"Der Weg Europas kann nicht sein, dass wir uns weiter in Einzelteile zerlegen", betonte der CDU-Europapolitiker David McAllister. Wenn die katalanische Regionalregierung die EU um Vermittlung bitte, tue sie das aber mit der Zielrichtung der Unabhängigkeit. Eine Vermittlung durch die EU-Kommission könnte daher ein Präzedenzfall werden für andere Unabhängigkeitsbestrebungen etwa in Italien oder Belgien, die dann ebenfalls eine Vermittlerrolle der EU erwarteten.
Die Rede des katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont bezeichnete McAllister als unverständlich. Puigdemont habe die Unabhängigkeit Kataloniens in Aussicht gestellt, aber die Abspaltung gleichzeitig wieder auf Eis gelegt. Es sei zu spüren, dass immer mehr Katalanen überzeugt seien, dass die Regionalregierung sich "verrannt" habe, so McAllister.
Das Interview im Wortlaut:
Sarah Zerback: Im Recht fühlt er sich schon. Darauf pochen möchte er aber nicht. Das ist die Botschaft, die der Regierungschef von Katalonien am Abend ausgesendet hat. Statt weiter zu eskalieren – und das hätte die Erklärung der Unabhängigkeit in jedem Fall bewirkt, so viel steht fest -, hat Carles Puigdemont die Pausetaste gedrückt. Er will reden, mit der Zentralregierung in Madrid über die Abspaltung verhandeln. Die Chancen dafür stehen aber denkbar schlecht und so ist die Krise auch nur verschoben und längst nicht abgewendet.
Kataloniens Regionalchef will die Abspaltung irgendwann, aber vorher will er reden. Und das möchten wir jetzt auch mit dem CDU-Politiker David McAllister. Er ist der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament. Guten Morgen!
David McAllister: Guten Morgen aus Brüssel.
Zerback: Hallo! Guten Morgen nach Brüssel aus Köln! – Klare Botschaften, die klingen ja anders. Ist das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen für Europa, was wir da gestern aus Barcelona gehört haben?
McAllister: Wie viele andere habe ich gestern Abend die Rede von Herrn Puigdemont aufmerksam verfolgt. Besonders interessant fand ich, dass nach der Rede die Kommentatoren und Experten versucht haben, die Worte des Ministerpräsidenten zu entschlüsseln, und dabei zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gekommen sind. Gerade im Beitrag haben wir ja auch hören können, die Verwirrung stand ja auch den Menschen in Barcelona ins Gesicht geschrieben. Das war eine sehr unverständliche Rede. Nach meinem Verständnis hat er die Unabhängigkeit Kataloniens in Aussicht gestellt, aber die Abspaltung gleichzeitig wieder auf Eis gelegt. Er ist an einem Dialog interessiert, aber jetzt richten sich alle Augen auf Madrid und es wird mit Spannung erwartet, welche Reaktion die spanische Regierung heute formulieren wird.
Zerback: Ja, das ist richtig. Natürlich: Alles guckt nach Madrid. Aber durchaus auch nach Brüssel zu Ihnen. Steht denn die EU für diesen Job als Vermittler zwischen diesen verhärteten Fronten zur Verfügung?
McAllister: Eine mögliche Vermittlerrolle der Europäischen Union kann es ohne entsprechendes Mandat nicht geben. Die EU-Kommission könnte, wenn sie überhaupt wollte, erst tätig werden, wenn beide Seiten, also die spanische Zentralregierung in Madrid und die katalanische Regionalregierung, sie entsprechend darum bitten. Die Zentralregierung in Madrid hat dies aber bislang explizit abgelehnt und die innere Organisation eines Staates ist eben eine Angelegenheit des jeweiligen Mitgliedslandes. Das legt der Vertrag von Lissabon eindeutig fest. Insofern sehe ich gegenwärtig keine Vermittlungstätigkeit der Europäischen Union.
"Dialogmöglichkeiten nur im Rahmen der bestehenden spanischen Verfassung"
Zerback: Wir haben da Mariano Rajoy im Ohr, der die Vermittlung ablehnt. Die Separatisten wiederum können sich das gut vorstellen. Nun sitzen Sie ja mit Rajoy gemeinsam in der EVP-Fraktion in Brüssel. Was passiert denn da hinter den Kulissen? Wie begründet er das? Warum lehnt er das tatsächlich ab? Was glauben Sie?
