Archiv

Katharina Rudolph: "Rebell im Maßanzug"
Gefühlssozialist und Snob

Für seine politischen Überzeugungen ging er gleich zweimal ins Exil: Leonhard Frank, der Autor des bedeutenden Antikriegsbuches „Der Mensch ist gut“. Fast 60 Jahre nach seinem Tod ist die erste Biografie dieses bedeutenden Schriftstellers erschienen.

Von Oliver Pfohlmann |
Katharina Rudolph: "Rebell im Maßanzug. Leonhard Frank. Die Biographie" Zu sehen sind die Autorin und das Buchcover mit einem Porträt des Schriftstellers Leonhard Frank
Kämperisch und widersprüchlich: Der Schriftsteller Leonhard Frank (Cover: Aufbau Verlag / Foto: Sophia Lukasch)
Kann Literatur den Lauf der Geschichte verändern? Kann sie vielleicht sogar einen Weltkrieg beenden und eine Revolution auslösen? Es gibt zumindest einen deutschen Schriftsteller, der sich diese literarische Großtat zugutehielt, nämlich Leonhard Frank. Und zwar mit seinem Antikriegsbuch "Der Mensch ist gut", das 1917 in einem Schweizer Verlag erschien. Auf den ersten Blick erscheint Franks Überzeugung reichlich absurd. Umso mehr, wenn man seine nur noch wenig bekannte Novellensammlung heute zur Hand nimmt. Da wird zum Beispiel ein Kellner zur christusähnlichen Erlöserfigur, indem er zur Überwindung von Nationalismus und Kapitalismus aufruft. Und im Städtischen Leichenschauhaus wachen wie in einem schlechten Zombiefilm zwei Tote wieder auf. Aus Verzweiflung über den Krieg haben sie sich das Leben genommen, nun ist das erste, was sie tun, sich über den unseligen Militarismus der Epoche zu unterhalten.
Nein, man muss leider sagen: Ein Jahrhundert nach ihrem Erscheinen sind Franks pazifistische Novellen kaum noch lesbar. Ihr expressionistischer Ton ertrinkt förmlich im Pathos, und Franks pseudoreligiöse Botschaften naiv zu nennen, wäre fast schon schmeichelhaft.
"Man braucht ja nur zu lieben, dann fällt kein Schuss mehr. Dann ist der Friede da. Kinder sind wir dann auf unserer Erde . . . Der ganze Erdteil weint.
Daran merkt man doch, dass der Erdteil fähig ist zur Liebe. Ganz hoffnungslos wäre erst dann alles, wenn Europa lachen würde, weil ganz Europa blutet. Aber es gibt kein Haus in Europa, in dem nicht die Tränen fließen. Das ist die Liebe, die aus den Menschenaugen heraus weint, weil sie vertrieben worden ist aus den Herzen der Menschen."
"Eines der wirkungsstärksten Antikriegsbücher in Europa"
Dennoch: Die These, Leonhard Frank habe mit seiner leidenschaftlichen Anklage gegen den Krieg den Lauf der Geschichte zumindest ein Stück weit mit beeinflusst, ist alles andere als abwegig. Im deutschen Kaiserreich wurde "Der Mensch ist gut" zwar umgehend verboten, gelesen wurde das Büchlein aber trotzdem, und zwar massenhaft. Zum einen ließ Frank von seinem Schweizer Exil aus sein Werk über die Grenze schmuggeln, gebunden zwischen falschen Buchdeckeln. Vor allem aber sorgten in Deutschland Kriegsgegner und sozialistische Gruppierungen für die Verbreitung. Sie druckten das Buch illegal nach, auf einfachem Zeitungspapier.
