange und sehr oft verweigert hat. Das Wort Dialog führen die spanischen und katalanischen Politiker nunmehr seit weit über einem Jahr im Mund, aber keiner ist bereit, einen ernsthaften Dialog zu beginnen. Das vorneweg. Wenn wir also in die Vergangenheit zurückschauen, ist der fehlende Dialog sicherlich auf beide Seiten verantwortlich zu verteilen. Ob es heute noch eine Chance zum Dialog gibt, das ist zweifelhaft. Es haben die Gerichte gesprochen, es hat die Politik interveniert. Der Dialog ist deswegen so erschwert worden, weil die Ziele, die mit diesem Dialog erreicht werden sollen, inzwischen ein Stadium erreicht haben, das praktisch inkompatibel von beiden Seiten her ist. Vielleicht wäre ein Dialog vor einem Jahr, vor anderthalb Jahren möglich und auch sehr sinnvoll gewesen, aber inzwischen sind die Fronten so verhärtet – Puigdemont will nur über die Unabhängigkeit sprechen, und Rajoy über alles Mögliche, nur nicht über die Unabhängigkeit, dass nicht klar ersichtlich ist, was ein Dialog heute noch erbringen würde. Der ganze Prozess ist inzwischen in Händen der Justiz und wird vorerst auch dort bleiben. Am 21. Dezember dann ist wieder die Politik am Zuge, aber dazwischen wird es sicherlich keinen sinnvollen Dialog zwischen beiden Seiten geben.
    "Der spanische König spielt eine sekundäre Rolle"
    Dobovisek: Beide Seiten bleiben hart. Auch der spanische König vermochte es nicht, Brücken zu bauen. Ein Fehler?
    Bernecker: Der spanische König spielt eine sekundäre Rolle, aber eine trotzdem wichtige. Die Rede, die er gehalten hat vor einigen Wochen, konnte nicht wesentlich anders ausfallen, denn er steht für die Einheit Spaniens. So steht es in der Verfassung. Die Krone repräsentiert die Einheit Spaniens. Ihm blieb gar nichts anderes übrig, als gegen die Sezessionsversuche vorzugehen. Sicher, es ist kritisiert worden, und das ist wahrscheinlich eine richtige Kritik, dass er zugleich noch einmal die Hand hätte ausstrecken sollen zu eben diesem Dialog. Das hat er in dieser Rede nicht getan, aber der Versuch, beide Seiten an einen Tisch zu bringen, war ja zuvor schon wiederholt gescheitert.
    Dobovisek: Ein Dialog ist also vor dem 21. Dezember, wie Sie sagen, eher unwahrscheinlich. Zeichnen wir einmal gemeinsam das Bild von Puigdemont in Handschellen, von einem Wahlkampf aus dem Gefängnis heraus oder zumindest aus dem Exil. Könnte Spaniens harte Haltung im Katalonienkonflikt mit Bildern wie diesen für Madrid am Ende nach hinten losgehen?
    Bernecker: Natürlich. Was die öffentliche Meinung betrifft, ist das ja zum Teil bereits geschehen. Die Bilder vom 1. Oktober, bei diesem illegalen Referendum, sind ja sehr negativ gedeutet worden. Die Polizei hat eingegriffen. Nun war das alles legal, war gerechtfertigt, kann man auch erklären. Trotzdem ist die Macht der Bilder natürlich sehr, sehr stark, und sie sind um die ganze Welt gegangen, und der spanische Staat wurde dargestellt als ein Unterdrückerstaat, der gegen die freie Meinungsäußerung brutal und gewalttätig vorgeht.
    Dobovisek: Sehen Sie das anders, Herr Bernecker?
    Bernecker: Ja, das sehe ich ganz anders, denn im Wesentlichen hat die Polizei reagiert. Sie hatte eine ganz klare Anweisung, zurückhaltend zu sein, aber wenn Wahllokale abgeriegelt werden auf Befehl der Regierung, und die große Masse der Bevölkerung stürmt dagegen an, dann hat diese Polizei natürlich sowohl ihrem Auftrag gemäß wie auch, sich selbst zu verteidigen, entsprechend reagiert, und dann sind diese unschönen Bilder entstanden. Aber sie sind eben auch provoziert worden, und das darf man dabei nicht vergessen. Von sich aus hat die Polizei nicht geprügelt und auf die Demonstranten eingeschlagen, sondern das war in ganz bestimmten Situationen.
