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Katalonien vor der Wahl
Von der Autonomie in die Unabhängigkeit?

Geht es nach dem amtierenden konservativen katalanischen Regionalpräsidenten Artur Mas, dann wird aus der nordostspanischen "autonomen Region" Katalonien bald ein unabhängiger Staat. Schon allein deshalb bekommt die Regionalwahl am 27. September eine besondere Bedeutung.

Von Hans-Günter Kellner | 25.09.2015
    Artur Mas, Regionalpräsident Kataloniens, fordert ein bindendes Referendum
    Artur Mas, Regionalpräsident Kataloniens, fordert ein bindendes Referendum (afp / Luis Gene)
    Wahlkampf in Katalonien. Kandidaten von ganz gegensätzlichen Parteien werben gemeinsam um Stimmen. Die regierenden konservativen Nationalisten und die größte Oppositionspartei, die Republikanische Linke, treten mit einer gemeinsamen Wahlliste an. Einziger Programmpunkt: die Unabhängigkeit ihrer Region in acht Monaten. Oppositionsführer Oriol Junqueras:
    "Uns steht sehr viel Arbeit bevor. Wahrscheinlich wird diese Arbeit den Rest unseres Lebens in Anspruch nehmen. Wir wollen aus Katalonien die beste Nation der Welt machen. Hoch lebe Katalonien!"
    Unerwähnt lässt Junqueras in seiner Rede den Korruptionsskandal um illegale Parteispenden, der die konservativen Nationalisten von Regierungschef Artur Mas erschüttert. Ebenso die Kürzungen an Schulen und Krankenhäusern, die er als Oppositionspolitiker noch kritisiert hatte. Wie sollte er sonst auch rechtfertigen, in der Einheitsliste Junts pel Sí – "Gemeinsam für das Ja" - mit den regierenden Konservativen anzutreten? Die Anhänger von Junqueras' Republikanischer Linken zeigen Verständnis:
    "Wir hoffen, dass es nur eine Übergangsregierung wird, die uns zur Unabhängigkeit führt, um dann nie mehr mit der katalanischen Rechten zusammenarbeiten zu müssen."
    "Man wird nach den Wahlen sehen, wie sie regieren. Die Rechten, die gemäßigten Linken und die Linksradikalen werden sich verständigen müssen. Das ist eine Möglichkeit, die Dinge klarer zu sehen."
    Verklärter Blick auf die Vergangenheit
    "Unabhängigkeit, Unabhängigkeit", rufen rund eineinhalb Millionen Menschen bei der friedlichen Kundgebung zur Diada, zum katalanischen Nationalfeiertag in Barcelona am 11. September – zwei Wochen vor der Wahl. Sie gedenken der Niederlage Barcelonas im Spanischen Erbfolgekrieg vor mehr als 300 Jahren. Es sind in erster Linie Emotionen, die die Unabhängigkeitsbewegung vorantreiben, die Verklärung der Zeit, als Katalonien eine große Macht im Mittelmeer war.
    Hinzu kommt, dass die Katalanen überzeugt sind, viel zu viel Steuern an Spanien zu zahlen. Der spanische Politologe Jose Ignacio Torreblanca wirft den Parteien dagegen vor, ihr Patriotismus sei bloß eine Nebelkerze:
    "Das ist eine sehr opportunistische Koalition. Die Republikanische Linke konnte nie die gesamte katalanische Linke repräsentieren und noch viel weniger alleine die Unabhängigkeit vorantreiben. Und die konservativen Nationalisten erleben denselben Verdruss, den auch die Menschen im Rest Spaniens gegenüber den Parteien hegen, die die Politik seit 1978 dominieren.
    Diese Koalition ist für beide ein wunderbares Instrument, um sich neu zu erfinden. Aber es ist kein großer demokratischer Fortschritt, wenn sich die Regierung und die Opposition zusammenschließen. Die Leute wissen doch gar nicht, wie sie die Regierenden abstrafen oder belohnen können."
    Ein Projekt, das die Massen begeistert
    Trotzdem ist die Unabhängigkeit das einzige Projekt, das die Massen begeistert. Das bestätigen auch die Umfragen, die einen Wahlsieg der Liste Juntos pel Sí ankündigen. Knapp die Hälfte der Katalanen könnten für die Unabhängigkeitsliste stimmen. Und gerade in diesem Punkt entwirft die andere Seite – also die spanische Regierung – kein Zukunftsmodell, kritisiert Torreblanca. Trotzdem: klare Mehrheiten sieht er nicht:
    "Wir haben zwei Blöcke, die beide keine klare Mehrheit erzielen werden. Das sind ja keine 60 oder 70 Prozent, die eine einseitige Unabhängigkeitserklärung vielleicht rechtfertigen würden. Auf der anderen Seite wird es aber auch kein klares Votum für den Status quo geben, dass alles so bleiben soll wie es ist. Rational gesehen ist nur ein Dritter Weg möglich."
    Gemeint ist eine Verfassungsreform, die Katalonien weitreichendere Zugeständnisse machen würde, als die bisherige Autonomieregelung. Alle spanischen Parteien diskutieren darüber, nur die mit absoluter Mehrheit regierende Volkspartei hat dies bislang abgelehnt. Doch im Dezember wird in ganz Spanien gewählt, zwei neue Parteien, die aus Katalonien stammenden Ciudadanos und Podemos drängen mit Macht ins Parlament. Die Zeit der absoluten Mehrheiten ist dann vorbei, dann könnte auch eine Verfassungsdebatte in Spanien eine neue Chance bekommen.