Ein seltsamer Wahlkampfauftakt: Wenige Stunden vor dem offiziellen Beginn skandieren Tausende vor den Rathäusern "keinen Schritt zurück". Carles Puigdemont, Ex-Regionalpräsident und Spitzenkandidat der Pro-Unabhängigkeitsliste "Junts per Catalunya" meldet sich per Videoschalte aus Brüssel zu Wort. Und der Spitzenkandidat der Linksrepublikaner, Oriol Junqueras, verfolgt die Kundgebung seiner Partei aus der Untersuchungshaft in Madrid. Eben deshalb ist er präsenter denn je: Generalsekretärin Marta Rovira setzt ganz auf die Symbolkraft des inhaftierten Parteichefs.
"Oriol Junqueras ist im Gefängnis, weil sie Angst vor ihm haben, weil sie wissen, dass er der beste Kandidat für die Zukunft dieses Landes ist. Die Haft ohne Urteil für Oriol Junqueras ist ein versteckter Versuch, diese Partei zu verbieten."
Dramatische Worte. Doch sie können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sowohl "Esquerra Republicana" wie auch "Junts per Catalunya" in ihren Programmen schwammig bleiben. Man fordert den Dialog mit Madrid, will die Republik "in Kraft setzen". Über das Wie und Wann gibt es keine Auskünfte.
Die Separatisten stecken in einer Sackgasse
Tatsächlich haben die katalanischen Unabhängigkeitsparteien ihre Mittel erschöpft. Sie konnten weder mit der Androhung einer einseitigen Unabhängigkeitserklärung Verhandlungen mit Madrid erzwingen noch die versprochenen "Staatsstrukturen" schaffen, die eine katalanische Republik ermöglichen sollten. Das hat für Ärger an der Basis gesorgt, schwächt die Sezessionisten bei den Wahlen aber nur geringfügig. Ein Paradox? Nein, sagt Politikwissenschaftler Oriol Bartomeus:
"Es ist schwer möglich, dass Leute, die auf Dutzende Demonstrationen gegangen sind, Geld gesammelt, sich Solidaritätsschleifen angeheftet haben, ihren ganzen letzten fünf Jahren abschwören und sagen: "Nein, sie haben uns betrogen, jetzt wähle ich jemanden anderen."Es gibt allerdings einen kleinen Teil, der eine einseitige Unabhängigkeitserklärung für keine gute Idee hielt und jetzt zögert. Wählt dieses Segment wieder Pro-Unabhängigkeit, haben die Separatisten die absolute Mehrheit. Finden sie bei den Moderaten eine neue politische Heimat, öffnet sich ein neues Szenario."
Der jüngsten Umfrage zufolge verfehlen die drei Pro-Unabhängigkeitsparteien knapp die absolute Mehrheit. Aber auch der sogenannte Verfassungsblock aus den Sozialisten, der in Katalonien eher unbedeutenden konservativen Volkspartei und der antisezessionistischen Bürgerpartei Ciudadons kommt auf keine Mehrheit. Mit ihrer jungen, scharfzüngigen Spitzenkandidatin Inés Arrimadas könnte Ciudadanos fast ebenso viele Sitze erzielen wie die Linksrepublikaner, ist allerdings kaum konsensfähig.
Die Sozialisten wollen das Zünglein an der Waage sein
Eine Pattsituation, in der das katalanische Podemos-Pendant "Catalunya en Comú" und die katalanischen Sozialisten eine entscheidende Rolle zu spielen hoffen. Eva Granados, Sprecherin der katalanischen Sozialisten: "Wir stellen Versöhnung und den Wiederaufbau der katalanischen Institutionen in den Mittelpunkt, um eben dieses Block-Denken, das uns den Verlust unserer Selbstverwaltung eingebracht hat, zu überwinden. Das können wir schaffen, wenn wir einen dritten Weg aufzeigen."
Zwar weiß etwa eine Million Wähler noch nicht, wem sie ihre Stimme geben wird. Doch die Fronten sind verhärtet. Derzeit hält der Politologe Oriol Bartomeus eine Minderheitsregierung mit wechselnden Mehrheiten für am wahrscheinlichsten: "Nach dem 21. Dezember ist alles möglich, sogar Neuwahlen. Die Polarisierung zwischen den Unabhängigkeitsparteien und den pro-spanischen Parteien war so stark in den letzten Monaten, dass es kaum Spielraum gibt. In Katalonien ist der spanische Nationalismus wieder erstarkt, und nach dem 21. Dezember werden weder die spanischen Nationalisten noch die Sezessionisten verschwinden. Daran werden wir noch Jahre zu tragen haben."