    Dobovisek: 100 Wissenschaftler und Politiker haben Jean-Claude Juncker und Donald Tusk einen offenen Brief geschrieben, in dem sie die EU-Kommission und den Rat zum Handeln auffordern. Aus ihrer Sicht habe Spanien mit der Gewalt gegen die Wähler beim Referendum gegen Grundrechte und auch gegen EU-Recht damit verstoßen. Sie teilen offensichtlich diese Argumentation nicht. Aber welche Rolle muss an dieser Stelle die EU-Kommission, die EU insgesamt spielen? Weil offensichtlich kommt Spanien mit Katalonien aus dieser Sackgasse nicht heraus.
    "Regierung sagt, das ist eine innerspanische Angelegenheit"
    Bernecker: Das Problem ist, dass die spanische Regierung bisher eine mögliche Vermittlung abgelehnt hat, um auf diese Weise nicht die Katalanen aufzuwerten und sie auf die gleiche Ebene wie die spanische Regierung zu stellen. Wir kennen das Problem ja im Falle von zwei Kriegsparteien, wo die eine gar keine richtige Kriegspartei ist, sondern eine aufständische Partei. Da ist dann auch eine Vermittlung sehr schwer. Und so sieht das auch hier die spanische Regierung. Sie sagt, das ist eine innerspanische Angelegenheit, die haben wir innerspanisch zu lösen, und wir können sie auch lösen und werden sie lösen. Eine Vermittlung geht immer nur auf der gleichen Ebene, und die Katalanen stehen in diesem Fall juristisch nicht auf der gleichen Ebene, sondern sie haben gegen die Verfassung und die Gesetze verstoßen.
    Dobovisek: Aber offensichtlich ist eine Lösung ja nicht in Sicht.
    Bernecker: Das ist richtig. Sie ist nicht in Sicht. Sie könnte vielleicht durch die Wahlen vom 21. Dezember etwas näher kommen. Falls aber die Separatisten gewinnen sollten, dann ist ein langer Konflikt vorauszusehen. Falls doch die andere Position in Katalonien gewinnen sollte, könnte mittelfristig eine Beruhigung zumindest eintreten. Aber unabhängig davon, ob jetzt die Europäer intervenieren im Sinne einer Vermittlung oder ob sie das nicht tun, unabhängig auch davon, wie diese Wahlen ausgehen, dieser Konflikt wird am 21. Dezember ganz sicher nicht beendet sein, sondern er wird sich fortziehen noch sehr lange Zeit. Und die Kunst wird dann darin bestehen, die Gemüter so sehr zu beruhigen, dass es dann tatsächlich mittelfristig zu einem Gespräch kommt, zu Verhandlungen kommt, zu einer Wiederannäherung kommt auf vielen kleinen Gebieten, die möglicherweise dann eine Art Versöhnung herbeiführen könnte. Aber das ist im Augenblick nicht abzusehen.
    Dobovisek: Sie haben sich intensiv, Herr Bernecker, mit der spanischen Geschichte befasst, mit Anarchie und Bürgerkrieg. Was werden wir einmal in den Geschichtsbüchern über den Herbst 2017 lesen können?
    Bernecker: Wenn die Situation wieder zurückgeführt werden kann, dann wird das als eine Phase dargestellt werden, wie wir sie gerade im Verhältnis Katalonien und Spanien schon wiederholt hatten. Wir hatten 1640 bereits einen Sezessionsversuch, wir hatten die Intervention Kastiliens in Katalonien 1700 bis 1714. Wir hatten 1934 einen Abspaltungsversuch. Und genauso wird dann dieses Jahr 2017 in den Geschichtsbüchern dargestellt werden, als Ausdruck des Wunsches der Katalanen, eine Sonderbehandlung im spanischen Staatsverbund zu haben. Und wenn sie die nicht bekommen, dann würden sie gegen diesen Staat rebellieren. Falls die Situation anders ausgeht und es tatsächlich mittelfristig zu einer Verstärkung der Unabhängigkeitsbewegung kommt, wird das ganze Jahr 2017 als ein Krisenjahr dargestellt werden, in dem beide Seiten sich immer weiter entfremdeten und nicht die Möglichkeit gegeben war, aufeinander zuzugehen, und deswegen die endgültige Sezession herbeigeführt wurde.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.