Natürlich fing das alles nicht erst gestern an. Nicht mit der großen Finanzkrise 2008, nicht mit dem Crash der Investmentbank Lehman Brothers und schon gar nicht mit Donald Trump. Es genügt ja ein Blick zurück in die 80er Jahre. Die Welt, sie war schon damals aus den Fugen, und Ökonomen haben es entweder nicht bemerkt oder sie wollten es nicht bemerken.
Kate Raworth hat die Entwicklungen registriert und ihre eigene Theorie entwickelt. Es ist eine radikale Abkehr von der gängigen Wirtschaftslehre. "Wie wäre es, wenn wir nicht die etablierten, althergebrachten Theorien an den Anfang der Ökonomie stellen, sondern stattdessen die langfristigen Ziele der Menschheit, und versuchten, ein ökonomisches Denken zu entwickeln, das uns in die Lage versetzt, diese Ziele zu erreichen? Ich machte mich daran, ein Bild dieser Ziele zu zeichnen, das schließlich, so verrückt es klingen mag, wie ein Donut aussah - ja, wie ein amerikanischer Donut mit einem Loch in der Mitte."
Eine Art neue Weltformel
Das sind die Fakten: Fast ein Zehntel der Menschheit hat nicht genug zu essen, zwei Milliarden Menschen leben von weniger als drei Dollar am Tag, und der große Finanzcrash hat die sozialen Ungleichzeiten weiter verschärft. Ein Prozent der Reichsten soll mehr Güter auf sich vereinen als die restlichen 99 Prozent - wenn das stimmt, dann ist die Welt nicht nur ungleicher geworden. Sie entwickelt sich gerade auch zurück.
Dagegen setzt Kate Raworth nun also den Donut als eine Art neue Weltformel. In der Mitte das gesellschaftliche Fundament, darum der Kreis aus Ökologie, Politik, Wirtschaft, irgendwo darin der ideale Raum: Sicher, gerecht, nachhaltig.
"Süße, frittierte Donuts mögen als eine seltsame Metapher für die Ziele der Menschheit erscheinen, doch dieses Bild sprach mir aus der Seele (…). Und es brachte mich zu einer grundlegenden Frage: Wenn das Ziel der Menschheit im 21. Jahrhundert darin besteht, in das Innere des Donuts zu gelangen, welche ökonomische Denkhaltung eröffnet uns dann die besten Chancen, dies zu erreichen?"
Ein Wirtschaftsbuch ohne Wirtschaft
Die Antwort lautet: Die, die unbedingt wegführt von der Herrschaft der klassischen Kennzahlen des BIP, des Bruttoinlandsprodukts. Einer Kennzahl aus der Zeit der Wirtschaftskrisen, des Kalten Krieges, eine "oberflächliche Messgröße", findet die Autorin. Dagegen setzt sie die anderen Größen: Bevölkerungsentwicklung, die Verteilung der Ressourcen, veränderte Ansprüche der Menschen, und Regierungen, die ihre Gesellschaften anders definieren als über jährliche Wachstumsquoten.
Kate Raworth macht aus diesem Vorhaben eine Art interdisziplinäre Übung - und, wenn man so will, ein Wirtschaftsbuch, das die Wirtschaft hinter sich lässt. Die Ökonomie wird bei ihr zum großen Welttheater, das nach Jahrzehnten endlich einen neuen Plot braucht. Vorhang auf also für das runde Gebäck. Nach Shakespeares "Sturm" - Raworths schöne Metapher für das Chaos in der Welt - wird nun der große Bühnen-Donut gegeben. Das neue Stück könnte den Titel haben: "Gebt dem Theater die Hauptfiguren zurück - die Menschen."
"Die Ökonomie mag ein Theater sein, aber die Hauptrollen werden niemals auf den ersten Seiten des Stücks ausdrücklich genannt. Die Rollen kennen wir alle, man hat uns eingetrichtert, dass der Markt effizient, Handel eine Win-win-Situation ist. Angesichts eines solchen Ensembles strebt die sich entfaltende Handlung scheinbar unweigerlich auf einen Triumph des Marktes zu. Man sagte uns auch, das Finanzsystem sei unfehlbar - nur dieser Teil der Geschichte löste sich während der Finanzkrise 2008 so öffentlich in Rauch auf, dass sogar die Autoren zugeben mussten, dass sie falsch klang. Es wurde immer offensichtlicher, dass die neoliberale ökonomische Handlung (…) uns in ein perfektes Unwetter aus extremer Ungleichheit, Klimawandel und Finanzkrise gepeitscht hatte."
Wirtschaftsgeschichte als Drama
Liberale Ökonomen wie Friedrich Hayek oder Milton Friedman? Laut Kate Raworth waren das Bühnenautoren, die Jahre warten mussten, bevor man ihr Stück endlich aufgeführt hatte. Dafür dann umso erfolgreicher, nachdem Politiker wie Margaret Thatcher und Ronald Reagan auf der Besetzungsliste landeten, um, so die Autorin, "das neoliberale Theaterstück auf die internationale Bühne zu bringen". Die letzten Jahrzehnte Wirtschaftsgeschichte als Drama also, in den Hauptrollen: der Markt, die Unternehmen, die Finanzwirtschaft, der Staat. "Unzweifelbar ein brillantes Line-up - und fast ein abgekartetes Spiel", schreibt sie.
Das aktuelle Stück für das neue Jahrhundert soll nun anders gehen. Natürlich, und das weiß auch die Autorin, weist die Dramaturgie Komplikationen auf. Wenn es das Ziel des 21. Jahrhunderts sein soll, die Gesellschaft in den alles versöhnenden Kokon des Donuts zu packen, dann drängt sich die Frage auf: Was, wenn nicht alle mitmachen wollen? Antwort: Dann wird aus der Sache auch nichts. Und es sind nicht wenige, die aus Profitgründen per se keine Lust auf den Kringel haben dürften.
Wie soll der Wandel gelingen?
Kate Raworth steht vor dem gleichen Dilemma, vor dem auch schon andere vor ihr standen. Dass das System Veränderung dringend nötig hat, ist ja nicht die Frage. Die eigentliche Frage lautet: Wie bitte schön soll ein solcher Wandel von statten gehen?
Nun kommt bei der "Donut-Ökonomie" noch ein weiteres Dilemma hinzu: Das Buch wirkt - noch mehr als ähnliche Titel in den vergangenen Jahren - aus der Zeit gefallen. Die Donut-Theorie in der Trump-Putin-Erdogan-Ära, der Ruf nach dem großen Systemwechsel in Zeiten von Syrien, Nordkorea, von Bots und Trollen - man kann es naiv bis frivol finden, dass eine Wirtschaftswissenschaftlerin aus Oxford einen Donut als Modell anbietet. Aber vielleicht gerade deshalb ist das Buch so lesenswert: Weil es den Leser so erfrischend über Dystopien und News-Twittereien unserer Tage hinaus führt. Und etwas anbietet, womit in der großen Welt-Ökonomie dieser Tage kaum noch jemand rechnet: eine Art Happy End.
Kate Raworth: "Die Donut-Ökonomie. Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört",
Übersetzung: Hans Freundl und Sigrid Schmid,
Hanser Verlag, 413 Seiten, 24 Euro.
Übersetzung: Hans Freundl und Sigrid Schmid,
Hanser Verlag, 413 Seiten, 24 Euro.