Die Europäische Union hat bisher fünf Sanktionspakete gegen Russland beschlossen. Die Staatengemeinschaft agierte dabei schnell, in relativ großer Einigkeit und setzte Maßnahmen um, die vor Kriegsbeginn undenkbar schienen, beispielsweise Maßnahmen gegen russische Banken. Doch diese Dynamik ist im Mai verloren gegangen. Die EU-Kommission werde einen vollständigen Importstopp für russisches Öl vorschlagen, kündigte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 4. Mai an. Ungarns Außenminister forderte daraufhin bis zu 18 Milliarden Euro, die sein Land brauche, um die Infrastruktur umzurüsten.
Die übrigen 26 Mitgliedsstaaten sollten nun ein Öl-Embargo ohne Ungarn auf den Weg bringen, sagte Katarina Barley (SPD) im Deutschlandfunk. Das sei natürlich „überhaupt nicht optimal“. Doch Orban werde man nur durch sehr viel Geld dazu bewegen können, einem Öl-Embargo zuzustimmen. Und dieses Geld würde dann in der Vetternwirtschaft von Orban verteilt werden. Darauf solle die EU sich nicht einlassen, man dürfe sich nicht von Ungarn vorführen lassen.
Barley: Jeder weiß, dass Ungarn ein korruptes System ist
Neben Ungarn seien auch Tschechien, die Slowakei und Bulgarien besonders betroffen, sagte Barley. Diese drei Staaten seien aber bemüht, gemeinsam mit der EU Lösungen zu finden, „alleine Ungarn nutzt das für seine politischen Spiele und auch, um wieder zusätzliches Geld nach Ungarn zu leiten.“ Victor Orban wolle damit fehlende Gelder aus dem Wiederaufbaufonds kompensieren, die wegen Defiziten bei der Rechtsstaatlichkeit gesperrt sind. „Da soll eben jetzt auf andere Weise Geld nach Ungarn und vor allen Dingen in die Kanäle von Orbans Familie und Clan“, sagte Barley.
Man habe gerade wieder ein Beispiel gesehen, dass deutliche zeige, dass Ungarn ein „offen korruptes System“ sei, sagte Barley. Im Mai 2022 sei die Verantwortung für die gesamte Autobahn-Infrastruktur wieder einmal an den reichsten Mann Ungarns und besten Schulfreund von Victor Orban, Lőrinc Mészáros, gegangen. Es gehe bei dem Auftrag um ein Volumen von 14,4 Milliarden Euro. 15 bis 18 Milliarden Euro fordere Ungarn, um die Infrastruktur so umzubauen, dass das Land ohne russisches Öl auskommt, es sei völlig klar, dass auch dieses Geld bei Lőrinc Mészáros oder alternativ bei Orbans Schwiegersohn oder seinem Vater, „das sind immer dieselben drei“, sagte Barley.
Das Interview im Wortlaut:
Jasper Barenberg: Frau Barley, ist die Geschlossenheit Europas gegenüber Putins Angriffskrieg am Ende?
Katarina Barley: Nun, das Verhalten Ungarns ist, glaube ich, nur ein Vorgeschmack, was diese Regierung auch in Zukunft betreiben wird, das wird sich nicht auf Russland beschränken. Das ist nicht auf Russland konkret gemünzt, jedenfalls nicht nur, auch, aber Viktor Orbán ist gerade mit großer Mehrheit wiedergewählt worden, und er wird uns jetzt in Zukunft häufiger Sand ins Getriebe streuen.
Barenberg: Also die Verantwortung für die Situation, für diese Blockade, für die Sackgasse, die liegt ausschließlich bei Viktor Orbán aus Ihrer Sicht?
Barley: Ja, ausschließlich. Sie haben es in dem Beitrag erwähnt, es gibt vier Staaten, die besonders stark betroffen sind von einem möglichen Ölembargo, Bulgarien gehört ja noch dazu, und all diese Staaten bemühen sich, eine Lösung dafür zu finden und die ganze Europäische Union mit ihnen. Alleine Ungarn nutzt das für seine politischen Spiele und auch, um wieder zusätzliches Geld nach Ungarn zu leiten, denn bisher ist ja dieser Wiederaufbaufonds blockiert wegen Rechtsstaatlichkeitsdefiziten. Da soll eben jetzt auf andere Weise Geld nach Ungarn und vor allen Dingen in die Kanäle von Orbáns Familie und Clan.
