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Katapult gegen Hoffmann&Campe
Alles nur geklaut?

Wenn Autoren einen Verlag verlassen, dann geschieht das gelegentlich im Streit. Ein Verlag, der den Stil seiner früheren Autoren nachahmt, das gibt es aber wohl eher selten. Arno Orzessek stellt in seiner Glosse deshalb fest: Das Verhältnis von Autoren zu Verlagen ist nicht immer leicht.

Von Arno Orzessek | 01.07.2020
Zwei sehr ähnliche Titel im Hoffmann & Campe Verlag
Gleiches Format, gleichartiges Cover, gleiches Text-Bild-Verhältnis, ähnliche Grafik und vor allem dieselbe Grundidee: Cover von Katapult und Hoffman&Campe (Buchcover Hoffmann & Campe)
Falls Sie den Schriftsteller Arno Schmidt nicht kennen sollten: Büchern Sie doch mal durch seine Werke! Sie werden über das nicht-lexikalische Verb "büchern" hinaus die funkelndsten Sprach-Schätzchen entdecken. Und zwar so viele, dass die Neuronen in Ihrem Kopf Stepptanz tanzen.
Doch das nur nebenbei. Uns geht es hier um ein Arno Schmidt-Zitat, das wir in dem Internet-Magazin 54books fanden: "Die Verleger trinken Sekt aus den Hirnschalen ihrer Autoren." Die Sentenz steht als fette Zwischenzeile in einem Aufsatz, in dem der buchverliebte Jurist und 54books-Gründer Tilman Winterling den krassen Knatsch zwischen dem Magazin Katapult und dem Verlag Hoffmann&Campe untersucht.
Sekt aus den Hirnschalen der Katapult-Leute?
Verdächtigerweise lässt sich das glanzvolle Hirnschalen-Zitat im Netz nirgends sonst nachweisen – außer eben bei 54books. Doch wir vertrauen Winterlings philologischer Akkuratesse. Und stellen nun endlich in arnoschmidtiger Diktion die Frage des Tages: Schlürft Hoffmann&Campe seinen Sekt etwa aus den Hirnschalen der Katapult-Leute?
Selbigen Verdacht kann man immerhin haben. Denn es ist ja so: Das verwirrend erfolgreiche Katapult-Team hat 2019 bei Hoffmann&Campe, kurz Hoca, das Buch "100 Karten, die deine Sicht auf die Welt verändern", veröffentlicht. Und angesichts dufter Verkaufszahlen die Branche noch mehr verwirrt. Indessen marschierten die Katapult-Leute nach großem Hickhack um die Prozente von Hoca rüber zu Suhrkamp.
Und es sei aus Undank, Rache oder Geschäftssinn, brachte Hoca mithilfe der Zeit-Autoren Tin Fischer und Mario Mensch kürzlich einen Buch-Klon auf den Markt: "Gute Karten – Deutschland, wie Sie es nie gesehen haben".
Zwei Bücher im direkten Vergleich
Katapult-Magazin
Katapult-Chefredakteur Benjamin Friedrich wirft dem Verlag Hoffmann&Campe und zwei Autoren der "Zeit" vor, den Stil seines Verlages zu kopieren.
Ein tumber Goliath
Gleiches Format, gleichartiges Cover, gleiches Text-Bild-Verhältnis, ähnliche Grafik und vor allem dieselbe Grundidee: Geographisch-soziologisch ausgepichte Karten samt Kurztexten über Wissenswertes und Schräges zum Schmökern mit Pfiff. Leute mit Grips und Humor schätzen so etwas, egal ob's von Suhrkamp oder Hoca verlegt wird; Leute ohne Humor eher nicht.
Wie die Kundenrezensionen bei Amazon jedem talentierten Küchenpsychologen verraten. Nun gut. Bestimmt erwarten Sie jetzt, dass wir Hoca wegen des Buch-Klons aburteilen. Schließlich scheint Katapult in diesem Scharmützel der sympathische David zu sein, Hoca der tumbe Goliath. Und, tja, so ist es tatsächlich. Wobei: Der Katapult-Gründer Benjamin Fredrich ist ein wirklich smarter David mit einer furchterregenden Gedankenschleuder.
Was Fredrich auf der Katapult-Website Hoca vor den Latz schleudert, das ist Punk, Rotze, Rock 'n' Roll, rhetorisch-stilistisch gesehen. Verglichen mit Fredrichs zorniger Totalverausgabung klingt Tin Fischers Entgegnung - er platziert sie auf seiner privaten Website - lahm und läppisch, irgendwie piefig.
Publizistisches Windmachen
Wer von beiden letztlich Recht hat? Wir haben einen Favoriten, verraten aber nicht, welchen. Drum lesen Sie bitte selbst, vor allem das Fredrich-Pamphlet. Das macht Spaß! Nur eins noch: Man hört, Hocas Klon-Buch sei seitens Katapult juristisch kaum anfechtbar, und deshalb schlachte Fredrich die Causa halt durch publizistisches Windmachen aus.
Wenn das stimmt, muss man sagen, dass wir ihm durch unsere Glosse Hilfe leisten. Und Sie, indem sie zuhören, zu Opfern seiner PR-Kampagne werden. Aber nichts für ungut, Benjamin Fredrich! Sie mussten halt erleben, was schon der alte Friedrich Hebbel wusste: "Es ist leichter, mit Christus über die Wogen zu wandeln, als mit einem Verleger durchs Leben."
Arno Orzessek. Seit 1966 Arbeiter- und Bauernsohn, geboren in Osnabrück. Studierte in Köln Philosophie und anderes. Dank "unverlangt eingesandt": SZ- und DLF-Autor; auch: zwei Romane. Lebt seit 2000 rundfunktreu in Berlin. Angesichts der Unordnung der Dinge thematisch unspezialisierter Stoffwechsel-Spezialist. Welt-Erfahrung per Motor- und Rennrad, plus Lektüre. Radio-Ideal: Geistvolles in sinnlicher Sprache; Ziel: Gedankenübertragung; Methode: Arbeit am Text; Verfassung: der Nächste bitte!