Katar, Anfang Oktober. Ich sitze mit etwas mehr als einem Dutzend Journalistinnen und Journalisten in einem Bus. Wir sind Teil einer Recherche-Reise, die das österreichische Journalistik-Institut fjum organisiert hat. Der Bus ruckelt durch die Straßen der Industrial Area von der Hauptstadt Doha.
Hier leben viele der Gastarbeiter, die die Stadien, Straßen und Hochhäuser im Land gebaut haben. Sie wohnen in beengten Unterkünften, direkt neben Schrottplätzen und Zementfabriken. Die Luft ist staubig. Es ist ein Ort, den man gesehen haben muss, um die WM-Glitzerwelt – nur wenige Kilometer entfernt – einordnen zu können.
Wir filmen aus dem Bus heraus – das ist erlaubt. Nach einigen Minuten sagt unser Fahrer: "Wir werden verfolgt." Und in der Tat: Ein weißer Jeep biegt jedes Mal mit uns ab – und als wir die Probe machen und rechts anhalten, bleibt der Wagen 30 Meter vor uns stehen. Florian Bauer, der für die ARD viele Jahre über die WM in Katar berichtet hat und auf dem Trip eine Art Reiseführer ist, stellt den Katari im Auto zur Rede.
Engmaschige Überwachung von Medienleuten
„Er sagt, er arbeitet da, und dann habe ich gefragt: 'Was arbeitet er denn da?' Und dann sagt er: 'Na, das ist ja nicht Ihr Business, das geht Sie also nichts an.' Auch das ist sehr ungewöhnlich, ein Katari würde immer sehr höflich antworten. So rude, also so hart zurückantworten, ist eher untypisch. Dann hab ich gesagt: 'Na gut, vielen Dank.' Habe mich verabschiedet und bin wieder gegangen. Wir sind dann weitergefahren. Das Auto ist uns dann irgendwann wieder gefolgt, hat uns dann irgendwann überholt, ist rechts abgebogen, hat dann direkt dann wieder gehalten. Also es war eindeutig: Dieses Auto ist uns gefolgt.“
Kurz vor der WM wollte offenbar jemand in Katar nicht, dass sich eine Gruppe ausländischer Journalistinnen und Journalisten unbeobachtet in der Industrial Area aufhält. Dass ausländische Medienleute engmaschig überwacht werden, sei kein Einzelfall, sagt Christian Mihr von Reporter ohne Grenzen.
„Einmal durch tatsächlich physische Überwachung, sogenannte Stoßstangen-Observation, wie man manchmal so sagt, so dass Leute sozusagen Autos sehr direkt Journalistinnen und Journalisten folgen. Wir wissen aber natürlich auch von digitaler Überwachung.“
Katar auf Rangliste der Pressefreiheit auf Platz 119 von 180
Alles Gründe, warum Katar in der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen auf Platz 119 von 180 landet. Und warum die ARD unter anderem folgende Sicherheitsmaßnahme ergreift.
„Wir raten grundsätzlich keine privaten und dienstlichen Geräte mitzunehmen. Wir stellen allen Mitarbeitenden der ARD dienstliche Laptops und Handys vom SWR zur Verfügung, und die werden dann hinterher auch alle wieder plattgemacht.“
Sagt Harald Dietz, SWR-Sportchef und Teamchef der ARD-WM-Berichterstattung. Nach Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften in Russland und China haben die Sendeanstalten inzwischen gewisse Erfahrung damit, aus autokratischen Ländern zu senden. Eine Herausforderung wird die WM in Katar aber trotzdem.
Der Golf-Staat sieht die WM auch als große Werbebühne – und versucht daher schon im Vorfeld zu kontrollieren, welche Bilder gemacht werden.
Strenge Vorgaben für Foto- und Videoaufnahmen
Wer eine Drehgenehmigung erhalten möchte, muss zum Beispiel akzeptieren, keine privaten Gebäude ohne vorherige Erlaubnis drehen zu dürfen. Auch Industriezonen sind ausgeschlossen – ob die Industrial Area darunterfällt, konnte das Organisationskomitee bis Redaktionsschluss nicht mitteilen.
„Ich glaube, man muss genau diese Auflagen im Zweifelsfall thematisieren, das ist, glaube ich, wichtig. Weil auch damit erzählt man ja etwas über Sport und Sportpolitik. Und Sport ist eben immer politisch.“
Sagt Christian Mihr. Das ZDF teilt auf Anfrage mit, dass sich der Sender für eine umfassende Berichterstattung auch außerhalb der Stadien einsetze. Man befinde sich mit der FIFA noch im Gespräch darüber, welche Auflagen es für die Drehgenehmigungen gibt. Der Weltfußball-Verband hat eine Menschenrechts-Policy verabschiedet, die auch freie Berichterstattung gewährleisten soll.
„Die Vergangenheit und die Person von FIFA-Präsident Gianni Infantino lassen uns zweifeln, ob es der FIFA ernst gemeint ist“, sagt Mihr.
Auf eine Anfrage, ob es die FIFA akzeptabel findet, dass Journalistinnen und Journalisten beim Drehen in der Industrial Area verfolgt werden und welche Maßnahmen der Verband während der WM ergreift, um freie Berichterstattung zu ermöglichen, hat der Verband nicht reagiert.