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Katalonien-Konflikt
Völkerrechtler: Rajoy sollte zurücktreten

Die Situation im Katalonien-Konflikt sei schwierig, dennoch sollte die EU nicht eingreifen, sagte der Völkerrechtler Armin von Bogdandy im Dlf. Um aus dieser Sackgasse herauszukommen sollte Mariano Rajoy zurücktreten, um Platz zu machen für eine Persönlichkeit, "die besser, klüger mit dieser Situation umgehen" könne.

Armin von Bogdandy im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Sie sehen Demonstranten in Madrid mit der spanischen Flagge.
    Der Völkerrechtler Armin von Bogdandy hält nichts davon, dass die EU in den Katalonien-Konflikt eingreift. (imago stock&people, Javier Lopez, 80637933)
    Mario Dobovisek: Dutzende Journalisten und Kameraleute warten vor dem Staatsgerichtshof in Madrid. Doch wie angekündigt bleibt der entmachtete katalanische Regierungschef Puigdemont der Anhörung fern, zu der er geladen war. Rebellion wird ihm vorgeworfen. Sein ehemaliger Stellvertreter dagegen erschien.
    Am Telefon begrüße ich Armin von Bogdandy. Er ist Rechtswissenschaftler, spezialisiert auf Europa- und Völkerrecht, und er leitet in Heidelberg das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Guten Tag, Herr von Bogdandy.
    Armin von Bogdandy: Guten Tag, Herr Dobovisek.
    Dobovisek: Sind Puigdemont und seine Kollegen der katalanischen Regionalregierung Rebellen, Putschisten und damit Hochverräter?
    von Bogdandy: Das ist eine Frage des spanischen Rechtes zunächst einmal. Worum es hier geht ist etwas, was nach deutschem Recht als Hochverrat bezeichnet wird. Das steht so im deutschen Strafgesetzbuch. Da geht es dann darum, ob mit Gewalt oder mit Drohung von Gewalt gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes vorgegangen wird, und die spanische Justiz wird sich Gedanken darüber machen, ob hier eine Drohung von Gewalt vorliegt, weil ja doch immer wieder angedeutet wird, dass katalanische Bevölkerungsteile sich dagegen wehren werden.
    Dobovisek: Auf Hochverrat stehen lange Haftstrafen, in manchen Ländern sogar die Todesstrafe. Kommt die spanische Politik tatsächlich damit weiter, wenn sie diesen harten Kurs weiter verfolgt?
    von Bogdandy: Wie es so ist: Bei Juristen wird man hier sagen, dass man differenzieren muss. Auf der einen Seite ist Spanien ein demokratischer Rechtsstaat und ein demokratischer Rechtsstaat muss die Rechtsordnung aufrecht erhalten, insbesondere in so wichtigen Fragen, wie das jetzt hier der Fall ist.
    Auf der anderen Seite ist es mit Sicherheit ein großer Fehler gewesen, dass die spanische Zentralregierung sich allein auf den juristischen Weg verlassen hat und nicht mehr politisch verhandelnd aktiv geworden ist. Seit Jahren ist es so, dass die konservative Regierung gegen jede Maßnahme die Gerichte, gerade auch das Verfassungsgericht anruft und sich hinter juristischen Positionen verbarrikadiert. Das kann man so machen, aber das ist politisch nicht klug, wie man jetzt auch beobachten kann.
    "Politik soll nicht über Recht stehen"
    Dobovisek: Politik soll über Recht stehen?
    von Bogdandy: Politik soll nicht über Recht stehen. Aber man muss auch sehen, dass das Recht nicht für alle wichtigen Fragen eine Antwort bereit hält, sondern nur eine Rahmenordnung ist, in der man ein Gemeinwesen zu gestalten hat. Hier geht es darum, in den möglichen Verfahren, die es ja gibt in Spanien, zu einer Lösung zu kommen und nicht zu sagen, hier gibt es eine Rechtsposition, ihr habt weder völkerrechtlich, noch verfassungsrechtlich ein Recht auf einen eigenen Staat und das ist das Ende unserer Diskussion. Damit kommt man nicht weiter, das sieht man ja auch.
