Dirk-Oliver Heckmann: Gibt es noch einen Weg zurück im Streit um eine Unabhängigkeit Kataloniens? Es sieht nicht danach aus. Hunderttausende demonstrierten gegen den Polizeieinsatz vom Wochenende, der von vielen als völlig unverhältnismäßig angesehen wurde. Und es scheint nicht mehr die Frage, ob Kataloniens Regierungschef Puigdemont die Unabhängigkeit offiziell ausruft, sondern nur noch wann. Eine für den Mittag angesetzte Pressekonferenz hat er gestern auf den Abend verschoben. Seine Botschaft: er sei verhandlungsbereit. Scharfe Kritik aber wie erwähnt an König Felipe.
Am Telefon ist jetzt Elmar Brok von der CDU. Er ist Mitglied im Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten im Europaparlament. Guten Morgen, Herr Brok.
Elmar Brok: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Heckmann: Herr Brok, am Montag könnte das katalanische Parlament die Unabhängigkeit beschließen. Zumindest ist eine Sitzung für Montag anberaumt. Gehen Sie davon aus und wäre das eine gute Idee aus Ihrer Sicht?
Brok: Eine gute Idee wäre es auf gar keinen Fall, weil es ja rechtswidrig wäre. Das Referendum ist nicht entsprechend der spanischen Verfassung geschehen. Insofern ist die spanische Regierung rechtlich gesehen völlig auf dem richtigen Weg. Wie das gemacht wird und in welcher Weise man das betrieben hat mit dem Polizeieinsatz, ist eine andere Frage, ist eine politische Bewertungsfrage, eine Verhältnismäßigkeitsfrage.
"Recht muss umgesetzt werden"
Heckmann: Wie würden Sie es denn bewerten?
Brok: Ich halte das für unverhältnismäßig, diesen Polizeieinsatz. Er war politisch auch schädlich. Ich glaube zu wissen, dass die Mehrheit der Katalanen nicht für Selbstständigkeit war, aber durch diese Aktion wächst die Solidarität für die Selbstständigkeit, und deswegen war es meines Erachtens auch politisch unklug, so vorzugehen. Aber rechtlich haben sie in Madrid völlig recht, dass diese einseitige Unabhängigkeitserklärung gegen die spanische Verfassung geht. Und Sie müssen sehen: das schottische Referendum ist durchgeführt worden im Rahmen des britischen Rechts und mit Zustimmung der britischen Regierung. Von daher sind das völlig unterschiedliche Verfahrensweisen.
Heckmann: Aber kann man denn die Frage der katalanischen Unabhängigkeit, die ja schon seit Jahrzehnten schwelt und jetzt so dermaßen eskaliert, wirklich nur mit Hinweis auf rechtliche Bedenken und auf die Verfassung regelrecht abwürgen?
Brok: Erstens: Recht muss umgesetzt werden. Das ist völlig klar. Vermittlung kann nur gemacht werden, wenn beide Seiten die Vermittlung wünschen. Sonst hat Vermittlung keinen Zweck. Wir müssen auch sehen, dass nach den europäischen Verträgen die innere Ordnung eines Staates allein Zuständigkeit dieses Staates ist. Auch in Deutschland kann Brüssel nicht hineinreden, ob Bundesländer zusammengelegt werden, oder wie diese Struktur unseres Bundesstaates gemacht wird. Das ist auch richtig, dass jedes Land das nach seinen Traditionen und nach seinem Recht macht.
"Katalanen sind nicht bereit zu teilen"
Heckmann: Aber, Herr Brok, die Situation ist doch so, dass Madrid oder dass die Katalanen auf der einen Seite, um mal so zu beginnen, Gespräche wollen, eine Mediation wollen, und Madrid lehnt eine Mediation unter Hinweis auf innere Angelegenheiten ab. Und wenn man den Regierungschef Rajoy hört, der ja Ihrer Parteienfamilie entstammt und ihr angehört, der lehnt sogar Gespräche mit den Separatisten ab, weil man könnte nicht verhandeln mit Leuten, die mit Erpressungen arbeiten.
