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Katarina Barley (SPD) über Kinderarmut
"Bürokratie für bedürftige Familien ist manchmal unzumutbar"

Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) schlägt vor, Kinderzuschlag und Kindergeld zusammenzulegen. Bislang nehme nur ein Bruchteil der einkommensschwachen Familien den Zuschlag in Anspruch, weil das Verfahren zu bürokratisch sei, sagte Barley im Dlf. Auch die Vielzahl föderaler Angebote gehöre überprüft.

Katarina Barley im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Bundesfamilienministerin Katarina Barley, SPD
    Bundesfamilienministerin Katarina Barley, SPD (dpa /AP /Michael Sohn)
    Sarah Zerback: Als arm gilt, wer monatlich weniger als 60 Prozent des bundesweiten Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat. Und bundesweit leben mehr als zwei Millionen Kinder in Familien, denen es so geht. Und darüber sprechen wir jetzt mit Katarina Barley, Bundesfamilienministerin und Sozialdemokratin. Guten Morgen, Frau Barley!
    Katarina Barley: Guten Morgen!
    Zerback: Übersprudelnde Staatskasse und jedes fünfte Kind in Armut. Wie passt das zusammen?
    Barley: In einem reichen Land, sollte man meinen, darf kein Kind arm sein. Kinder sind arm, wenn die Familie arm ist, wenn die Eltern arm sind. Das hat natürlich immer viel mit Arbeit zu tun, mit der Arbeitssituation. Wenn die Eltern keine Arbeit haben oder die Arbeit zu schlecht bezahlt ist, dann sind Kinder arm. Armut hat in Deutschland ein anderes Gesicht als in anderen Teilen der Welt. Hier muss kein Kind verhungern oder obdachlos sein, aber es bedeutet, nicht teilhaben zu können, nicht dabei zu sein, ausgeschlossen zu sein und leider – das bereitet mir auch große Sorgen – langfristig auch schlechtere Chancen im Leben zu haben. Wir wissen, dass zum Beispiel 70 Prozent der Kinder, die aus Geringverdiener-Familien kommen, selbst am Ende Geringverdiener sind. Auch unser Bildungssystem weist da noch ziemliche Lücken auf.
    "Man muss immer wieder neu beantragen"
    Zerback: Da haben Sie jetzt den Status quo beschrieben. Gleichzeitig macht die SPD, Ihre Partei, ja Wahlkampf mit sozialer Gerechtigkeit. Haben Sie da die Kinder schlicht vergessen?
    Barley: Nein! Es ist im Moment so, dass wir ein Sicherungssystem für Kinder haben, das aber nicht gut genug funktioniert. Wir haben das Kindergeld, was jedes Kind bekommt. Und wir haben ein Instrument für Kinder, die an der Armutsgrenze sind. Das nennt sich Kinderzuschlag. Bisher nehmen nur etwa 30 Prozent der Familien, die Anspruch darauf hätten, diese Leistung tatsächlich wahr. Das mag damit zu tun haben, dass sie diese Leistung nicht kennen, oder dass es zu bürokratisch ist. Man muss immer wieder neu beantragen und auch relativ viele Unterlagen dafür vorlegen. Aber wir sehen jedenfalls, dass diese Hilfe – das sind immerhin bis zu 170 Euro im Monat – nicht ankommt. Deswegen ist unser Vorschlag, dass man Kindergeld und Kinderzuschlag zu einer Leistung zusammenlegt, die man auch nur einmal beantragen muss, zusammen beantragen muss. Und ich würde gerne noch 31 Euro oben drauflegen. Dann hätte man nämlich, wenn man alles zusammenrechnet, 393 Euro. Das ist das durchschnittliche Existenzminimum eines Kindes. Und dann hätten wir wirklich für die Kinder den Betrag zur Verfügung gestellt, den sie im Durchschnitt – man kann das natürlich nicht immer ganz genau sagen – auch brauchen.
    Kindergeld für alle, aber Kinderzuschlag nur für Bedürftige
    Zerback: Aber von dem Kindergeld profitieren ja auch Kinder von Eltern, die eigentlich diese Unterstützung gar nicht brauchen. Wäre es da nicht besser, zielgerichtet zu unterstützen, wirklich einkommensabhängig diejenigen, die es wirklich am dringendsten benötigen?
    Barley: Genau das ist ja der Plan mit dieser Zusammenlegung von Kindergeld und Kinderzuschlag, weil das genau den Familien zugutekommt, die so an der Kippe sind, die vielleicht, wenn sie keine Kinder hätten, gerade so über die Runden kämen, aber dadurch, dass sie Kinder haben, in Armut geraten.
    Zerback: Kindergeld für alle anderen wird gestrichen. Verstehe ich Sie da richtig?
    Barley: Nein, nein! Nein, nein, überhaupt nicht.
    Zerback: Die bekommen es dann trotzdem?
    Barley: Das Kindergeld bleibt, aber diese zusätzliche Leistung des Kinderzuschlags, dass das eine gesamte Leistung wird, das kommt nur denen zugute, die wirklich an dieser Grenze sind. Und das Besondere an dieser Leistung, die dann zustande käme, wäre, dass man auch einen größeren Anreiz hat, selber durch Berufstätigkeit aus diesem SGB-II-Bezug, aus dem Hartz-IV-Bezug auch rauszukommen, weil die Spanne, die man dann überwinden muss, damit man rauskommt aus SGB-II-Bezug, nur noch ganz klein ist. Sie haben ja diese 170 Euro mehr pro Kind und brauchen nicht mehr so viel zusätzlich, um aus eigener Kraft dann den Lebensunterhalt bestreiten zu können.