Etliche Zeugnisse aus der Nachkriegszeit belegen, dass Franks Novellen in den letzten Kriegsmonaten als Flugblätter unter Schülern ebenso zirkulierten wie unter Intellektuellen, unter Frontsoldaten ebenso wie in der Arbeiterjugend. Und angeblich sogar unter jenen Kieler Matrosen, die im November 1918 in Deutschland als erste das Feuer der Revolution entfachten, das sich dann wie ein Flächenbrand ausbreitete. Später bescheinigten selbst die Nazis, die den sozialistischen Autor 1934 ausbürgerten, Leonhard Franks Buch sei "bis in die vordersten Schützengräben" gelangt und habe dort zur "Zersetzung der Armee" beigetragen.
"Auf die Zeitgenossen, die so furchtbar litten, hatte das Buch eine kraftvolle Wirkung. Es tröstete, es machte Mut, es ließ an eine Rückkehr zum Frieden und zur Menschlichkeit glauben. Für einen kurzen Moment der Geschichte war Franks "Der Mensch ist gut" eines der wirkungsstärksten Antikriegsbücher in Europa."
Ein Spiegelbild deutscher Geschichte
So urteilt Katharina Rudolph über das Werk. Die Germanistin und Journalistin hat nun eine Biografie über Leonhard Frank vorgelegt.
Das vorzüglich lesbare 500-Seiten-Buch ist die erste Lebensbeschreibung dieses Schriftstellers. Erstaunlich genug – schließlich war Frank mit seinen Romanen, Erzählungen und Theaterstücken in den Weimarer Jahren einer der bedeutendsten deutschen Autoren, vielfach preisgekrönt und dazu noch ein in viele Sprachen übersetzter Bestsellerautor.
Zudem spiegelt sein Werk ebenso deutsche Geschichte wie sein Leben: Aufgrund seiner sozialistischen Überzeugungen musste Frank gleich zweimal ins Exil gehen. Zuerst nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs und dann noch einmal nach 1933, als die Nazis auch seine Bücher verbrannten. 1940 gelang ihm in letzter Minute die Flucht aus einem Internierungslager in der Bretagne; zu Fuß schlug er sich durchs besetzte Frankreich bis nach Marseille durch. Danach überquerte er an der Seite Alfred Polgars die Pyrenäen, um die rettende Passage nach Amerika zu erreichen; immer dabei ein im Mantel eingenähtes Romanmanuskript. Als er nach 17 Jahren im Exil im Alter von 68 Jahren aus den USA zurückkehrte, wollten zumindest in Westdeutschland nur noch wenige etwas von seinen Büchern wissen.
Dennoch erhielt Leonhard Frank vor seinem Tod 1961 noch zwei große Auszeichnungen, in der Bundesrepublik das große Verdienstkreuz und in der DDR den Nationalpreis I. Klasse. In "Links wo das Herz ist", seiner in der dritten Person geschriebenen Autobiografie, fasste er sein Leben so zusammen:
"Sein Leben war das eines kämpfenden deutschen Romanschriftstellers in der geschichtlich stürmischen ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts. Seine Bücher sind Bildnisse seines Inneren. Er hat sich von Jugend an um Dinge gekümmert, die ihn nichts angingen, und ist der Meinung, dass Menschen, die das nicht tun, die Achtung vor sich selbst verlieren müssen; dass sie moralisch Selbstmord begehen."
Biografische Pionierarbeit
Eine Pionierarbeit ist die Leonhard-Frank-Biografie von Katharina Rudolph aber auch deshalb, weil in ihr erstmals systematisch alle noch vorhandenen Quellen erschlossen werden. Darunter etwa sein Matrikelbuch von der Münchner Akademie der Bildenden Künste. Aber auch eine umfangreiche Krankenakte Franks aus dem Schweizer Sanatorium Bellevue. Oder eine in New York befindliche erste Fassung seiner Autobiografie. Viele Selbstauskünfte Franks konnten auf diese Weise bestätigt werden. So zum Beispiel die historische Existenz der großen Schreckensfigur aus Franks Kindheit, des Lehrers Georg Dürr. 1882 wurde der Schriftsteller in Würzburg als viertes Kind eines Schreinergesellen geboren; seine Kindheit war geprägt von Armut – und Angst. Für letztere war vor allem Georg Dürr verantwortlich, Franks Lehrer an der städtischen Elementarschule, berüchtigt für seine ausgefeilten Prügelstrafen und Erniedrigungen.