McAllister: Wir haben dieses Thema letzte Woche in Straßburg ausführlich diskutiert, auch im Plenum des Europäischen Parlaments. Ich habe oft auch private Gespräche mit Kollegen von Partido Popular geführt. Die spanischen Kollegen weisen darauf hin, dass Spanien ein Rechtsstaat ist und dass in Spanien spanische Gesetze gelten und die spanische Verfassung. Die spanische Verfassung sieht eben nicht die Möglichkeit eines Referendums in einem einzelnen Landesteil vor. Die spanischen Kollegen machen deutlich, dass alle Dialogmöglichkeiten nur im Rahmen der bestehenden spanischen Verfassung bestehen können, und deshalb muss klar sein, dass der Weg der Unabhängigkeit nicht möglich und nicht vorgesehen ist nach spanischem Recht.
Zerback: Gut. Aber Sie müssen ja in der EU gesetzeswidrige Forderungen nicht anerkennen. Was spricht denn gegen Reden?
McAllister: Gegen reden spricht überhaupt nichts. Der Dialog ist der einzige Weg, um diesen Konflikt zu lösen. Alle Beteiligten müssen sich natürlich auch fragen, warum es so weit kommen konnte, zu dieser verschärften Auseinandersetzung. Meines Erachtens ist die spanische Regierung in Madrid auch bereit zum Dialog, aber im Rahmen der bestehenden spanischen Verfassung und im Rahmen der bestehenden spanischen Gesetze.
Zerback: Trotzdem habe ich noch nicht verstanden, warum die EU sich da so einen schlanken Fuß macht, um es mal ein bisschen lapidar auszudrücken. Das klingt mir nach einer sehr formalen Begründung. Aber hat die EU nicht auch eine politische Verpflichtung?
McAllister: Die Europäische Union macht sich keinen schlanken Fuß. Die Europäische Union kann als Vermittler nur tätig werden, wenn ein entsprechendes Mandat vorliegt. Das setzt aber voraus, dass beide Seiten die Europäische Union als neutralen Mittler darum bitten, tätig zu werden. Aber das liegt hier doch nicht vor, denn die spanische Zentralregierung lehnt das kategorisch ab. Und es handelt sich nun mal hier um eine innerstaatliche Organisationsfrage Spaniens. Die Europäische Union hat ja beispielsweise in den irisch-britischen zur Situation in Nordirland in den 90er-Jahren eine vermittelnde Rolle eingenommen. Aber damals waren beide Seiten, Dublin, London und Belfast, dafür, dass die Europäische Union entsprechend tätig wird. Hier ist der Sachverhalt anders.
"Wichtig ist, dass jetzt die Eskalationsspirale unterbrochen wird"
Zerback: Aber, Herr McAllister, gleichzeitig haben wir Ihre Parteikollegen im Ohr, unter anderem Günther Oettinger, aber auch Elmar Brok. Die sorgen sich bereits vor einem Bürgerkrieg mitten in Europa. Warten Sie also lieber, bis die Situation dann tatsächlich eskaliert?
McAllister: Wichtig ist, dass jetzt die Eskalationsspirale unterbrochen wird und dass man versucht, vernünftige Schritte zu gehen. Dazu ist erst mal wichtig, dass man in den Dialog eintritt. Herr Puigdemont hat ja bei aller Unverständlichkeit seiner Rede gestern auch politische Gespräche angeboten und nun liegt es an der spanischen Regierung, das zu bewerten. Aber noch mal: Ich kann die spanische Regierung nachvollziehen, wenn sie sagt, sie ist zum Dialog bereit, auch über weitere Autonomierechte für Katalonien, aber das muss im Rahmen der bestehenden Gesetze stattfinden. Deshalb muss klar sein, dass der Weg der Unabhängigkeit inakzeptabel ist.
Zerback: Was glauben Sie denn? Jetzt ist natürlich erst mal die Stopptaste gedrückt worden. Wir warten darauf, was als Reaktion heute noch mal aus Madrid kommt von Spaniens Präsidenten. Was geht denn aus dieser aktuellen Lage jetzt für ein Signal aus, auch für die Sezessionsbewegung in anderen Ländern? Weil das ist ja tatsächlich nicht nur ein nationales Problem. Es ist ein EU-weites Thema.
McAllister: Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass die Lage in Katalonien ja nicht so eindeutig ist, wie es oft dargestellt wird. An diesem Referendum haben nur 42 Prozent der Bevölkerung teilgenommen und haben dann mit einer 90-prozentigen Mehrheit für die Unabhängigkeit gestimmt. Das heißt, wenn man das ausrechnet, sind über 60 Prozent nicht aktiv dafür.