Barley: Beim Gas musste Deutschland Härten aushalten
Barenberg: Wir haben ja in dem Beitrag gehört – Sie haben es angesprochen –, Tschechien, Slowakei, Bulgarien, das sind andere Staaten, die erhebliche, sozusagen objektiv erhebliche Schwierigkeiten haben, unabhängig zu werden von russischem Öl. Wie leicht ist es, aus Deutschland in dieser komfortablen Situation, in der wir sind, zu argumentieren, jetzt stellt euch mal nicht so an, auch in Richtung Budapest?
Barley: Beim Gas hatten wir ja genau die umgekehrte Konstellation. Vom Gas sind wir sehr, sehr stark abhängig, und es ist für uns sehr schwer zu ersetzen, und da waren die anderen Mitgliedstaaten auch ziemlich, ja, ziemlich hart in ihrem Druck auf Deutschland. Wir haben es gerade im Europäischen Parlament auch erlebt, und wir haben ja auch nach allen Möglichkeiten gesucht. Klar, wir haben natürlich eine andere Wirtschaftskraft, wir haben andere Möglichkeiten, aber es ist ja nicht so, als wollte die EU diese Länder alleine lassen. Wir sehen diese Schwierigkeiten, die sie haben, durch den hohen Anteil an russischem Öl an der Energieversorgung und teils durch fehlenden Meerzugang, also dass man auch nicht so gut mit Schiffen beliefert werden kann. Das sehen wir ja und sind auch bereit, da zu helfen. Drei Länder sind ja auch bereit zu kooperieren, es ist ja nur eins, das es nicht tut.
„Ein offen korruptes Sytem“
Barenberg: Was ist an den Forderungen zum Beispiel von Viktor Orbán über Finanzhilfen aus Brüssel denn überzogen?
Barley: Nun, der Außenminister verlangt oder sagt, es kostet zwischen 15 und 18 Milliarden Euro, die Infrastruktur in Ungarn so herzurichten, dass man dann ohne russisches Öl auskommen könne – wie er auf diese Rechnung kommt, das wäre mal interessant zu wissen. Wir haben gerade in diesem Monat noch gesehen, wie die gesamte Autobahninfrastruktur, die Verantwortung dafür, wieder einmal an Orbáns besten Schulfreund gegangen ist, Herrn Mészaros, der Klempner ist und inzwischen der reichste Mann Ungarns. Das ist ein Volumen von 14,4 Milliarden Euro, für 35 Jahre ist diese Ausschreibung erfolgt, also das ist wirklich ein offen korruptes System, das weiß jeder in Ungarn, das weiß auch jeder in der EU. Es läuft ja jetzt auch endlich ein Verfahren deswegen, die Rechtsstaatskonditionalität, ein neues Instrument, hat endlich gezogen gegen Ungarn, nur gegen Ungarn. Alle wissen das, wo dieses Geld hingeht. Ich finde es schon fast dreist, jetzt zu sagen, wir wollen jetzt noch mal 15 bis 18 Milliarden Euro, wo jeder weiß, wo das Geld hingehen wird, wer diese Ausschreibung gewinnen wird. Das wird dieser Herr Mészaros sein und eventuell noch der Schwiegersohn von Herrn Orbán oder sein Vater, das sind immer dieselben drei.
Barley: Sanktionen von 26 Mitgliedsländern möglich
Barenberg: Genau, und wenn Sie von politischen Spielchen in diesem Zusammenhang sprechen und davon, das sei nur ein Vorgeschmack und Viktor Orbán würde, den Wahlsieg im Rücken, der Europäischen Union das eine oder andere Mal in der Zukunft Sand ins Getriebe streuen, heißt das für Sie, die Europäische Union sollte insgesamt hart bleiben und dann eben riskieren, dass auch nach dem Gipfel Ende Mai es kein sechstes Sanktionspaket geben wird?
