Rainer Brandes: Jetzt ist er da, der Europäische Haftbefehl gegen den abgesetzten katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont. Der ist immer noch in Brüssel, jedenfalls gehen davon alle aus.
- Am Telefon ist jetzt der grüne Europaabgeordnete Jan Philipp Albrecht. Guten Morgen!
Jan Philipp Albrecht: Guten Morgen, Herr Brandes!
Brandes: Mit diesem Haftbefehl, ist damit Katalonien jetzt endgültig zum europäischen Problem geworden?
Albrecht: Politisch immer noch nicht. Es ist nämlich ein juristisches Verfahren. Man muss ja sagen, der europäische Haftbefehl ist ja gesetzlich normiert und nicht sozusagen abhängig davon, ob ein Land politisch damit einverstanden ist, sondern das ist ein rein juristisches Verfahren. Es liegt also allein bei der belgischen Justiz, jetzt entsprechend des europäischen Rechts zu entscheiden, ob eine Auslieferung erfolgen muss oder nicht.
Brandes: Das sagt die EU-Kommission ja auch. Aber kann sie es sich da so einfach machen und einfach sagen, das ist jetzt ein Fall für die Justiz, wir haben da keine Aktien mehr im Spiel? So kommt man doch aus der politischen Krise nicht heraus, oder?
"Europäische Kommission muss politisch Einfluss nehmen"
Albrecht: Das ist ganz richtig. Die Europäische Kommission kann sich natürlich politisch überhaupt nicht aus der Verantwortung nehmen, denn sie trägt Verantwortung dafür, dass diese Krise, die ja ein enormes Ausmaß, auch eine schwierige Situation angenommen hat, die man vorher nicht absehen konnte, dass es so läuft. Da muss die Europäische Kommission politisch Einfluss nehmen. Es ist ganz offensichtlich, dass die Verhandlungsparteien es nicht zurückschaffen an den Verhandlungstisch, dass sie auf Eskalation aus sind. Und da ist es die Aufgabe der EU-Kommission, klar zu machen, dass so etwas innerhalb der Europäischen Union nicht geduldet wird, sondern gemeinsam mit Unterstützung auch der anderen Mitgliedsstaaten ein Verfahren in Gang gesetzt werden muss, bei dem ein friedliches Miteinander gewährleistet werden kann. Und eben zum Beispiel ein Referendum, das dann auch wirklich frei ist und legal ist, durchgeführt werden kann, um die Selbstbestimmungsrechte einer solchen Region zur Disposition zu stellen. Letztlich ist aber auch klar, die Europäische Union ist nicht verantwortlich dafür, dass es zu dieser Krise gekommen ist. Das ist die Regierung Rajoy und das ist auch die Regierung Puigdemont. Die sind die Verantwortlichen. Trotzdem trifft die Europäische Kommission natürlich die Verantwortung, auch zu handeln jetzt.
Brandes: Aber was soll die Kommission da tun? Denn rechtlich, laut den EU-Verträgen, ist sie da ja nicht zuständig. Sie kann ja auch nicht einfach ein Referendum in einem EU-Land anordnen.
Albrecht: Das ist absolut richtig. Trotzdem muss die Europäische Kommission die Einhaltung von rechtsstaatlichen Grundprinzipien und Grundrechten auch gewährleisten. Und eines der Grund- und Menschenrechte ist natürlich auch, dass Minderheiten ein Selbstbestimmungsrecht haben, das heißt also, Verhandlungen über Selbstbestimmung von Regionen oder bestimmten Minderheiten in einem Land, die sind auf jeden Fall auch Bestandteil sozusagen des europäischen Miteinanders. Dazu muss die Europäische Kommission Stellung beziehen, auch dazu, wenn Recht gebeugt wird. Ob das hier der Fall ist im Falle der Festnahme der Regierung, inwiefern da Strafverfolgung überhaupt das richtige Mittel ist, da kann die EU-Kommission nicht drüber schweigen. Ich fände es absolut richtig, deutlich zu machen, dass also jetzt eine Lösung dieses Konflikts über die Justiz, über die Strafverfolgung der absolut falsche Weg ist. Das ist politisch nicht richtig, ganz unabhängig davon, ob nun der Haftbefehl rechtlich hält oder nicht. Das ist nämlich eine rein rechtliche Frage, das sollte man auch nicht politisch aufladen.