Brok: Wir müssen feststellen, worüber will denn die katalanische Regierung verhandeln. Sind sie noch bereit, für Lösungen zu verhandeln, die im Rahmen des spanischen Staates sind, wie eine Erhöhung des Autonomiestatus, der schon sehr weitgehend ist, durchgeführt wird? Oder sind sie bereit, ausschließlich über Unabhängigkeit zu verhandeln? Das ist, glaube ich, bisher aus den Meldungen nicht klar geworden. Ich fürchte, dass sie nur bereit sind, auch von den Gesprächen, die ja vorher zwischen der Regierung und Barcelona stattgefunden haben, dass sie nur über die Unabhängigkeit verhandeln wollen. Das wäre Rechtsbruch nach der spanischen Verfassung, dieses zu tun, und ich glaube, das würde auch ein Beispiel geben in Europa. Da kommen vor allem die Korsen an und dort passiert es und dort passiert es. Ich glaube, das darf nicht das Ziel sein, zur Zersplitterung Europas beizutragen. Wir müssen ja auch sehen, dass die Katalanen ja nicht die armen Diskriminierten sind. Katalonien erwirtschaftet fast ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts Spaniens. Und die Katalanen sind nicht bereit zu teilen. Das wäre so, wenn Bayern oder Baden-Württemberg in Deutschland sagen, wir scheiden aus dem deutschen Staatsverband aus, wenn wir den Länderfinanzausgleich nicht reformieren würden.
Heckmann: Die Katalanen sehen das ein bisschen anders. Die sehen sich ungerecht behandelt, und zwar seit Jahrzehnten. Sie haben jetzt auf die Verhandlungsbereitschaft der katalanischen Seite abgehoben. Aber wie bewerten Sie denn die Verhandlungsbereitschaft Madrids?
Madrid hat "in den letzten Jahren Fehler gemacht"
Brok: Ich finde, dass man in den letzten Jahren Fehler gemacht hat, dass man nicht mit der notwendigen Sensibilität dort vorgegangen ist, und dass auch dieser Polizeieinsatz unverhältnismäßig war. Natürlich muss man das Recht durchsetzen. Der Verfassungsgerichtshof Spaniens hat beschlossen, das Referendum ist illegal. Danach muss sich eine Regierung richten. Aber ob man das mit einem solchen Polizeieinsatz macht, das ist die Frage, und da habe ich ja gesagt, dass ich diesen Einsatz für unverhältnismäßig und auch politisch unklug gehalten habe. Aber wir müssen noch einmal sagen, die fühlen sich diskriminiert, weil sie meinen, sie müssten zu viel von ihrem Geld an den Staat abgeben, sie möchten alles für sich behalten, was dort an Steuereinnahmen vorhanden ist, und das wäre ein System, das, glaube ich, nicht funktionieren kann. Es funktioniert in der Europäischen Union nicht, es funktioniert in keinem einzigen Staat. Da muss natürlich immer die Bereitschaft sein, dass reiche Regionen ärmeren Regionen in einem Verband helfen, und das ist der Ansatzpunkt, der, glaube ich, sehr zu kritisieren ist. Das ist auch in diesem Falle bei Schottland anders gewesen.
Heckmann: Die Katalanen, die fordern jetzt, die EU-Kommission solle sich einschalten. Auch die europäischen Grünen schließen sich dieser Forderung an. Muss man nicht sagen, Herr Brok, angesichts hunderter Verletzter, angesichts eines womöglich sogar drohenden Bürgerkriegs, kann man da immer noch von einer Einmischung in innere Angelegenheiten sprechen, wenn sich die Kommission jetzt einschalten sollte?
