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Kate Manne
"Down Girl. Die Logik der Misogynie"

Trotz Frauenbewegung, Antidiskriminierungsgesetzen und hohem Bildungsniveau: Frauen haben es nach wie vor schwerer, in der Welt voranzukommen. Warum das so ist, hat die US-amerikanische Philosophin Kate Manne ergründet, sie ist den unterschiedlichen Ausprägungen von Frauenfeindlichkeit nachgegangen.

Von Tamara Tischendorf |
Das Buchcover von Kate Manne "Down Girl". Im Hintergrund: Zwei Frauen halten Plakate, auf denen steht "Smash the Patriarchy" und "Stand up for Women".
Rollenkonformes Verhalten werde belohnt, schreibt Kate Manne, Emanzipation erfahre Gegenwehr. Im Hintergrund Demonstration für Frauenrechte in Berlin-Neukölln. (Verlag Suhrkamp / Christian Mang/imago)
Solidarität unter Frauen – das ist nach wie vor selten. Aber es gibt sie, wie die MeToo-Debatte im Herbst 2017 gezeigt hat. Unter dem Hashtag #MeToo machten Millionen Frauen auf sexuelle Gewalt und Diskriminierung aufmerksam. Vorausgegangen war der Skandal um den Filmproduzenten Harvey Weinstein, dem mehrere Frauen sexuelle Belästigung, Nötigung und Vergewaltigung vorgeworfen hatten. Unzählige Opfer legten daraufhin selbst erlittenes Unrecht offen und klagten strukturelle Gewalt an. Als hätten sie das Buch der Moral- und Sozialphilosophin Kate Manne gelesen – und dessen Pointe vorweggenommen. In ihrem fast fünfhundertseitigen Konvolut über die "Logik der Misogynie" rückt Kate Manne die weibliche Perspektive auf Frauenverachtung ins Zentrum der Betrachtung. Und: macht sich für selbstbewusste, solidarische Opfer stark:
"Denn sich zu Wort zu melden kann insofern ein Ausdruck von Handlungsfähigkeit und ein subversiver Akt sein, als es die moralische Erzählung von den herrschenden Standardversionen abrückt und die eigene Situation jenen vor Augen führt, die ansonsten nichts davon erfahren würden. Dritte mögen Mitgefühl empfinden oder sogar mit noch mehr Feindseligkeit und Verärgerung darauf reagieren. Aber zumindest werden sie um die Realität der Kränkung oder der tatsächlich andauernden Herrschaft wissen. Und das kann für Menschen, die zu Opfern gemacht wurden, eine große Rolle spielen.
Frauenfeindliche Dynamiken dingfest gemacht
Frauenfeindlichkeit kennt viele Gesichter. Sie kann sich äußern in körperlicher Gewalt oder in verbalen Drohungen, in Verunglimpfungen, im Mundtot machen, Beschämen, Verspotten und so weiter.
Kate Manne füllt acht weitschweifige Kapitel mit Beispielen aus aktuellen Zeitungsartikeln, zieht Gerichtsprotokolle, Tweets und literarische Quellen heran. Ein Kapitel etwa behandelt einen Amoklauf im kalifornischen Isla Vista im Jahr 2014. Ein andres die Opferkultur. Dabei geht die Philosophin reichlich willkürlich vor. Ihr Anspruch, ihren Gegenstand aus moralphilosophischer, analytischer und feministischer Perspektive zu ergründen, hätte auf eine konzisere, geschichtsbewusstere und systematischere Darstellung hoffen lassen. Dennoch ist es erhellend, welche frauenfeindlichen Dynamiken sie dingfest macht und ihrem Publikum wieder und wieder vor Augen führt.
Eine Grundlinie ihrer Argumentation: Frauenfeindlichkeit sei nicht in erster Linie als Frauenhass einzelner Personen zu verstehen. Kate Manne erklärt sie vielmehr als, Zitat, "Auswuchs patriarchalischer Ideologie":
"Obwohl Misogynie häufig einen persönlichen Ton anschlägt, ist es am produktivsten, sie als politisches Phänomen zu begreifen. Ich vertrete insbesondere die Ansicht, dass Misogynie als System zu verstehen ist, das innerhalb der patriarchalischen Gesellschaftsordnung dafür sorgt, dass die Unterwerfung von Frauen durchgesetzt und kontrolliert und die männliche Herrschaft aufrechterhalten wird."
Emotionale und reproduktive Arbeit frei Haus
Frauen und Mädchen, so argumentiert Kate Manne, bewegten sich in einem "negativen Kraftfeld", das durch sexistische Grundannahmen geprägt sei. Die fatalste Dynamik ergebe sich daraus, dass Frauen im gesellschaftlichen Kontext nach wie vor stillschweigend als "gebende Menschen" begriffen würden.
"Wenn das Patriarchat hier und jetzt, also in Kulturen wie den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Australien existiert, dann besteht es meiner Ansicht nach weitgehend (wenngleich keineswegs ausschließlich) in dieser ungleichen, gendergeprägten Ökonomie des Gebens und Nehmens moralischer und sozialer Güter und Dienstleistungen. Die Kehrseite eines Anspruchs ist in der Regel eine Verpflichtung: Jemand schuldet ihm etwas.
Gemäß traditioneller Geschlechterrollen hätten Frauen Männern etwa Aufmerksamkeit, Bewunderung, Fürsorge, Trost, sexuelle, emotionale oder reproduktive Arbeit frei Haus zu liefern. Täten sie es nicht oder beanspruchten sie selbst Gleiches für sich, müssten sie mit harten Strafen rechnen. Rollenkonformes Verhalten dagegen würde belohnt.
"Wenn ein Mann also tatsächlich diese unberechtigte Anspruchshaltung gegenüber Frauen hat, neigt er dazu, von Frauen falsche oder unberechtigte Pflichten einzufordern. Zudem mag er eine Frau, die Güter, die sie ihm bereitstellen soll, von ihm verlangt, als Ärgernis und Schande empfinden. Das wäre gerade so, als verlange die [...] Kellnerin, von ihrem Gast bedient zu werden, nachdem sie seine Bestellung nicht aufgenommen hat."
Dieses einfache Grund-Muster - und Ableitungen daraus - erlauben es Kate Manne, die vielen unterschiedlichen Ausprägungen von Frauenfeindlichkeit in weiten Teilen schlüssig zu erklären: Warum zum Beispiel Hillary Clinton übertrieben feindselige Reaktionen hervorrief, als sie das Präsidialamt für sich beanspruchte. Warum die Loyalität vieler Frauen eher mächtigen Männern gilt als einander – selbst, wenn es sich um Vergewaltiger handelt. Und warum gerade in Zeiten der Emanzipation die frauenfeindliche Gegenwehr Amok läuft. Kate Manne trägt all dies mal im Stil der distanzierten Analytikerin vor, mal als engagierte, auch emotional betroffene Feministin, die verzweifelt gegen den reaktionären Rollback in den USA anschreibt. Ein etwas dissonanter Soundtrack zur strukturellen Gewalt. Aber: Er macht hörbar, wie stark die Situation selbst der privilegiertesten Frauen immer noch von Diskriminierung geprägt ist.
Kate Manne: "Down Girl: Die Logik der Misogynie",
Suhrkamp, 500 Seiten, 32 Euro.