"Seine Erziehungsmethode war, die Knaben in Angstbesessene zu verwandeln. Das Schulzimmer war mit Angst geheizt."
In Franks autobiografisch geprägtem Frühwerk taucht dieser Sadist unter dem Namen "Mager" auf, etwa in der Novelle "Die Ursache" aus dem Jahr Darin stattet ein Schriftsteller seinem früheren Lehrer einen Besuch ab, auf der Suche nach der verdrängten Ursache für seine rätselhaften Angst- und Hasszustände als Erwachsener. Der Einfluss der damals neuen Psychoanalyse auf Franks Frühwerk ist gerade in dieser Novelle offenkundig.
"‚… Wer! Wer sind Sie! … Was wollen Sie denn hier!‘
‚Ich bin ein früherer Schüler von Ihnen. Sie waren mein Lehrer. Ich heiße Anton Seiler.‘
‚Seiler? … Seiler? Haben Sie gestottert in der Schule?‘
Eine Blutwelle verdunkelte dem Dichter den Blick.
Und als er wieder sehen konnte, bemerkte er am schrecklichen Lächeln des Lehrers, dass dieser sich erinnerte. Am selben Lächeln, mit dem der Lehrer, wenn der Dichter stotternd steckengeblieben war, ihn der ganzen, belustigten Klasse ausgeliefert hatte."
In seiner Novelle machte Frank diesen Vertreter eines autoritären Schulsystems zum "Repräsentant[en] der Seelenzerstörer" einer ganzen Generation. Die dann psychisch gebrochen und deformiert in den Schützengräben des Ersten Weltkriegs verblutete.
Autoritäten stand Frank denn auch zeitlebens ablehnend gegenüber. Seine eigenen Narben aus dieser Zeit müssen tief gewesen sein, urteilt seine Biografin unter Berufung auf seinen Sanatoriumsaufenthalt bei dem Arzt Ludwig Binswanger im Jahr 1915:
"Der Lehrer vermittelte ihm, dass er 'unintelligent, saudumm' sei‚ 'monatelang (wurde er) nicht aufgerufen' und 'als Klassentrottel behandelt', denn Frank stotterte, 'seit Schulbesuch', wie es in seiner Krankenakte heißt. Noch mit über dreißig Jahren hatte der Dichter seine Sprachstörung nicht ganz überwunden. Unter dem Stichwort Sprachartikulation ist in seiner Krankenakte zu lesen: 'gut (stottert selten, bei psychisch stärkerer Emotion)'".
Unbändiger Aufstiegswille
Kindheitstraumata hin oder her – der junge Leonhard Frank war geprägt vom unbändigen Willen, etwas aus seinem Leben zu machen, um die engen familiären und gesellschaftlichen Grenzen zu überwinden. Gelungen ist ihm das spätestens mit seinem großen Romandebüt von 1914, "Die Räuberbande", das Frank gleich den Fontane-Preis einbrachte: Darin träumen 14-jährige Lehrjungen vom Wilden Westen und der Zerstörung ihrer verhassten Heimatstadt Würzburg; zuletzt enden sie aber doch als brave Mitglieder im Gesangs- und Anglerverein.
Rudolphs Darstellung zeigt, dass Franks Weg in Kunst und Literatur noch um einiges steiniger verlief, als er selbst es in seiner Autobiografie darstellte.