    "Dürfen Kinder besser verdiendender Familien nicht ausschließen"
    Zerback: Frau Barley, trotzdem frage ich noch mal. Warum halten Sie an dem Kindergeld auch für diejenigen fest, die in einer Gehaltsklasse sind, die das eigentlich gar nicht bräuchten? Warum verteilt da der Staat Mittel ja nicht mal mehr mit der Gießkanne, sondern dem Rasensprenger? Fehlt da der Mut, ein gewisses Wählerklientel vielleicht auch nicht zu vergretzen?
    Barley: Wenn wir ganz ehrlich sind, ist es sogar noch krasser, weil ja die Besserverdienenden den Kinderfreibetrag wahrnehmen können. Die brauchen gar nicht das Kindergeld in Anspruch zu nehmen, die nehmen den Kinderfreibetrag in Anspruch, also eine steuerliche Vergünstigung, die sogar oft noch höher ist als 192 Euro. Das kann etwa bis zu 300 Euro werden. Das hat uns aber das Bundesverfassungsgericht so vorgegeben. Wir dürfen Kinder aus besser verdienenden Familien nicht von diesen Leistungen ausschließen. Und auch die Zweiteilung in Kindergeld und Kinderfreibetrag, das ist etwas, da würde ich sehr gerne drangehen. Da sagen uns aber die Verfassungsjuristen, dass da uns das Bundesverfassungsgericht im Weg steht.
    Armut, weil man Kinder habe, das dürfe nicht sein
    Zerback: Na gut. Die Verfassungsrichter am obersten Gerichtshof, die sagen aber gleichzeitig auch, das geht nicht, dass dem Staat ein armes Kind weniger wert ist als ein armer Erwachsener. Da sind die Hartz-IV-Regeln für Zehnjährige niedriger als für dessen Eltern. Wie kann das denn sein, dass es das dann trotzdem noch gibt?
    Barley: Na ja, doch. Dass die Kindersätze anders sind als Erwachsenensätze, das ist jetzt nicht verfassungsrechtlich zu beanstanden. Wenn ich dann sehe – das ist ja das Modell der Union -, dass sie das angleichen wollen. Das ist natürlich etwas, da wird dann wirklich mit der Gießkanne ausgeteilt, weil da geht die Schere, wenn man das macht, selbst wenn man auch das Kindergeld gleichzeitig erhöht, zwischen den Kindergeldempfängern und denen, die einen Steuerfreibetrag bekommen, noch weiter auseinander. Die Ungerechtigkeit wird im Grunde noch verschärft. Unser Modell will genau dem entgegenwirken, weil wir genau an der Stelle ansetzen, wo die Familien so gerade unter die Armutsgrenze fallen und sie eigentlich nur einen kleinen Tick noch brauchen, um aus eigener Kraft rauszukommen. Das hat ja auch was mit Respekt und mit Würde zu tun. Dass ich nur deswegen arm bin, weil ich Kinder habe, das darf in Deutschland wirklich nicht sein. Deswegen ist es so wichtig, gerade die Eltern zu unterstützen, die sich anstrengen, die ihre Familie ernähren wollen. Und an der Stelle mit diesem zusätzlichen Geld reinzugehen, das halte ich für den richtigen Weg, denn dann haben wir ja auch eine langfristige Wirkung. Wir wissen ja, wenn beide Elternteile arbeiten, dann sinkt das Armutsrisiko enorm. Und das hat ja auch Auswirkungen für den ganzen Lebensweg, sowohl der Eltern als auch der Kinder, zum Beispiel für die Rente insbesondere der Mütter.
    Leistungs-Flickenteppich gehöre in der nächsten Legislatur geprüft
    Zerback: Mehr Geld, habe ich Sie richtig verstanden, aber auch das bündeln, Maßnahmen auch erleichtern, zusammenfassen.
    Barley: Genau.
    Zerback: Lassen Sie mich da noch mal einhaken, weil es bleibt ja dennoch Fakt, dass es viele, viele Maßnahmen gibt in Deutschland, die im Gesamten genommen 200 Milliarden pro Jahr an Kinder verteilen. Aber warum gelingt es dann nicht, diesen föderalen Flickenteppich, den wir ja tatsächlich haben in Deutschland, den zu vereinheitlichen?
    Barley: Das ist wirklich eine gute Frage. Ich hatte ja bisher nur relativ wenig Zeit als Familienministerin. In einer neuen Legislaturperiode würde ich das Ganze erst mal angehen wollen, alle diese Leistungen mal zusammenzunehmen und auf den Prüfstand zu stellen. Denn wir haben wirklich in den Ländern ganz unterschiedliche Bedingungen, teilweise in den Kommunen ganz unterschiedliche Bedingungen. Nehmen Sie mal Kindergartenbeiträge etwa. Die sind kommunal völlig unterschiedlich. Auch welche Einkommensgrenzen Sie überschreiten müssen, damit Sie Beiträge bezahlen müssen in Kindergärten, ist völlig unterschiedlich. Und wir nehmen auch dort wahr, die Menschen wissen gar nicht, dass sie einen Anspruch auf Befreiung haben. Etwa ein Viertel der Familien, die von Kindertagesstätten-Beiträgen befreit wären, nehmen das nicht in Anspruch, weil sie das nicht wissen. Es wird immer Bürokratie beklagt in der Wirtschaft und so weiter. Die Bürokratie für Familien, die bedürftig sind, die ist manchmal wirklich unzumutbar und sie führt, wir nennen das, zu verdeckter Armut, weil Familien Leistungen gar nicht in Anspruch nehmen, die ihnen zustünden, damit sie aus der Armut rauskommen.
    Zerback: ... sagt Katarina Barley, Bundesfamilienministerin, und von der SPD ist sie. Besten Dank für Ihre Zeit heute Morgen in den "Informationen am Morgen", Frau Barley.
    Barley: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.