Barley: Na ja, das Kind ist natürlich ein Stück weit in den Brunnen gefallen, weil man Viktor Orbán zwölf Jahre hat gewähren lassen. Also jetzt die Auswege zu finden, ist sehr, sehr schwierig, und vor allen Dingen bei dem Thema Russland. Er hat schon in seinem Wahlkampf zu Hause in den staatlichen Medien Putin-Propaganda den ganzen Tag laufen lassen, also da hat er sich klar positioniert. Ich sehe tatsächlich nicht, wie er einer Einigung zustimmen wird, wenn er nicht sehr, sehr viel Geld bekommt. Und da muss einfach die Europäische Union sich entscheiden, ob sie ihm das gibt.
Barenberg: Sind Sie bereit, diesen Preis zu zahlen?
Barley: Ich wäre es nicht.
Barenberg: Und dann ist damit die Geschlossenheit am Ende, damit sind wir am Anfang wieder unseres Gesprächs.
Barley: Na ja, wir müssten dann natürlich sehen, man kann ja auch trotzdem sich auf ein Sanktionspaket einigen oder Sanktionen verhängen. Das müsste dann eben im Einverständnis der übrigen 26 geschehen. Das wäre dann eben nicht etwas, was die EU macht, sondern was die einzelnen Mitgliedsstaaten machen könnten, müssten. Das ist überhaupt nicht optimal, ich will nicht sagen, dass ich mir das wünsche – es ist ja auch eine Demonstration von Viktor Orbán. Man muss immer sehen, das Ganze geht vor allen Dingen für das nationale Publikum über die Bühne. Er will jetzt die Europäische Union am Nasenring durch die Manege führen, und ich finde nicht, dass die EU sich das bieten lassen sollte.
Nicht tolerabel ist, dass sich westliche, europäische Politiker und Politikerinnen noch von Putin bezahlen lassen
Katarina Barley (SPD)
Barenberg: Frau Barley, sprechen wir noch über Gerhard Schröder, den Altkanzler und Gas- und Öl-Lobbyisten. Vor zwei Tagen erst hat das Europäische Parlament ja in einer Entschließung unter anderem Gerhard Schröder namentlich aufgefordert, seinen Posten aufzugeben, sonst sollte er auf die Sanktionsliste gesetzt werden. Jetzt also gestern die Ankündigung von Gerhard Schröder, einen Posten aufzugeben. Liegt für Sie ein Zusammenhang auf der Hand?
Barley: Das ist schwer zu sagen. Ich kenne jetzt Gerhard Schröder nicht gut genug, um das einschätzen zu können, aber ich glaube schon, dass es hilft, wenn man deutlich macht, dein Platz in den Geschichtsbüchern, der wackelt jetzt hier wirklich. Es ist nicht nur Gerhard Schröder, der davon betroffen ist, es geht um alle Politiker und Politikerinnen, die auf der Payroll von Putin stehen, zum Beispiel auch die ehemalige österreichische ÖVP-Außenministerin Karin Kneissl, die ihn ja sogar zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte, Wladimir Putin auch. Sie ist in diesem Beschluss namentlich genannt. Es geht um alle, die sich noch von ihr bezahlen lassen, dass die das jetzt beenden.
Barenberg: Und bei der Entscheidung von Gerhard Schröder muss man feststellen, oder das wäre die Frage: Es geht nicht um eine Distanzierung, das ist keine Distanzierung von Putin, sondern es geht mehr darum, dass Gerhard Schröder sich um sein Vermögen sorgt.
Barley: Ich bin mir da nicht sicher. Ich kann die Motive nicht einschätzen. Ich halte es sogar nicht für ausgeschlossen, dass er vielleicht sogar glaubt, er kann wirklich irgendwie noch was bewegen, vermitteln, ich weiß es einfach nicht. Ich weiß nur, dass es für uns insgesamt nicht tolerabel ist, dass sich westliche, europäische Politiker und Politikerinnen noch von Putin bezahlen lassen in dieser Situation, und das hat das Europäische Parlament sehr klar gemacht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.