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Ein Jahr nach der Fußball-WM
Was sich an der Menschenrechtslage in Katar getan hat

Jahrelang stand Katar für Menschenrechtsverletzungen international in der Kritik, jahrelang versprach das Emirat Reformen. Nun, ein Jahr nach der WM 2022, stellt sich die Frage: Werden die Reformen auch umgesetzt?

Von Ronny Blaschke |
Blick auf eine Baustelle im Aspire-Sport-Park Doha bei Arbeiten vor der WM 2022
Zahlreiche Arbeiter waren in Katar auf den Stadionbaustellen für die WM beschäftigt, wie hier auf der Baustelle im Aspire-Sport-Park in Doha. (IMAGO / MiS / IMAGO)
Die Fifa hat mit der WM 2022 rund 7,5 Milliarden Dollar eingenommen. Ein Rekord. Und trotzdem hat der Weltverband bis heute keinen Entschädigungsfonds für jene Arbeiter aufgelegt, die verletzt wurden oder gestorben sind. Ellen Wesemüller von Amnesty International hält das für einen Skandal:
„Die erste Forderung ist, dass die Entschädigungen auch historische Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen berücksichtigen müssen. Zurzeit ist es so, dass die Menschen innerhalb eines Jahres von diesen Verletzungen diese vortragen müssen. Und wir sagen: Das reicht nicht. Wir würden gern, dass der gesamte Zeitraum von der Zusage zur WM 2010 bis eben nach der WM berücksichtigt werden kann.“
In einem neuen Report blickt Amnesty International auf die Menschenrechtslage in Katar. Die NGO erkennt an, dass Arbeiter inzwischen leichter ihre Jobs wechseln und das Land verlassen können. Zudem sei ihr Schutz vor Hitze verbessert worden.
Dennoch überwiegt die Kritik: Der Mindestlohn von rund 250 Euro wurde seit 2021 nicht erhöht. Und noch immer werden vereinbarte Löhne häufig nicht ausgezahlt. Das hat auch der Journalist Leo Wigger vom Nahost-Magazin „Zenith“ beobachtet, als er vor kurzem Katar bereist hat:
„Also die rechtfertigen das damit, die Unternehmen, dass quasi die Auftragslage das aktuell nicht zulässt, die Gehälter zu zahlen. Also da wird die Verantwortung für diese Wirtschaftspolitik schön weitergegeben von den meistens privatwirtschaftlichen Bauunternehmen, an die Ärmsten, an die Arbeiter.“

Horrende Gebühren für einen Job

Inzwischen können Arbeiter ihre Rechte in sogenannten „Streitschlichtungskomitees“ geltend machen. Doch häufig verfügen diese Stellen nicht über ausreichend Personal. Viele Arbeiter sind mit ihren Familien auf Jobs in Katar angewiesen. Aus Sorge vor der Ausweisung trauen sie sich oft nicht, gegen ihre Vorgesetzten vorzugehen. Auch, weil sie ihre Schulden abarbeiten müssen, sagt Ellen Wesemüller.
Und sie nennt als einen Grund die zum Teil horrenden Anwerbegebühren von Agenturen, die der Staat offiziell zurückdrängen wollte:
„Dass viele der Betroffenen, die mit uns geredet haben, erzählt haben, dass sie für die Arbeit auf der WM zwischen 300 und fast 4500 US-Dollar Anwerbegebühren bezahlen mussten. Und das, obwohl Katar eigentlich Maßnahmen ergriffen hat, und in den Hauptentsende-Ländern Visa-Zentren aufgebaut hat. Aber die Praxis zeigt: Das wirkt nicht. Die Menschen mussten horrende Summen zahlen, um arbeiten zu dürfen.“
Die katarische Herrscherfamilie bewarb die WM auch als Chance für „starke Frauen“ in der arabischen Welt und verwies immer wieder auf weibliche Führungskräfte. Weit weniger im Fokus aber stehen bis heute die weiblichen Hausangestellten, die zumeist aus Afrika und Südostasien stammen.

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Jetzt will Amnesty International den Blick auch auf sie lenken. Und auf Missbrauch und sexualisierte Gewalt. Ellen Wesemüller sagt:
„Wir haben in unserem neuen Bericht einen Fall einer Frau, die von ihrem Arbeitgeber so misshandelt wurde, dass sie bleibende Schäden am Rückenmark und am Bein erlitten hat. Sie ist in die kenianische Botschaft geflohen, um sich dort Hilfe zu holen. Um auch diese Menschenrechtsverletzungen, die wirklich massiv, anzuzeigen. Und es ist nichts passiert. Woraufhin sie im Februar wieder in ihr Land zurückgekehrt ist.“

Kritik der Zivilgesellschaft

Vor und während der WM kam die Kritik vor allem aus Westeuropa. Mitglieder der Herrscherfamilie hatten das als „westliche Arroganz“ bezeichnet. Womöglich einer der Gründe, warum Katar die Sponsoren-Partnerschaft mit dem FC Bayern auslaufen ließ.
Dennoch sei Katar an guten Geschäftsbeziehungen mit Deutschland interessiert, sagt der Islamwissenschaftler Sebastian Sons, der gerade ein Buch über „Die neuen Herrscher am Golf“ veröffentlicht hat:
„Gerade auch die Energiekrise nach dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine spielte Katar da auch in die Karten. Und um den besseren Deal auszuhandeln, kann man selbstverständlich diese antideutschen, antiwestlichen Gefühle, die es sehr wohl in Katar und in der gesamten Region gibt, die kann man auch nutzen und die kann man auch instrumentalisieren, um am Ende des Tages auch einen besseren Deal auszuhandeln.“
Katar ist aufgrund seines Flüssiggases gefragt, und auch wegen seiner Kontakte zu islamistischen Gruppen: zu den Taliban in Afghanistan oder zur Hamas in Gaza. Der katarische Emir ist ein willkommener Gast in westlichen Regierungssitzen, auch in Berlin.
Kritik an den Menschenrechtsverletzungen kam rund um die WM aus der Zivilgesellschaft, zum Beispiel von „Boycott Qatar“. Dieses Netzwerk aus Fans, Aktivisten und Autoren befasst sich auch nach der WM kritisch mit Menschenrechtsthemen. Nun unter dem Namen „Fairness United“, sagt Mitglied Susanne Franke. Eines der Themen: die EM 2024.
 „Weil uns natürlich Arbeitsrecht als Menschenrecht auch in Deutschland interessiert, bereiten wir gerade die Durchleuchtung und Befragung der Hauptsponsoren der EM vor“, sagt Franke. „Nicht, um Fingerpointing zu machen, sondern um genau das zu tun, nämlich auch im eigenen Land zu schauen, wer sind die Sponsoren, wie verhalten die sich denn wohl arbeitsrechtlich.“
Künftig will „Fairness United“ dann auch eines der nächsten Großereignisse genauer in den Blick nehmen: die wahrscheinliche WM 2034 in Saudi-Arabien.