"Dann haben wir eine wirklich historische Konfrontation"
Brok: Die Kommission kann sich nicht einschalten, weil die Kommission nur sich einschalten kann, wie jeder Vermittler sich nur einschalten kann, wenn beide zur Vermittlung bereit sind. Diese Phase haben wir noch nicht erreicht. Und ich fürchte, dass das jetzt noch weitergehen wird. Wenn die das am Montag erklären, die Unabhängigkeit, dann wird die spanische Regierung Artikel 155 anrufen. 155 heißt, den Autonomiestatus völlig aufzugeben. Dann wird Katalonien zentral von Madrid regiert. Dieses wird neue Konflikte geben, die natürlich fast bürgerkriegsähnlichen Charakter haben müssen. Dann wird es in Spanien Neuwahlen geben. Die gegenwärtige Regierung oder diejenigen, die für die Einhaltung des spanischen Staatsverbandes sind, gegen die Unabhängigkeit Kataloniens, werden einen rauschenden Wahlsieg erringen und dann haben wir eine wirklich historische Konfrontation dort. Deswegen schauen wir da mit großer Sorge hin und wir hoffen, dass es dort Möglichkeiten und Hinweise gibt, dass man hier doch miteinander redet. Ich habe beispielsweise die Rede des Königs - ich meine, ich kann das nur von der Ferne beurteilen - nicht für klug gehalten. Der König hätte sich seine Brücke zwischen den beiden Seiten bewahren müssen, statt einseitig jetzt schon so in dieser deutlichen Form Partei zu beziehen, obwohl er natürlich wie gesagt das Recht auf seiner Seite hat.
Heckmann: Sie haben es gerade in einem kleinen Nebensatz gesagt, Herr Brok. Sie befürchten tatsächlich bürgerkriegsähnliche Zustände in Katalonien?
Brok: Ich weiß nicht. Was machen wir denn, wenn die Autonomie aufgehoben wird und die Regierungsgewalt übernommen wird und dann die Ministerien sich verbarrikadieren? Wie öffnet man das? Ich habe da große Sorgen, dass dieser Prozess sich weiter eskalieren könnte, wenn es nicht doch noch ein Einlenken gibt, und das wäre beispielsweise auch, wenn die katalanische Regierung sagt, sie sei bereit und offen für alle Arten von Verhandlungen und dass diese Verhandlungen nicht nur der Unabhängigkeit dienen, sondern dass auch der heutige Status von Katalonien in Spanien verhandelt würde, das heißt die Stärkung des Autonomiestatus oder so etwas, vielleicht auch über die Steuerverteilung, die ganz konkreten Punkte. Wenn man darüber verhandelt, dann gäbe es keinen Grund für die spanische Regierung, nicht zu verhandeln, und dann müsste man was tun und dann könnte man Unterstützung anbieten. Dazu sind wir dann auch in der Lage. Die Nordirland-Frage, wo es früher Bürgerkrieg gab, die ist ja im Wesentlichen auch von der Europäischen Union mitverhandelt worden, dieses Good Friday Agreement, das zu einem Friedensprozess geführt hat. Da gibt es schon Erfahrungen, da kann man stützend mit Programmen wirken, und dazu sollte man bereit sein. Aber das geht nur, wenn beide Seiten bereit sind, miteinander zu verhandeln, und wenn sich beide auf einen Moderator einigen.
"Katalanen wären aus der EU heraus"
Heckmann: Und das ist in der Tat die große Frage, ob beide Seiten dazu bereit sind. Letzte Frage, Herr Brok: Wenn am Montag oder in den folgenden Tagen diese einseitige Unabhängigkeitserklärung erfolgen würde und das am Ende auch durchgezogen würde, das wäre ja gleichbedeutend mit einem Austritt aus der EU. Ist das den Katalanen eigentlich hinreichend klar?
Brok: Ich fürchte, nein. Sie meinen, sie könnten dann in der EU weitermachen. Die Katalanen wären dann aus der Europäischen Union heraus und sie müssten einen neuen Antrag stellen, wieder hereinzukommen, und da hat Spanien wieder ein Vetorecht. Das muss nämlich einstimmig von allen Mitgliedsstaaten passieren, und dies wäre eine ökonomische Katastrophe für Katalonien. Deswegen wäre es sinnvoll, einen solchen wirklich breiteren Dialog zu führen. Aber wie gesagt, hier muss auch Bereitschaft zu sein, über andere Lösungen zu verhandeln als die Unabhängigkeit.
Brok: Wir werden die Entwicklung in Katalonien, in Spanien selbst natürlich weiter beobachten hier im Deutschlandfunk. Das war einstweilen ein Gespräch mit Elmar Brok, dem CDU-Politiker aus dem Europaparlament. Herr Brok, ich danke Ihnen für Ihre Zeit.
Brok: Ich danke auch.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.