Brandes: Jetzt haben Sie gesagt, die EU-Kommission kann Rechtsbeugung nicht dulden. Aber die spanische Zentralregierung sagt ja, es war die Regierung Puigdemont, die Recht gebeugt hat, denn so ein Unabhängigkeitsreferendum sieht unsere Verfassung eben nicht vor. Das heißt, muss dann die EU-Kommission nicht dann, wie sie das im Moment ja tut, die Regierung Rajoy in ihrer Position unterstützen?
"Katalonien muss deutlich weitgehendere Autonomie erhalten"
Albrecht: Grundsätzlich ist das Argument der spanischen Regierung natürlich richtig. Das Referendum war nicht zugelassen, und sie sind da sozusagen, was das spanische Verfassungsrecht angeht, auf der richtigen Position. Trotzdem ist man natürlich bei der Frage von Selbstbestimmung von Regionen, oder, wenn man so will, international gesehen, von Völkern, im Bereich des internationalen Rechts. Und da muss auch eine Verfassung interpretiert werden im Lichte von internationalem Rechts, das es natürlich auch zugelassen hat in der Vergangenheit, dass es Abspaltungen legal geben kann, dass es Referenden über Selbstbestimmung geben kann. Und da muss ein Diskurs stattfinden, bei dem auch die Europäische Kommission Stellung beziehen muss. Ich halte nichts davon, unbedingt zwangsläufig immer nur über die Unabhängig von Katalonien zu reden. Ich glaube auch, dass innerhalb der katalonischen Gesellschaft das nicht die große Mehrheit ist, die unbedingt die Unabhängigkeit will. Aber die Regierung Rajoy, die spanische Regierung hat eben eine weitergehende Autonomie immer abgelehnt und hat letztendlich gegen die Bestrebungen zu mehr Unabhängigkeit agiert. Und das hat diese Situation verschärft, die Krise verschärft. Man muss jetzt wieder zurückkommen zu einer Herangehensweise, wo die Frage auf dem Tisch liegt, wie kann es gelingen, dass die Region Katalonien im Zusammenhang des spanischen Staates eine deutlich weitergehende Autonomie noch bekommen kann, wie zum Beispiel auch das bei Schottland in Großbritannien gelungen ist, um den Ansprüchen der Mehrheit der Bevölkerung in Katalonien gerecht zu werden. Dann, glaube ich, ist es auch abzuwenden, dass es hier zu einer weiteren Eskalation kommt.
Brandes: Muss dann Mariano Rajoy zurücktreten?
Albrecht: Ich denke, dass es jetzt ziemlich offensichtlich ist, dass es eine Legitimationskrise auch in Katalonien gibt. Wir brauchen Klarheit darüber, was eigentlich genau jetzt der Wille auch der Bevölkerung ist. Deswegen ist es meines Erachtens durchaus sinnvoll, dass es auch Neuwahlen gibt. Aber die können natürlich nicht stattfinden in einer Atmosphäre, wo neun Minister und der Premierminister in Untersuchungshaft sitzen.
Brandes: Das heißt, Sie fordern da eindeutig die Freilassung, obwohl das ja eine Entscheidung einer unabhängigen Justiz ist.
Albrecht: Das ist absolut richtig. Die Justiz muss dieses Verfahren führen. Aber das kann man auch zum Beispiel ohne Untersuchungshaft tun. Da muss man die Menschen nicht für eingesperrt haben. Gerade bei solchen Persönlichkeiten kann man eigentlich davon ausgehen, die sind ja auch, gerade, wenn sie dann möglicherweise in einen Wahlkampf gehen, daran interessiert, in der Öffentlichkeit zu bleiben und sozusagen auch sich zu stellen der politischen Auseinandersetzung. Da muss man nicht mit dem scharfen Schwert sozusagen der Festnahme handeln. Und das ist ganz offensichtlich hier auch von oben angeordnet, dass man da scharf vorgeht. Da gibt es andere Wege, die auch die Justiz gehen kann und würde, wenn die spanische Regierung hier deutlich deeskalierend agieren würde.
Brandes: Sagt Jan Philipp Albrecht, der grüne Europaparlamentarier, zum Europäischen Haftbefehl gegen Carles Puigdemont, live im Deutschlandfunk. Danke schön, Herr Albrecht!
Albrecht: Danke auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.