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Katalonien
Unabhängigkeitsbewegung in der Sackgasse

In Katalonien wollte die linksradikale Unabhängigkeitsbewegung CUP am Wochenende eigentlich entscheiden, ob sie Artur Mas wieder zum Ministerpräsidenten der Regionalregierung küren will oder Neuwahlen vorzieht. Doch der wirtschaftsliberale Privatisierer ist in der Gruppe der linken Systemkritiker umstritten - und das zeigt sich im Ergebnis: unentschieden.

Von Julia Macher |
    Auf einer Bühne stehen in der Nacht die Politiker, vor ihnen Wähler und Unterstützer. Am rechten Bildrand wehen eine Fahne Kataloniens und eine Europa-Fahne.
    Katalanische Wähler und Politiker feiern am 27.9.2015 in Barcelona den Ausgang der Regionalwahl. Am Rednerpult steht der Anführer der Unabhängigkeitsbewegung, Artur Mas (2.v.l), (LLUIS GENE / AFP)
    Ein Ergebnis zum Haare raufen - oder wahlweise auch zum Heulen oder Lachen. Je nach Gemütszustand der Journalisten, die über die Generalversammlung der CUP in Sabadell berichten sollten. Genau 1.515 Sympathisanten der basisdemokratisch organisierten, linksradikalen Bewegung stimmten mit Ja - 1.515 mit Nein. Die politische Zukunft des katalanischen Ministerpräsidenten Artur Mas bleibt somit auch nach der fast elfstündigen hitzigen Debatte weiter in der Schwebe. CUP-Sprecherin Anna Gabriel kommentierte dieses Ergebnis mit einem selbstironischen Lächeln:
    "Wir von der CUP haben immer gesagt, dass die Assemblea, die Generalversammlung, im Zentrum unserer Politik steht. Man kann sich natürlich darüber lustig machen, aber das ist nun mal unser Entscheidungsmechanismus. Junts pel Si kann ja weiter einen Alternativkandidaten vorschlagen."
    Der politische Rat der linksradikalen Formation wird am 2. Januar entscheiden, wie er das Patt interpretiert. Setzen die zehn Delegierten das Unentschieden bei der dritten und letzten Investiturdebatte in ein Votum um, gibt es im März Neuwahlen in Katalonien. Das Ergebnis ist ein weiteres Beispiel für die Sackgasse, in der die Region seit dem 27. September steckt.
    Neuwahlen = Ende der Unabhängigkeitsbewegung?
    Die Wahlergebnisse haben eine konstruktive Debatte unmöglich gemacht, da jeder Pakt, jede Konzession als Verrat an der eigenen Basis gewertet werden kann: Die sezessionistische Junts pel Si kann ihren Spitzenkandidaten Artur Mas kaum zurückziehen - und die vor Kurzem noch abschätzig belächelten linksradikalen Systemkritiker können den wirtschaftsliberalen Privatisierer nicht zum Chef der Regionalregierung wählen.
    Immer häufiger ist daher von Neuwahlen die Rede und damit vom Ende der Unabhängigkeitsbewegung, wie Befürworter fürchten und Gegner jubeln. Meinungsforscher sehen das anders, Berta Barbet vom jungen Politologenkollektiv Politikon:
    "Ich halte die These, dass Neuwahlen die Unabhängigkeitsbewegung extrem schwächen, für übertrieben. Niemand, der wirklich für eine Sezession ist, wird sich von Neuwahlen abschrecken lassen, aber natürlich könnte die Bewegung ein paar, vielleicht entscheidende Prozentpunkte verlieren. Die große Frage ist vielmehr, welche Rückwirkungen das neue politische Panorama in Spanien auf die Entwicklung haben könnte."
    Podemos im Nordosten erfolgreich
    In der Hauptstadt Madrid ist die politische Lage zwar ähnlich verfahren wie in Katalonien, aber durch das relativ starke Abschneiden der Linkspartei Podemos könnten sich für die Katalanen neue Möglichkeiten ergeben. Die Partei um den Politikdozenten Pablo Iglesias hatte als einzige ein Unabhängigkeitsreferendum im Wahlprogramm und erzielte damit vor allem im Baskenland, Galizien und Katalonien exzellente Ergebnisse. Im Nordosten Spaniens gab jeder vierte der jungen Protestpartei die Stimme.
    "Aus dem Diskurs der führenden katalanischen Politiker war das Thema zuletzt verschwunden, aber in der öffentlichen Meinung war es immer sehr präsent. Umfragen zufolge ziehen die meisten ein Referendum allen anderen Optionen vor, eben gerade weil es mit knapp 48 Prozent der Stimmen bei den Septemberwahlen keine klare demokratische Legitimation gibt. Die sozialen Kosten einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung zu tragen, dazu sind die wenigsten Katalanen bereit."
    Sezession Kataloniens vorerst nicht in Sicht
    Die Chancen für ein Referendum auf zentralstaatlicher Ebene sind allerdings gering, die immer noch starken konservativen und sozialistischen Volksparteien PP und PSOE haben sich dagegen ausgesprochen. Auch in der CUP glaubt die Führung nicht an ein Referendum auf zentralstaatlicher Ebene in den kommenden Jahren, begrüßt aber den Schwenk nach links. Josep Manel Busquetas, einer der zehn CUP-Delegierten im katalanischen Parlament:
    "Wir müssen die gesellschaftliche Basis für ein Ja zur Unabhängigkeit verbreitern. Das geht nur über einen Schwenk nach links, nicht über Kürzungen und Privatisierungen. Wenn wir auf diesem Weg neue Gefährten finden, die ähnlich denken, müssen wir uns das natürlich ernsthaft überlegen."
    Sollte es tatsächlich Neuwahlen in Katalonien geben, könnte die CUP gemeinsam mit den Linksrepublikanern und der katalanischen Podemos-Variante Podem en Comú paktieren und die ohnehin sehr angeschlagene bürgerliche Convergència von Artur Mas weiter schwächen. Eine Sezession Kataloniens von Spanien ist vorerst nicht in Sicht, aber die katalanische und spanische Parteienlandschaft, die hat die Unabhängigkeitsbewegung kräftig durcheinander gewirbelt.