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Katalonien
Eine Bürgermeisterin sitzt zwischen allen Stühlen

Wenn es um die Frage einer Unabhängigkeit Kataloniens geht, dann gibt es einen tiefen Graben zwischen der Zentralregierung in Madrid und der Regionalregierung in Barcelona. Wer auf Vermittlung und Ausgleich setzt, der hat es momentan schwer.

Von Hans-Günter Kellner |
    Protestmarsch in Barcelona am 20.09.2017 für ein Referendum zur Unabhängikeit Kataloniens. Demonstranten tragen eine symbolische Wahlurne mit der Aufschrift "I want to be free"
    Repräsentativen Umfragen zufolge wären 70 Prozent der Katalanen für einen Mittelweg: Für die Stärkung der Autonomie nach einer Verfassungsreform (AFP/Pau Barrena)
    Carmen, Laura, José und Manuel sitzen auf einer Bank auf dem Rathausplatz von Hospitalet del Llobregat. Das Thema Unabhängigkeit vermeiden die vier Rentner normalerweise. Sich darüber aufzuregen lohne sich nicht, meint Laura. Sie nehmen die Situation mit Humor:
    Sie seien anders, denken anders als ihre Männer, sagen die beiden Frauen. Mit Blick auf ihren Mann José sagt Laura: Wenn es hart kommt, verlässt er eben das Land. "Ich gehe dann auf die andere Seite des Ebro-Stroms", fällt ihr José ins Wort.
    "Er und José sind aus anderen Regionen Spaniens nach Katalonien gezogen", erklärt Manuel. Ihre Frauen stammten hingegen aus echten katalanischen Familien. Daher seien sie für die Unabhängigkeit und kümmerten sie sich eben mehr um ihr Land.
    Die Rentner Jose, Manuel, Carmen und Laura sitzen auf einer  Bank auf dem Rathausplatz von Hospitalet del Llobregat am 20.09.2017
    Die Rentner Jose, Manuel, Carmen und Laura diskutieren das Thema "Unabhängigkeit" mit Humor (Deutschlandradio/Kellner) (Deutschlandradio / Hans-Günter Kellner)
    So viel Ironie ist selten. Nuria Marín Martínez kennt eher eine hitzig geführte Unabhängigkeitsdebatte. Seit 2008 ist die sozialistische Politikerin die Bürgermeisterin von Hospitalet del Llobregat. Sie sieht die Gefahr einer Spaltung, nicht nur zwischen Spanien und Katalonien, sondern auch in ihrer Stadt:
    "Dies ist die zweitgrößte Stadt Kataloniens, eine Arbeiterstadt. In der Geschichte sind viele Menschen aus Spanien zu uns gekommen, jetzt kommen Menschen aus anderen Ländern. Der soziale Zusammenhalt ist uns wichtig. Diese Menschen, deren Kinder und Enkel hier geboren sind, lieben Katalonien. Das Katalonien des 21. Jahrhunderts. Sie wollen kein Katalonien, das mit ihren Familien in anderen Teilen Spaniens bricht, mit ihren Geschwistern und mit ihrer Herkunft."
    Viel schwarz und weiß
    Doch sie erlebt auch, wie die gesellschaftliche Spannung steigt. Dem katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont hat sie jüngst mitgeteilt, er solle die Bürgermeister "in Ruhe lassen":
    "Er hatte zuvor einen Brief an alle Bürgermeister verschickt. Daran gab er uns eine Frist von 48 Stunden, uns für das Referendum zur Verfügung zu stellen. Und er rief die Menschen dazu auf, uns Bürgermeister unter Druck zu setzen, dass wir kommunale Räume für das Referendum bereitstellen sollten."
    Die Bürgermeisterin folgt hingegen dem Urteil des Verfassungsgerichts, das das geplante Referendum untersagt hat. Denn die Beteiligung an einem verfassungswidrigen Referendum könne nicht nur für sie, die Bürgermeisterin, sondern auch für die Beamten der Stadt strafrechtliche Konsequenzen haben.
    Viel Druck, wenig Dialog
    Dabei steht Nuria Martínez auf keiner der beiden Seiten. Sie wirft der spanischen Regierung vor, auf den Protest lediglich mit Polizei und Justiz zu antworten:
    "Die Situation in Katalonien löst man nicht, in dem man die Leute vor die Richter stellt oder Bürgermeister bedrängt. Die Lösung muss eine politische sein. Dafür muss man erst mal miteinander sprechen. Wir haben hingegen zwei Regierungen, die ihre einseitige Vorstellung von Katalonien über alles stellen. Diese Konfrontation überträgt sich auf die Menschen auf der Straße. Sie machen sich Sorgen und werden immer nervöser."
    Dabei wären repräsentativen Umfragen zufolge 70 Prozent der Katalanen für einen Mittelweg: Für die Stärkung der Autonomie nach einer Verfassungsreform. Doch eine solche Position findet nur noch schwer Gehör. Zumal die Polarisierung zwischen Madrid und Barcelona angesichts der Verhaftungen von nationalistischen Politikern immer stärker wird:
    "Im Augenblick gibt es keine Grauzonen. Es gibt nur Schwarz oder Weiß, Gut oder Böse, Unabhängigkeit oder Faschismus. Auch in den Medien herrschen die radikalen Positionen vor, differenziertere Haltungen scheinen nicht zu interessieren. Dabei will die große Mehrheit weder einen Bruch noch den gegenwärtigen Stillstand. Die Menschen halten Mariano Rajoy für sehr unsensibel und verlangen nach einer Lösung. Mir fällt dafür nichts Besseres ein, als miteinander zu diskutieren und nach Kompromissen zu suchen."
    Vor dem Rathaus sprechen Carmen, Laura, José und Manuel weiter halb im Scherz, halb im Ernst über den Streit. Manuel hofft, dass es "am Ende nicht so schlimm kommen wird", sagt er wörtlich, macht sich aber auch Sorgen:
    "Es gibt zwar Familien, da sprechen die Leute nicht mehr miteinander. Aber grundsätzlich glaube ich nicht, dass es zur Konfrontation kommt. Die Leute sind friedlich. Aber gut - wenn die Leute jetzt wieder auf die Straße gehen, wird es kompliziert."