Katastrophenschutz
Ist das Land genügend auf den Ernstfall vorbereitet?

Nach dem Kalten Krieg wurde der Zivilschutz abgebaut. Doch mit dem russischen Angriff auf die Ukraine und dem Klimawandel stellt sich wieder die Frage, wie die Bevölkerung im Ernstfall geschützt werden kann. Zu tun gibt es viel.

    Auf einem Dach ist eine Sirenenanlage. Sie besteht aus mehreren Sirenen aus Metall, die in zwei Richtungen zeigen.
    Warnung im Ernstfall: Nach dem Kalten Krieg haben viele Kommunen ihre Sirenen abgebaut. Nun sollen wieder neue errichtet werden. (picture alliance / Daniel Kubirski)
    Deutschland muss in fünf Jahren „kriegstüchtig“ sein - das fordert Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Viele Milliarden Euro werden dafür bereitgestellt.
    Zugleich fehlt es in Deutschland allerdings an Sirenen, um die Bevölkerung vor Gefahren zu warnen. Der Zivilschutz lag lange Zeit brach. Das soll sich ändern, könnte aber an den Finanzen scheitern.

    Inhalt

    Was sind Bevölkerungs-, Zivil- und Katastrophenschutz?

    Bevölkerungsschutz ist ein Sammelbegriff, unter dem Zivil- und Katastrophenschutz zusammengefasst werden. Dabei gibt es unterschiedliche Zuständigkeiten.
    Die Bundesländer sind in Deutschland für den Katastrophenschutz zuständig. Dazu gehören beispielsweise Alltagsgefahren wie Naturkatastrophen, erklärt Ralph Tiesler, Präsident des Bundesamts für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK).
    Der Bund ist wiederum für den Schutz der Zivilbevölkerung im Kriegsfall zuständig - dem Extremfall des Bevölkerungsschutzes. Sirenen, um die Bevölkerung zu warnen, fallen in den Bereich der Kommunen.

    Was ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe?

    Das BBK gibt es seit Mai 2004, es gehört zum Geschäftsbereich des Bundesinnenministeriums. Seit 2022 ist Ralph Tiesler Präsident der Bundesbehörde mit ihren mehr als 500 Mitarbeitern. Das ehemalige Bundesamt für Zivilschutz war nach Ende des Kalten Kriegs aufgelöst worden. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und Elbe- und Oderflut fand dann ein Umdenken statt - das BBK wurde gegründet.
    Doch die Zuständigkeiten der Behörde waren lange unscharf. Inzwischen wird die Arbeit des BBK bestimmt von Pandemiebewältigung, Naturkatastrophen, Gefahren durch große Industrie- oder Kraftwerksunfälle und terroristische Bedrohungen, etwa bei Großereignissen.

    Kooperation mit der Bundeswehr

    Das BBK arbeitet mit anderen Behörden und Institutionen zusammen – denn der Zivil- und Katastrophenschutz ist auf das Technische Hilfswerk (THW), Feuerwehren und Rettungsdienste, aber auch auf Freiwillige von Hilfsorganisationen angewiesen.
    Ein anderer wichtiger Partner ist die Bundeswehr. Bisher galt: Reichen die zivilen Einsatzkräfte nicht aus, kommen Soldaten, um zu helfen: Sanitäter, Pioniere mit schwerem Gerät, Fernmelder und andere Einheiten.
    Das wird künftig anders sein, unterstreicht BBK-Präsident Tiesler. Die Bundeswehr müsse sich jetzt auf die Bündnis- oder Landesverteidigung vorbereiten, betont er. Deswegen werden künftig die Kapazitäten für Katastrophenschutz und Zivilschutzaufgaben fehlen, vermutet Tiesler.

    Wie steht es um den Bevölkerungsschutz in Deutschland?

    Die finanzielle Ausstattung des Bevölkerungsschutzes ist, anders als bei der Bundeswehr, offen. Während für die Streitkräfte ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro bereitgestellt wurde, fehlen Mittel für den Katastrophen- und Zivilschutz. BBK-Präsident Tiesler sieht eine große Finanzierunglücke.
    Forderungen, den Bevölkerungsschutz mit mehr Mitteln auszustatten, gibt es schon seit Jahren. Zehn Milliarden Euro über einen Zeitraum von zehn Jahren wurden 2022 vom damaligen niedersächsischen Innenminister und heutigen Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vorgeschlagen. Die Grünen fordern für den Zivilschutz zehn Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für die Bundeswehr.
    Im Kalten Krieg war die Lage anders. Damals lagen in der DDR und in der Bundesrepublik umfangreiche Konzepte für den Ernstfall vor. Doch spätestens mit dem Ende des Kalten Krieges wurden Notreserven, Vorratshaltung und Einsatzfahrzeuge abgebaut. Das betrifft auch Systeme, die vor Gefahren warnen.