    Dobovisek: Hat das Recht Spanien in die Sackgasse geführt, Spaniens Politik?
    von Bogdandy: Es ist nicht das Recht, was die spanische Politik in die Sackgasse geführt hat, sondern es ist die Art und Weise, wie das Recht von vielen Verantwortlichen dort gehandhabt worden ist, nämlich in einer zu engen und nicht staatsmännischen Art und Weise.
    Dobovisek: Wie kann Spanien aus dieser Sackgasse wieder herauskommen?
    von Bogdandy: Das ist außerordentlich schwierig. Ich bin Jurist, ich bin kein Politikberater. Ich kann da keine Rezepte geben. Einen klugen Weg fand ich, was in Großbritannien passiert ist, nämlich dort ist Herr Cameron, als er das Land in eine so schwierige Situation geführt hat mit dem Brexit, zurückgetreten und hat dafür die politische Verantwortung übernommen.
    Ich fände, es wäre angebracht, dass der spanische Regierungschef einen ähnlichen Schritt machen würde und dann die spanische Regierung eine Persönlichkeit sucht, die besser, klüger mit dieser Situation umgehen kann, als das bei Herrn Rajoy offensichtlich der Fall ist.
    Dobovisek: Die möglicherweise dann auch Brücken bauen kann, die offensichtlich notwendig sind.
    Sie sind Jurist, das haben Sie gerade gesagt. Kommen wir zurück zu den juristischen Aspekten. Um die Verfassung zu wahren, bricht die spanische Regierung selber Grundrechte, auch EU-Recht. So sehen es jedenfalls Spaniens Kritiker, gerade mit Blick auf die Repressionen und die Gewalt rund um das Referendum. Wie bewerten Sie das als Jurist?
    von Bogdandy: Die Gewalt im Umkreis des Referendums ist von Heidelberg aus sehr schwierig zu beurteilen. Es hat dort eine Reihe von polizeilichen Maßnahmen gegeben. Es ist polizeilicher Zwang ausgeübt worden. Und es ist die Frage, ob dieser polizeiliche Zwang verhältnismäßig war. Um dazu juristisch belastbar etwas sagen zu können, muss man die genauen Umstände vor Ort kennen. Aus der Ferne lässt sich nichts dazu sagen.
    Sicher ist aber, dass die Art und Weise der Polizeigewalt, wie sie dort war und selbst wenn sie dann rechtswidrig war, unter spanischem Verfassungsrecht und auch unter europäischem und internationalem Recht mit absoluter Sicherheit kein Maß von Gewalt war, welches in irgendeiner Weise eine Unabhängigkeit des Landes rechtfertigen würde.
    "Es gibt eine Fülle von juristischen Institutionen, die dazu aufgerufen sind, das gründlich zu prüfen"
    Dobovisek: Wer muss das klären?
    von Bogdandy: Da gibt es eine Reihe von Institutionen. Das sind zunächst einmal die spanischen Gerichte, die das klären können. Aber darüber hinaus gibt es natürlich einen Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der ebenfalls dort einbezogen werden kann. Und dann gibt es auch diverse internationale Ausschüsse, die sich ebenfalls mit diesen Dingen befassen können.
    Es gibt eine Fülle von juristischen Institutionen, die dazu aufgerufen sind, das gründlich zu prüfen, aber ich wäre überrascht, wenn irgendeine Institution dazu käme anzunehmen, dass diese Form von Gewalt in irgendeiner Weise die Forderungen der katalanischen Separatisten juristisch untermauern würde.
