Archiv


Kate Bush und 65 Minuten Winteralbum

Kate Bushs neues Album "50 Words Für Snow" ist ein winterliches Konzeptalbum mit ganz neuen Kate-Bush-Songs. Erklärungen gab es dazu keine, Interviews auch nicht - so dass man sich dieses ungewöhnliche Werk selbst erschließen muss.

Von Eric Leimann | 19.11.2011
    Diese Stimme gehört nicht Kate Bush, sondern ihrem 13-jährigen Sohn Albert. Albert, genannt "Bertie" spricht die Schneeflocke, die über neun Minuten und 47 Sekunden ihre Reise von der Wolke bis zum winterlichen Boden antritt. "Snowflake" ist der erste von nur sieben Titeln auf Kate Bushs neuem Album, von denen der kürzeste knapp sieben Minuten lang ist.

    "50 Words For Snow" ist trotz seiner winterlichen Ruhe ein radikales Album, vielleicht sogar das radikalste Kate-Bush-Album seit "The Dreaming" von 1982. Damals begann die Britin mit Samples zu komponieren und ihre Songwriter-Musik zu dekonstruieren.

    2011 besteht Kate Bushs Radikalität vor allem in ihrer Ruhe. Der erste richtige Beat dieses Albums setzt etwa bei Minute 35 ein. Zuvor gibt es den Fallgesang eingangs erwähnter Schneeflocke, eine knapp 14-minütige Sexgeschichte mit einem Schneemann, die erwartet tragisch endet, und den Eiswasserleichensong "Lake Tahoe", der einem Schubertschen Kunstliedzyklus zu entstammen scheint...

    "50 Words For Snow", dieses - sagen wir - Konzeptalbum über winterliche Mythen nimmt sich bei allem, was es tut, unendlich viel Zeit. Ruhige Erzählflüsse, erstaunlich klar formulierte Lyrik, dazu an Keith Jarrett gemahnende Pianokaskaden. Feine Geigenarrangements, Tupfer von Gitarren, Trommeln, organisch brummende Bässe. Manchmal hält ein Song einfach für einige Sekunden an, um einen Schwarm winterlicher Krähen am grauen Himmel passieren zu lassen.

    Und doch gibt es auf "50 Words For Snow" noch eine andere, früher hätte man vielleicht gesagt, eine B-Seite.

    Ab Beatminute 35 folgen noch vier Stücke, die etwas diesseitiger zu sein scheinen. Sofern man das behaupten kann von Liedern wie dem hier gehörten "Wild Man", das gespickt mit zungenbrecherischen Orten im Himalaja Geschichten über den Schneemenschen , den Yeti sammelt...

    Der britische Sänger Andy Fairweather Low singt diesen herrlich überdrehten Yeti-Refrain. Ihn kennt man als Sänger für Eric Clapton oder Roger Waters. Noch bekannter, ja sogar ein alter Held von Kate Bush, ist ihr Duettpartner auf dem Stück "Snowed In At Wheeler Street".

    Ja, tatsächlich: Es ist Elton John, der hier mit Kate Bush eine vielleicht etwas überspannte Ballade singt. Sie erzählt von einem mythischen Liebespaar, das sich über die Jahrhunderte immer wieder an Krisenpunkten der Weltgeschichte trifft und verliert: brennendes Rom, Paris 1942, 9/11 in New York. Die Tagebücher des ein oder anderen Vampirs lassen grüßen.

    Und dann, ja dann, muss noch das Titelstück erwähnt werden - "50 Words For Snow", ein Rezitierstück. Der britische Multikünstler Stephen Fry zählt darin tatsächlich vor swingendem Latin-Klangteppich 50 Synonyme für das Wort Schnee auf. Darunter Klanggebilde wie "Shnamistoflopp'n" oder "Terrablizza"

    "50 Words For Snow" - das Album - endet dann aber doch so kontemplativ wie es 65 Minuten zuvor begonnen hat. Mit der nackten Ballade "Among Angels", die nur ein Piano und Kate Bushs zum warmen Alt gereifte Stimme erklingen lässt. Was bleibt zurück von Bushs stimmungsvollen bis absurden Schneegeschichten? Eigentlich eine ganze Menge, denn "50 Words For Snow" transportiert eine große künstlerische Albumvision von Musik, die ihre Leerstellen und Pausen feiert. Die Kunst der Weglassens, des Wartens, der Fantasie wurde im Pop lange nicht mehr so radikal vorgetragen. "50 Words For Snow" mag in klassischen Songstrukturen gedacht ein wenig zerfasert wirken. Als Klanggemälde, als winterliche Abenteuerreise ist dieses Zuhöralbum jedoch sowohl lyrisch wie auch akustisch überraschungsreich und ausgesprochen stimmungsvoll. Vielleicht - und das wäre bei dieser Karriere eine echte Sensation - hat Kate Bush ihre beste Zeit noch nicht hinter sich.