Und in den letzten Tagen haben wir doch auch gesehen, dass hunderttausende von Katalanen auf die Straße gegangen sind, um deutlich zu machen, man kann Katalane, Spanier und Europäer zugleich sein. Und eines muss auch klar sein: Sollte Katalonien eine verfassungswidrige Unabhängigkeit erklären, hätte das am Ende auch die Folge, dass ein unabhängiges Katalonien die Europäische Union verlassen müsste. Sie dürften den Euro nicht mehr als Währung nutzen, sie müssten den Binnenmarkt und die Zollunion verlassen. Und das hätte auch verheerende Folgen für die wirtschaftliche Situation.
Ich glaube, man spürt doch in diesen Tagen, dass immer mehr Menschen in Katalonien auch sagen, dass die Regierung in Barcelona sich hier verrannt hat und dass man jetzt einen konstruktiven Weg suchen muss, wie man die Autonomiemöglichkeiten Kataloniens weiter stärken kann. Aber es muss eine Möglichkeit im Rahmen der spanischen Verfassung geben.
Zerback: Was ist denn Ihr Vorschlag? Wenn wir da mal konkret werden, Herr McAllister …
McAllister: Dieser einzige Weg, um diesen seit Jahren schwelenden Konflikt zu lösen, ist der Dialog. Es muss ein innerspanischer Dialog sein und auf der Grundlage der spanischen Verfassung.
Zerback: Da können Sie jetzt Ihrem Fraktionskollegen Rajoy nicht mal sagen: Bitte Dialog, dann hör auch zu, was in einem Teil deines Landes getan wird? Wäre das nicht eine Möglichkeit?
McAllister: Wichtig sind Deeskalationsschritte auf beiden Seiten. Ich nehme ein ganz konkretes Beispiel. Die spanische Regierung hat sich beispielsweise für den unverhältnismäßigen Polizeieinsatz am Tag des sogenannten Referendums entschuldigt. Auch das fand ich erst mal ein wichtiges Signal, denn das Recht war auf der Seite der spanischen Zentralregierung, aber dieser Polizeieinsatz war in Teilen unverhältnismäßig. Das ist doch beispielsweise eine erste vertrauensbildende Maßnahme.
Zerback: … nachdem die Gewalt aber passiert ist. Da kann man sich auch fragen, ob die spanische Regierung da wirklich ihre Souveränität gesichert hat oder vielleicht sogar dadurch auch den Separatisten in die Hände gespielt hat. Wie schätzen Sie das ein?
"Das könnte auch ein Präzedenzfall für andere Unabhängigkeitsbewegungen in Europa sein"
McAllister: Die Rechtslage war eindeutig. Das Recht war auf der spanischen Seite. Aber natürlich waren das verstörende Bilder. Das waren unglückliche Polizeieinsätze und dafür hat die spanische Regierung ja jetzt auch die Verantwortung übernommen und sich auch entsprechend entschuldigt.
Mir geht es noch um etwas anderes. Wenn die katalanische Regierung die Europäische Union um eine Vermittlerrolle bittet, dann tut sie das aber auch mit der ganz klaren Zielrichtung, dass sie am Ende die Unabhängigkeit Kataloniens will, und damit würde sich die Europäische Union doch in ein ganz schwieriges Fahrwasser begeben, denn das könnte auch ein Präzedenzfall sein für andere Unabhängigkeitsbewegungen in Europa, in Norditalien, auf Korsika oder hier bei uns in Belgien in Flandern, dass dann eine ähnliche Vermittlerrolle der Europäischen Union dann erwartet werden würde.
Ich glaube, die Lösung in Europa muss sein, dass wir starke Mitgliedsstaaten haben, aber auch starke Regionen wie beispielsweise hier in Deutschland, wo wir haben mit dem Föderalismus auch starke Bundesländer haben. Aber ich glaube, der Weg Europas kann nicht sein, dass wir uns weiter in Einzelteile zerlegen. Der Separatismus ist auch gefährlich für den Zusammenhalt innerhalb der Europäischen Union.
Zerback: … sagt der CDU-Politiker David McAllister. Er ist außerdem Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament. Besten Dank für Ihre Zeit heute Morgen.
McAllister: Ja, ich danke Ihnen auch. Auf Wiederhören!
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