    Fehlende Sirenen und geschlossene Bunker

    Ein Teil des Warnsystems ist das Sirenennetz. Doch das hat Lücken und muss nach seiner Demontage am Ende des Kalten Krieges wiederaufgebaut werden. Beispielhaft für die damit verbundenen Probleme ist die Lage in Berlin. Dort sollten bereits 2023 insgesamt 411 Sirenen in Betrieb sein. Doch auch 2024 sind es nur gut die Hälfte. Geplant sind derzeit 450 Sirenen im Berliner Stadtgebiet, eigentlich bräuchte es aber 580.
    Ähnlich ist die Situation bei Schutzräumen, etwa Bunkern. 2007 wurde beschlossen, diese zu schließen - auch wegen der hohen Kosten, die für ihren Unterhalt anfallen.
    Doch mit dem Ukrainekrieg hat ein Umdenken stattgefunden, erklärt BKK-Präsident Tiesler. Nun prüft das BBK, in welchem Zustand die rund 580 verbliebenen Schutzräume sind. Gemeinsam mit den Ländern erarbeitet das BKK ein sogenanntes nationales Schutzraumkonzept für Deutschland, auch Bunkerplan genannt.
    Das Bundesinnenministerium erklärte, dass alle potenziellen öffentlichen Zufluchtsräume wie Tiefgaragen, U-Bahnhöfe oder Keller erfasst werden sollen. Ziel ist die Erstellung einer Datenbank, die es ermöglicht, mithilfe eines Smartphones den nächstgelegenen Schutzraum zu finden.

    Kurze Vorwarnzeit, unklare Kosten

    Norbert Gebbeken, Leiter der Forschungsgruppe BauProtect an der Universität der Bundeswehr in München, hat mit seinem Team ein Konzept für Schutzräume entwickelt, die auch vor Naturkatastrophen schützen sollen. Dabei werden etwa hochleistungsfähige Werkstoffe wie Faserbeton eingesetzt. Diese Schutzräume könnten bei Neubauten von Anfang an eingeplant werden, während bei Bestandsgebäuden spezielle Anpassungen erforderlich wären.
    Der Ukraine-Krieg hat gezeigt, dass moderne Bedrohungen wie Drohnen und Raketen den Zivilschutz vor große Herausforderungen stellen, denn diese sind schneller und präziser. Gebbeken erklärte, aufgrund der kurzen Vorwarnzeit und der unklaren Kostenfrage sei die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Schutzräumen in absehbarer Zeit schwierig. Außerdem stelle sich die Frage nach der fairen Verteilung der Schutzräume, in die nur eine begrenzte Anzahl von Personen passe.

    Wie können sich Menschen auf den Ernstfall vorbereiten?

    Das Bundesamt will die Bevölkerung ermuntern, in Eigenheimen Schutzräume einzurichten. Dafür bieten sich nach BBK-Angaben Keller an, aber auch Tiefgaragen. Insgesamt soll die Bevölkerung besser darüber aufgeklärt werden, wie sie sich in Bedrohungslagen schützen kann.
    Für BBK-Präsident Ralph Tiesler steht fest: Was für den Katastrophenschutz gut ist, zahlt auch auf den Zivilschutz ein – und andersherum. Denn die Auswirkungen einer Naturkatastrophe, eines Industrieunfalls oder eines Krieges können ähnlich sein.
    Fachleute raten davon ab, sich im Ernstfall zu sehr auf staatliche Hilfe zu verlassen. Denn die Möglichkeiten für staatliche Stellen, bei Notlagen wie Stromausfällen, bei großen Katastrophen oder im Krieg zu helfen, sind beschränkt. Im Notfall könnte es schwierig werden, Lebensmittel und Trinkwasser zu kaufen. Daher sollten sich Menschen einen Lebensmittelvorrat anlegen, mit dem sie zehn Tage überbrücken können, rät das BBK in seinem Ratgeber für Notfallvorsorge und richtiges Handeln in Notsituationen.
    Wenn der Strom ausfällt, funktioniert Vieles, was normalerweise selbstverständlich ist, nicht mehr: das Licht, der Herd, der Kühlschrank, Teile die Wasserversorgung, das Internet, die Geldautomaten, Handys können nicht mehr geladen werden. Das BBK empfiehlt daher Lichtquellen anzuschaffen, die nicht vom Strom abhängig sind, wie batteriebetriebene Lampen und Kerzen – und natürlich Ersatzbatterien.
    Außerdem benötige man Streichhölzer und sollte einen Wasservorrat von zwei Litern Wasser pro Tag und Person anlegen sowie Nahrung für zehn Tage vorrätig haben, idealerweise Lebensmittel, die nicht gekocht werden müssen, zum Beispiel Obstkonserven und Gemüse, Brot, Nüsse, Kekse oder Salzstangen. Ein batterie- oder kurbelbetriebenes Radio ist sinnvoll, um sich über die aktuellen Entwicklungen informieren zu können. Auch Medikamente, Desinfektionsmittel, Hygieneprodukte und Bargeld sollte man immer im Haus haben.

    In Kursen das Nötigste lernen

    Sich auf den Ernstfall vorbereiten, tun aber längst nicht alle, weiß Edith Wallmeier, Geschäftsführerin für Einsatzdienste und Bildung beim Arbeiter-Samariter-Bund. „Wir sind nicht ausreichend vorbereitet als Gesamtbevölkerung in Deutschland“, sagt sie. Sinnvoll sind daher so genannte EHSH-Kurse: Erste Hilfe mit Selbstschutzinhalten. Ziel dieser Kurse ist es, die Fähigkeit der Bevölkerung zur Selbsthilfe und zur Fremdhilfe im Zivilschutzfall und in außergewöhnlichen Notlagen bis zum Eintreffen professioneller Hilfskräfte zu steigern. Doch die Zukunft der EHSH-Kurse ist ungewiss. Ob es sie zukünftig weiterhin geben wird, hängt von der Haushaltslage des Bundes ab.

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