Unter dem Eindruck des Krieges in der Ukraine, der Corona-Pandemie und der Hochwasserkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz soll der Bevölkerungs- und Katastrophenschutz in Deutschland verbessert werden. Das Bundesinnenministerium hat dazu einige Schritte auf den Weg gebracht, spricht von einem "Neustart im Bevölkerungsschutz" und hat mit einer Bestandsaufnahme der vorhandenen Schutzmaßnahmen begonnen.
In den nächsten zehn Jahren soll der Bund zehn Milliarden Euro bereitstellen - analog zum Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr. Das Geld muss der Bundestag allerdings erst noch bewilligen.
Wie steht es um den Zivilschutz in Deutschland?
Wie die Flutkatastrophe 2021 offengelegt hat, ist Deutschland auf solche Katastrophen nicht ausreichend vorbereitet. "Wir haben uns zu lang sicher gefühlt", sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). "Wir müssen die großen Versäumnisse aufarbeiten."
Von Warnsystemen bis zu Sanitätsmaterial und Notunterkünften gibt es beim Zivilschutz in Deutschland große Defizite. Bundesweit gibt es offiziell nur noch 599 öffentliche bunkerartige Schutzanlagen mit Platz für insgesamt knapp eine halbe Million Menschen. Die Bilanzierung laufe noch, teilte das Bundesinnenministerium dem Dlf mit. In welchem Zustand sich diese Bauten befinden, wisse man nicht. Denn Bunker ist nicht gleich Bunker. In manchen Schutzräumen können Menschen nur Tage aushalten, in anderen Wochen. Wie viele der Bunker auch atomare Strahlung abhalten können, ist unklar.
Zuständig für den Zivilschutz ist das dem Innenministerium unterstellte Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Bundesinnenministerin Faeser sieht die Schuld bei ihren Vorgängern, denn die Bunker wurden seit 2007 zurückgebaut. "Ich finde es auch nicht gut, dass die Vorgänger dort ein sehr massiven Abbau betrieben haben. Ich glaube, dass man sehr genau hingucken muss. Was kann man mit sehr einfachen Mitteln reaktivieren?" Der Rückbau sei gestoppt worden. Es gebe neben Bunkern aber auch weitere Schutzmöglichkeiten wie Keller in Massivbauten oder U-Bahn-Schächten, sagte Deutschlands oberster Zivilschützer, BBK-Chef Ralph Tiesler, im Dlf.
Bei den Warn-Apps für Handys gibt es noch technische Probleme, dazu soll das Sirenennetz flächendeckend ausgebaut werden. Der Bund will außerdem eine eigene Gesundheitsreserve aufbauen - unter anderem mit Masken, Schutzanzügen und Medizin. Diese sollen gelagert, aber auch schnell produziert werden können. Außerdem werden laut Faeser Notfall-Zeltstädte geplant, mit denen Schlafplätze, Gesundheitsversorgung, Strom, Wasser und Mobilität für jeweils bis zu 5.000 Menschen in kürzester Zeit aufgebaut werden können. Faeser will zudem ab 2023 einen Bevölkerungsschutztag unter anderem mit Informationen zur Selbstvorsorge einführen.
Die dringendsten Projekte fasst der BBK in seiner Zwischenbilanz so zusammen:
- eine bessere Koordination in Form des Gemeinsamen Kompetenzzentrums Bevölkerungsschutz (GekoB),
- eine bessere Warnung durch bestehende Warnmittel wie die Warn-App NINA und analoge Sirenen sowie das neue Warnmittel Cell Broadcast,
- eine Sicherheitspartnerschaft mit der Bevölkerung mithilfe des Lagebildes Bevölkerungsverhalten,
- mehr fachliche Qualifizierung durch eine Modernisierung der Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung (BABZ),
- mehr Reserven vorhalten sowie ein entsprechendes Register anlegen.
Welche Aufgaben bekommt das "Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz"?
Die Kompetenzen von Bund und Ländern sollen in einem Zentrum in Bonn gebündelt werden. In diesem neuen Kompetenzzentrum sollen sich Vertreter vom Bund - also das Bundesamt für Bevölkerungsschutz - und Vertreter der Länder einen Überblick verschaffen: Wo gibt es welche Rettungskräfte? In welchen Ländern gibt es welche Kompetenzen? Wo muss noch in welchen Bereichen nachgerüstet werden? Dazu werden dort Daten zusammengetragen, etwa Wetterdaten zur schnellen Vorhersage von bevorstehenden Unwetterkatastrophen und Daten über die bundesweite Verfügbarkeit von Ressourcen wie etwa Rettungshubschrauber oder Notunterkünfte.
Das Zentrum soll auch Entscheidungen treffen, wie unter wessen Führung reagiert werden soll. Der Bund bleibt jedoch im Wesentlichen für die Verteidigung des Bundesgebietes gegen Angriffe von außen und den Schutz der Bevölkerung zuständig. Der Katastrophenschutz bleibt Ländersache.
Wie soll das Frühwarnsystem verbessert werden?
Um die Bevölkerung vor Katastrophen zu schützen, müsse es zukünftig einen guten Warnmittel-Mix geben, sagte der neue BBK-Präsident Ralph Tiesler. Dafür müssten sowohl Sirenen als auch Warn-Apps ausgebaut werden.
So soll ein flächendeckendes System von Warnsirenen aufgebaut werden. Vorhandene Anlagen müssten an ein satellitengestütztes modulares Warnsystem angeschlossen werden. Auch das Cell-Broadcasting, also das flächendeckende Versenden von SMS-Warnungen an alle in einer Funkzelle eingeloggten Handys soll ab Frühjahr 2023 zur Verfügung stehen. Das gelte auch für die Apps. Die Warn-App NINA zum Beispiel hatte bei der Flutkatastrophe im Juli 2021 versagt.
Wie stellt sich das BBK unter seinem neuen Präsidenten neu auf?
Bundesinnenministerin Faeser hat Ralph Tiesler als Chef des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz berufen. Damit liege die dringend notwendige Neuaufstellung und massive Stärkung des Bevölkerungsschutzes in sehr guten Händen, sagte sie. Das BBK stand in den vergangenen Jahren immer wieder in der Kritik.
Tiesler will die Zusammenarbeit von Bund, Ländern, Kommunen, Wirtschaft, Wissenschaft und Bundeswehr beim Zivilschutz verbessern. Die Notwendigkeit ergebe sich aus den Erfahrungen aus der Hochwasserkatastrophe, der Corona-Pandemie und der Aufnahme von Flüchtlingen, sagte Tiesler im Deutschlandfunk.
Gestärkt werden müsse auch die Selbsthilfefähigkeit der Bevölkerung. Am Ende seien Krisenlagen oft so, dass von staatlicher Seite nicht alles bedacht sein könne oder staatliche Hilfe nicht ausreiche.
Quellen: Victor Gojdka, Tobias Krone, BMI, BBK, dpa, og