Die großen Friedensgesten, sie gehören zu Welt-Sport-Ereignissen dazu. IOC-Präsident Thomas Bach spricht beispielsweise gerne über seine Bemühungen, Nord- und Südkorea zu versöhnen. Aber auch FIFA-Präsident Gianni Infantino ist dieser Zug nicht fremd. Erst bittet er auf dem G20-Gipfel um einen Waffenstillstand im Krieg in der Ukraine.
Am Tag vor der WM weist er in einer denkwürdigen Pressekonferenz dann noch auf ein historisches Ereignis hin, über das ihm zu wenig gesprochen wird: "Zum ersten Mal gibt es Direktflüge von Tel Aviv nach Doha, 11.000 Menschen, Palästinenser und Israelis gemeinsam."
Isarelische Journalisten von katarischen Fans beschimpft
Historisch, in der Tat. Da stimmt auch Raz Shechnick zu. Für den israelischen Journalisten von Jedioth Ahronot ist das aber nur ein Teil der Wahrheit. Zu Freunden sei man wirklich nicht geworden hier in Katar. Tagtäglich erlebt er Szenen wie diese hier rund um die Arenen: Katarische Fans beschimpfen ihn, sagen ihm, er sei nicht willkommen und Israel würde gar nicht existieren.
Dass er als Israeli in einem arabischen Land nicht nur positive Erfahrungen machen würde, das sei ihm vor der WM klar gewesen. Aber solche Szenen gingen deutlich darüber hinaus, so Shechnick: Er habe "nicht erwartet, umarmt zu werden oder Baklava geschenkt zu bekommen", sagt er. Er wisse auch, dass er als Israeli verhasst sei. Aber er wolle in Frieden arbeiten und nicht die ganze Zeit bedrängt werden.
Jerusalem Post: Mehr Diskriminierung in Katar, nicht nur gegen LGBT-Community
Ähnliches berichtet auch Emily Schrader. Die Kolumnistin der Jerusalem Post ist nicht nach Doha gekommen, sie beobachtet aus den Vereinigten Staaten das Turnier und schildert Erfahrungen ihrer Kollegen vor Ort. In Katar sei mehr Diskriminierung festzustellen. Das gelte aber natürlich für viele andere Gruppen auch, wie die LGBT-Community.
Mit Blick auf den Fußball-Weltverband FIFA wird sie kritisch. Diese WM hätte niemals nach Katar vergeben werden dürfen. Als Gastgeberland müsse man akzeptieren, sagt Schrader, das grundlegende Werte auch dann gelten müssen bei einer WM, wenn sie der eigenen Landestradition widersprächen.
Angriffe auf israelische Journalisten werden nicht unterbunden
Das sieht man beim Gastgeber aber offenbar anders, effektiv verhindert werden die Angriffe gegen israelische Journalisten nicht. Anfragen dazu lässt das Supreme Comitee der WM, wie so oft, unbeantwortet.
Was aber kann man als israelischer Journalist tun dagegen – wie kann man sich schützen? Eigentlich gar nicht, sagt Shechnick, er habe beschlossen "einfach den Debatten soweit wie möglich aus dem Weg zu gehen".
Zwischendurch kommt er, der auch viel über Kultur und die Unterhaltungsbranche schreibt, aus dem Kopfschütteln nicht heraus. Er könne das nicht verstehen, sagt er. Er wolle doch einfach nur über Fußball schreiben, den Sport, der ihn seit Kindertagen fasziniert. Es sei ein "Traum, der wahr wird, über eine WM zu berichten, fast so wie ein Interview mit Paul Simon oder Jennifer Lopez".
Mit dieser Definition einer WM würde sicher auch die FIFA sofort mitgehen. Entertainment, bunte Bilder. Politik ist nicht gern gesehen beim Turnier, sie ist aber gerade 2022 nicht heraus zu halten.
Solidarisierungswelle mit Palästina in Katar
Und das gilt auch für den Nahostkonflikt. Kaum ein Stadion, in dem nicht die "Free Palestine"-Fahnen zu sehen wären. Eine große Solidarisierungswelle mit Palästina, das kam auch für viele Beobachter überraschend.
Es sei aber eine direkte Reaktion vor allem auf den Auftritt der deutschen Mannschaft und von Innenministerin Nancy Faeser, meint Gerd Nonneman. Faeser hatte auf der Tribüne beim ersten Spiel die One-Love-Armbinde getragen, die die FIFA verboten hatte. Es habe "etwas getriggert", so der Politikwissenschaftler, der seit vielen Jahren als Experte für die Golfregion an der Georgetown University in Doha arbeitet. Pro-palästinensische Zeichen auf den Straßen und in den Stadien seien eine direkte Reaktion auf die One-Love-Debatte gewesen, so Nonneman.
Und es falle zusammen mit einer günstigen Gelegenheit: So viele vor allem junge Menschen aus arabischen Ländern an einem Ort, das vereine und das habe sich "vor allem im Zeigen der Palästina-Symbole" geäußert. Er beobachte das aber eher als Graswurzelbewegung von unten, "unter den Fans, nicht von Regierungs-Seite gesteuert".
Pro-Palästina-Demonstrationen kein Problem für WM-Organisatoren
Gegen palästinensische Symbole haben die Sicherheitskräfte nichts einzuwenden, sie werden durch alle Sicherheitskontrollen durchgewunken. Anfragen dazu beantwortet der Gastgeber ebenso nicht.
Aus der Ferne erkennt Emily Schrader aber dennoch ein Muster. Nur die Zeichen, die der Regierung genehm seien, dürften gezeigt werden. Auch das hält sie für "ein großes Problem dieses Turniers".
Der Blick in die WM-Zukunft könnte diese Frage noch einmal zu einem größeren Thema werden lassen. Die FIFA selbst hat eine mögliche gemeinsame Bewerbung von Israel mit den Vereinigten Arabischen Emiraten für 2030 ins Spiel gebracht. Das wäre "wirklich ein Meilenstein", so Schrader. Es könne eine massive Botschaft der Einheit im nahen und mittleren Osten senden.
Bis dahin dauert es noch, die FIFA hätte in jedem Fall die nächste Gelegenheit von einem völkerverbindenden, historischen Event zu sprechen. In ihrem Sinne wäre eine solche Botschaft in jedem Fall.