Als Glücksfall sollten sich für ihn vor allem die Jahre in der Boheme erweisen, zuerst ab 1904 in München, dann ab 1909 in Berlin. Kaffeehausgespräche, etwa mit dem abtrünnigen Freud-Schüler Otto Gross, ersetzten dem jungen Künstler die nie besuchte Universität, ließen ihn eintauchen in die brodelnde Gedankenwelt der Epoche. Über das legendäre "Café Größenwahn", das Münchner Café Stephanie, schrieb Frank später:
"Irgendwo im Haus oder im Himmel musste ein Elektrizitätswerk sein. Die Gäste, angeschlossen an den Starkstrom, zuckten unter elektrischen Schlägen gestikulierend nach links und nach rechts und vor und von den Polsterbanken hoch, fielen ermattet zurück und schnellten mitten im Satz wieder hoch, die Augen aufgerissen im Kampf der Meinungen."
Zwischen Malen und Schreiben
Anfangs versuchte sich der junge Leonhard Frank als bildender Künstler. Heute zeugt nur noch ein schmales Mappenwerk mit sechs expressionistischen Grafiken von dieser Werkphase. Doch anders als von ihm selbst später behauptet, gab es 1909 keinen jähen Wechsel zum Schreiben. Vielmehr belegen Zeugnisse, etwa von Else Lasker-Schüler aus dem Jahr 1911, dass der Maler und der Schriftsteller Leonhard Frank noch eine ganze Weile koexistiert haben müssen, entdeckte seine Biografin.
Zumindest teilweise bestätigen lässt sich dagegen eine Episode, die lange von der Forschung ins Reich der Legende verwiesen wurde. In seiner Autobiografie behauptete Frank, er hätte im Winter 1908 in einer Münchner Gastwirtschaft an der Seite von Wassily Kandinsky und Gabriele Münter die Künstlergemeinschaft "Der blaue Reiter" mitbegründet. Dabei gab es den "Blauen Reiter" erst ab 1911, als Frank längst als Schriftsteller in Berlin lebte. Tatsächlich riefen Kandinsky und Münter aber Ende 1908 eine Vorläuferorganisation, die "Neue Künstlervereinigung München", ins Leben.
"Eine handschriftliche Notiz im Nachlass von Gabriele Münter nennt die Namen der ersten Mitglieder der Vereinigung. Und tatsächlich, außer den bereits Genannten taucht hier neben Erna Bossi, Alfred Kubin, Karl Hofer eben auch ein ‚L. Frank‘ auf."
Dank Rudolphs Biografie ist es somit erstmals möglich, dem spannungsreichen Verhältnis von Realität und Fiktion in Franks Autobiografie nachzugehen.
Immer wieder hat Leonhard Frank in "Links wo das Herz ist" verdichtet und stilisiert. Manches hat er auch ganz ausgelassen, etwa seine Zeit auf dem Monte Verità in Ascona, dem "Berg der Wahrheit", nach 1900 ein Sammelpunkt der Sinnsucher und Lebensreformer. Anderes wiederum hat Frank kurzerhand zurechtgebogen: Am 7. Mai 1915 will der pazifistische Schriftsteller im Berliner Café des Westens einen Journalisten geohrfeigt haben, weil dieser die Versenkung eines britischen Passagierschiffs, der "Lusitania", bejubelt hatte. Daraufhin sei er polizeilich gesucht worden und habe aus Deutschland fliehen müssen. Rudolphs Recherchen zeigen: Die Ohrfeige im Kaffeehaus gab es wirklich, aber der Haftbefehl ist offenbar eine Erfindung. Und ins Schweizer Exil gegangen ist Frank erst im Frühjahr 1916. Ebenso gemogelt hat der Autor von "Der Mensch ist gut", als es nach Kriegsende um seine Rückkehr nach Deutschland ging. In seiner Autobiografie schildert er, wie er mit seiner damaligen Frau Lisa am 10. November 1918 in München die Ausrufung der Republik durch Kurt Eisner erlebte – dabei kam das Paar nachweislich erst anderthalb Monate später aus dem Exil zurück.