    Jurist Bogdandy: EU sollte in Spanien-Konflikt nicht eingreifen
    Dobovisek: Jetzt lehnt sich die EU-Kommission zurück, winkt ab, sagt, der Katalonien-Konflikt sei eine innerspanische Angelegenheit. 100 Akademiker haben gerade einen offenen Brief geschrieben, aus Europa und aus den USA, an Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, in dem sie einen Verstoß Spaniens gegen den Vertrag von Lissabon anprangern und die Kommission zum Handeln auffordern.
    Welche Rolle sollte jetzt die EU-Kommission spielen, auch mit den gesamten juristischen Möglichkeiten, die Sie gerade aufgezählt haben?
    von Bogdandy: Was die Europäische Union in einer solchen Situation machen kann, ergibt sich aus dem Artikel II des EU-Vertrages. Da geht es darum, dass es gewisse Werte gibt, die jeder Mitgliedsstaat einhalten muss, insbesondere Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.
    Da wir in der Europäischen Union aber auch die nationale Identität und die nationale Vielfalt hochhalten und auch gerade die Verfassungsautonomie der Mitgliedsstaaten, wird diese Latte nur sehr selten gerissen. Das sind Situationen, wie wir sie gerade in Polen beobachten mit dem Abbau der Justiz. Das sind Fälle des Artikels II.
    Aber das, was wir in Spanien haben, ist mit Sicherheit nicht die Qualität, die ein Eingreifen der Europäischen Union im Sinne der Wahrung der Grundwerte der Europäischen Union rechtfertigen.
    Dobovisek: Das sehen die Kritiker, die besagten aus dem offenen Brief, offensichtlich anders, darunter die Berliner Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot. Die hat heute Morgen bei uns im Deutschlandfunk das Folgende gesagt. Hören wir mal rein:
    Ulrike Guérot: "Das, was wir sehen, jetzt Puigdemont, der in Brüssel ist, und dass vielleicht eine Staatsanwaltschaft gegen ihn ermitteln muss, das sind ja im Prinzip Fragen, die alle darauf verweisen, wer ist denn eigentlich der Souverän in Europa. Wer kann hier gegen wen prozessieren? Entscheidet in letzter Verbindlichkeit Spanien oder die EU, oder gibt es doch ein plausibles Recht auch für Katalonien? – Diese Fragen sind in der EU nicht geklärt.
    Ich glaube, dass das ein wirkliches Zeichen ist, dass in der EU der bestehende Rechtsrahmen aus allen Nähten platzt. Diese Fragen mal zu klären, um zu sagen, wir haben doch offensichtlich ein institutionelles Korsett in der Europäischen Union, das hinten und vorne nicht mehr funktioniert, da wäre, glaube ich, die Stunde der EU auch geschlagen, da mal ein bisschen drüber nachzudenken."
    Dobovisek: Taugt, Herr von Bogdandy, der Rahmen von Recht und Institution in Europa nicht mehr, so wie es Ulrike Guérot sinngemäß sagt?
    von Bogdandy: Da muss man natürlich wissen, dass Ulrike Guérot eine große Verfechterin einer europäischen Republik ist, also einer Europäischen Union, die sehr viel mehr staatliche Formen hat, als das derzeit der Fall ist. Das ist eine wichtige Position, die ich aber nicht teile.
    Natürlich wäre es so: Wenn wir eine solche Situation in Bayern heute hätten, oder in Sachsen-Anhalt, dann wäre der Bund bei uns aufgerufen, da etwas zu machen. Aber in dieser Situation sind wir in der Europäischen Union nicht, und ich glaube, es würde die Europäische Union auch sprengen, wenn sie derart intensiv gegenüber ihren Mitgliedsstaaten vorgehen würde.
    Dobovisek: Ist die Europäische Union weiter gut beraten, sich zurückzuhalten im Konflikt um Katalonien?
    von Bogdandy: Ja.
    Dobovisek: … sagt der Europa- und Völkerrechtler Armin von Bogdandy. Vielen Dank für das Interview.
    von Bogdandy: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.