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Fußball in Nahost (5)
Gebete auf der Tribüne

Zum ersten Mal findet eine Fußball-WM in einem islamisch geprägten Land statt. Doch auch außerhalb Katars prägen religiöse Einflüsse den Fußball im Nahen und Mittleren Osten. Häufig entladen sich konfessionelle Spannungen in den Stadien.

Von Ronny Blaschke | 12.11.2022
Eine Iranerin zeigt beim Besuch eines Fußballspiels im Stadion im Teheran das Victory-Zeichen.
Iranischen Frauen ist der Zutritt in die Stadien durch die religiösen Führer oft verwehrt. (dpa / picture alliance / Morteza Nikoubazl)
Nur wenige Länder im Nahen Osten sind so sehr von konfessionellen Spannungen geprägt wie der Libanon. Von den 18 anerkannten Glaubensgemeinschaften streiten sich vor allem drei große Gruppen um einflussreiche Positionen: Maronitische Christen, sowie schiitische und sunnitische Muslime.
"Das spiegelt sich dann eben auch im Fußball wieder. Die Vereine gehören dann auch immer einer Religionsgemeinschaft an. Es ist dann: Sunnitisch gegen Schiitisch, Maronitisch gegen Orthodox, Drusisch gegen Sunnitisch, oder was auch immer", sagt der Islamwissenschaftler Jakob Krais, der in seinem Buch "Spielball der Scheichs" den Fußball im Nahen Osten und in Nordafrika beschreibt.
Jakob Krais befasst sich darin auch mit den religiösen Trennlinien im Libanon. Die Fußballklubs Nejmeh und al-Ansar vereinen mehrheitlich Sunniten hinter sich. Sie sind finanziell von Saad al-Hariri abhängig, dem Sohn des früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri, der 2005 einem Attentat zum Opfer fiel.
Ihr Klubrivale al-Ahed zieht Schiiten an und liegt in der Obhut der Hisbollah. Auch Maroniten und Drusen unterstützen eigene Klubs. Gewalt und gegenseitige Manipulationsvorwürfe gehören zum Alltag, berichtet Jakob Krais: "Deswegen wurde im Libanon schon vor Corona Jahre lang ohne Zuschauer gespielt, weil es immer wieder zu Auseinandersetzungen gekommen war. Und da ist dann immer auch die Angst der Regierung, dass es nicht nur bei Fanausschreitungen bleibt, sondern dass sich bürgerkriegsähnliche Zustände entzünden können. Weil die Vereine auch so stark mit politischen Gruppen verflochten sind."

Christen werden in Ägypten an den Rand gedrängt

In der arabischen Welt ist der Islam die prägende Religion, allerdings mit vielfältigen Strömungen und Traditionen. Religiöse Minderheiten werden mitunter an den Rand gedrängt. In Ägypten etwa sind zehn Prozent der Bevölkerung koptische Christen. Mehrfach wurden sie angegriffen und schikaniert. Zehntausende Kopten haben Ägypten deshalb verlassen.
Wenige von ihnen schaffen es in einflussreiche Positionen: zum Beispiel der Fußballer Hany Ramzy, der ab Mitte der Neunziger Jahre auch für Werder Bremen und den 1. FC Kaiserslautern spielt.
Leo Wigger, Redakteur des Nahost-Magazins Zenith, befasst sich seit langem mit dem Fußball in der arabischen Welt und sagt: "Es ist aber tatsächlich so, dass von dieser Minderheit der Kopten kaum welche im ägyptischen Fußball anzutreffen sind. Also tatsächlich haben es nur rund ein Dutzend koptische Spieler geschafft, in den letzten 30 Jahren in die erste ägyptische Liga zu kommen. Aktuell gibt sogar nur einen einzigen koptischen Spieler in der ägyptischen Liga mit hunderten von professionellen Spielern."

Symbolfigur der Annäherung

In etlichen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sind religiöse Freiheiten an politische Entwicklungen gekoppelt. Im schiitisch geprägten Iran wird 2015 Andranik Teymourian zum Kapitän des Nationalteams ernannt – als erster Christ in 95 Jahren Verbandsgeschichte.
Teymourian gehört der armenischen Minderheit an, einer der besser integrierten Bevölkerungsgruppen im Iran, sagt Leo Wigger und erläutert den Kontext der Nominierung: "Es war die Zeit des Atomabkommens. Es war die Zeit, als die Moderaten im Aufwind waren. Aber die Ernennung von beispielsweise einem sunnitisch-belutschischen oder eines Baha’i als Kapitän der Nationalmannschaft, also von Minderheiten, die eine ungleich größere Diskriminierung erfahren. Eine solche Ernennung, das hätte noch einmal einen anderen Symbolcharakter gehabt."

Im Iran untersagt der Klerus den Frauen den Zugang zum Stadion

In kaum einem anderen Land wird der Fußball so sehr durch Religiosität geprägt wie im Iran. Doch es gibt Widersprüche: Jahrzehntelang untersagt der Klerus iranischen Frauen den Zutritt in die Stadien. Im selben Zeitraum bestreitet die Nationalmannschaft des Nachbarlandes Irak wegen der angespannten Sicherheitslage im eigenen Land ihre Heimspiele in Teheran.
Und irakische Frauen dürfen von den Tribünen aus zuschauen, berichtet Christoph Becker von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: "Vor dem Hintergrund, dass durchaus wesentliche Bestandteile der irakischen Bevölkerung genau wie die Iraner auch Schiiten sind, ist die religiöse Begründung für den Ausschluss iranischer Zuschauerinnen, auch wenn man kein abgeschlossenes Theologiestudium hat, durchaus anzuzweifeln."

Religiöse Katarer lehnen Bier im Stadion ab

Die FIFA untersagt eigentlich politische und religiöse Botschaften in den Stadien. Doch der iranische Verband setzt sich für seine strenggläubigen Zielgruppen darüber hinweg – und nimmt auch Sanktionen in Kauf. Christoph Becker nennt ein Beispiel: "So war zum Beispiel vor der Weltmeisterschaft 2018 ein Qualifikationsspiel rund um den Aschura-Feiertag, einen der höchsten schiitischen Feiertage, angesetzt. Das Spiel wurde nicht angepfiffen, bevor nicht auch entsprechende religiöse Slogans im Azadi-Stadion verbreitet wurden und Banner ausgerollt wurden. Und die Geldbuße wurde anschließend bezahlt und sehenden Auges in Kauf genommen.“
Viele iranische Frauen, die zu Hause nicht ins Stadion durften, können ihr Nationalteam nun bei der WM aus nächster Nähe unterstützen. In Katar spielt das Thema Religion in der Vorbereitung eine untergeordnete Rolle. Rund um die Stadien soll in den kommenden Wochen auch Bier mit Alkohol ausgeschenkt werden, allerdings nicht während der Spiele. Es ist ein Zugeständnis an westliche Zuschauer, das viele religiöse Katarer ablehnen.