Der spanische Ministerpräsident Rajoy nahm an der Senatzsitzung teil und warb in einer Rede für die Absetzung der Regionalregierung in Barcelona. Er sagte, da sich die Lage in den letzten Tagen nicht verändert habe, gebe es keinen Grund, von Artikel 155 der Verfassung abzurücken. In dem Artikel - der bisher nie zur Anwendung kam - ist die mögliche Entmachtung einer Region geregelt. Rajoy nannte die Geschehnisse in Katalonien die größte Verspottung der Demokratie seit Bestehen der Verfassung. Es seien antidemokratische Entscheidungen gefallen, die sich gegen das Gesetz ebenso wie gegen die spanischen und europäischen Werte richteten. Rajoy bekräftigte auch seine Forderung nach Neuwahlen.
Im Rahmen der angekündigten Zwangsmaßnahmen will Madrid unter anderem die Regionalregierung in Barcelona absetzen, die Kontrolle über mehrere Regionalbehörden übernehmen und innerhalb von sechs Monaten Neuwahlen abhalten. Rajoys konservative Volkspartei (PP) hat in der zweiten Parlamentskammer eine ausreichende Mehrheit dafür. Das könnte auch die Kontrolle der katalanischen Polizei und der Medien bedeuten, wie Burkhard Birke im Deutschlandfunk berichtet.
Katalanische Abgeordnete wollen unabhängigen Staat
Auch das katalanische Parlament kam in Barcelona zusammen. Separatistisch eingestellte Abgeordnete legten einen Antrag auf Konstitutierung einer katalanischen Republik als unabhängiger Staat vor. Am Regionalparlament in Barcelona versammelten sich Tausende Befürworter der Unabhängigkeit.
Der katalanische Regierungschef Puigdemont hatte gestern entgegen allen Erwartungen Neuwahlen abgelehnt. Er werde seinen Plan für eine Unabhängigkeit der Region weiter verfolgen, erklärte er. Alle Medien hatten in Spanien fest damit gerechnet, dass er nachgibt und in letzter Minute eine Lösung im Konflikt ermöglicht. Der Regionalpräsident warf Madrid vor, eine Einigung zu verhindern und eine Fortsetzung der "Unterdrückung" vorzuziehen. Aus Protest gegen die Entscheidung seines Chefs trat der für Unternehmen zuständige katalanische Minister Santi Vila zurück, berichtete Korrespondent Christopher Plass.
Die Vertreterin der katalanischen Regierung in Deutschland, Marie Kapretz, kritisierte das Vorgehen der spanischen Regierung. Selbst im Falle von Neuwahlen würde diese sich nicht von der "brutalen Anwendung" des Artikels 155 der Verfassung distanzieren, sagte sie im Deutschlandfunk.
Bundesregierung fordert Deeskalation
Die Bundesregierung rief beide Seiten zum Dialog auf. Regierungssprecherin Demmer sagte, Deutschland hoffe, dass die Beteiligten alle bestehenden Möglichkeiten zur Deeskalation nutzen würden. Die Einheit Spaniens und die Verfassungsordnung müssten erhalten bleiben. Bundespräsident Steinmeier nannte separatistische Bestrebungen ein "überholtes Konzept". Er sagte bei der Einweihung des neuen Plenarsaales des niedersächsischen Landtages in Hannover, der Rückzug auf das Eigene, gar das Beharren auf Überlegenheit der eigenen Region sollte der Vergangenheit angehören. Für Neuwahlen sprach sich der deutsche Europaparlamentarier Elmar Brok aus. Der CDU-Politiker sagte im Deutschlandfunk, man sollte die Bevölkerung in einem rechtsstaatlichen Verfahren sprechen lassen. Das Unabhängigkeitsreferendum sei verfassungswidrig, weshalb die Regierung in Madrid dazu verpflichtet gewesen sei, es zu verhindern.
Regionalparlament könnte abstimmen
Regionalpräsident Puigdemont hatte Spanien den ganzen Donnerstag in Atem gehalten. Die Rede war ursprünglich für 13.30 Uhr geplant, erst verschoben und dann zunächst ganz abgesagt worden. In allen großen Medien Spaniens waren die Neuwahlen als gesetzt bezeichnet worden. Auch ein Termin war genannt worden: der 20. Dezember. Seit dem Mittag hatten Tausende Menschen vor dem Regierungspalast für die Unabhängigkeit und gegen den "Verrat" durch die Regionalregierung demonstriert.
(nch/mg)