"Dass Frank die Ankunft in seiner Schilderung der Ereignisse um mehr als sechs Wochen vorzog, hatte (…) literarisch-dramaturgische Gründe. Wer so sehnlichst die Revolution herbeigewünscht und ihre Notwendigkeit beschworen hatte, durfte nicht mit Verspätung auf dem Schauplatz der Ereignisse erscheinen."
Folgenreicher Snobismus
Rudolphs Darstellung zeigt nicht zuletzt, wie komplex und widersprüchlich dieser Schriftsteller war. Das betrifft nicht zuletzt sein Verhältnis zum Sozialismus, zu dem er sich seit seinen Tagen in der Boheme bekannte. Noch in seiner Autobiografie machte der "Gefühlssozialist", wie er sich nannte, die "Haben-haben-haben-Wirtschaftsordnung" für alles Unglück der Menschheit verantwortlich. Doch was den ersehnten Umsturz der Verhältnisse anging, so gehörte Leonhard Frank zeitlebens zu denen, die zwar Wasser predigen, aber am Ende doch lieber Wein trinken. Aufgestiegen aus ärmlichsten Umständen, wollte er privat ungern auf die Vorzüge kapitalistischer Verhältnisse verzichten. Wie nach seiner Rückkehr aus den USA in den fünfziger Jahren, als er zwar für die DDR schwärmte – es aber doch vorzog, in München zu wohnen und dort im Maßanzug in den besten Restaurants zu speisen.
Franks "Snobismus" hatte Folgen. Zunächst für seine Liebesbeziehungen: Leonhard Frank war zeitlebens ein Homme à Femmes; zu seinen insgesamt drei Ehen kamen im Lauf seines Schriftstellerlebens noch etliche Liebschaften und Langzeitbeziehungen, so die Biografin. Es waren Frauen, die ihn zu wichtigen Werken inspirierten wie die späten Romane "Traumgefährten" oder "Mathilde". Und während seiner abenteuerlichen Flucht aus Frankreich gab ihm die Hoffnung auf eine Wiedervereinigung mit seiner damaligen Geliebten die Kraft zum Durchhalten. Allerdings gerierte sich Frank stets in der althergebrachten Rolle des Beschützers und Versorgers. Nur dass er diese als verarmter Exilant nur schwer erfüllen konnte. Depressive Abstürze und eine Krise seiner Männlichkeit waren die Folge. Auch dann, als Frank in den USA die 27 Jahre jüngere Schauspielerin Charlott Jäger kennenlernte, die seine dritte und letzte Ehefrau werden sollte. Ihr schrieb er, ein Mann ohne Geld sei nicht einmal "berechtigt, eine Geliebte zu haben".
"Wenn nicht er das Geld hat, sondern sie, geht es nicht auf Dauer, falls er ein Mann ist."
Seiner Biografin zufolge kam Franks "Snobismus" bereits in den Weimarer Republik zum Durchbruch. Damals ließen Buchverkäufe und Verfilmungen seine Einnahmen nur so sprudeln. Franks ausschweifender Lebenswandel führte im Literaturbetrieb prompt zu bösen Kommentaren:
"Im Jahr 1929 schickte der Schriftsteller Peter Scher, damals Chefredakteur der Satirezeitschrift 'Simplicissimus', einen Brief an die Weltbühne, in dem er
[…] Franks Entwicklung der vergangenen Jahre charakterisierte: ‚In den Tagen der Münchner Räterepublik sah ich Leonhard Frank zum ersten Mal. Schillerkragen, offne Brust, wilder Blick. Seine Proklamation: Der Mensch ist gut! hielt die Revolutionsliteraten in Atem. […]
Zwölf Jahre später in der Hauptstadt der freien deutschen Republik sah ich Leonhard Frank zum zweiten Mal. In einer vornehmen Abfütterungsstätte wurde er mir gezeigt. Sein Auto stand draußen – ein ordentlicher Wagen. Eben wurde dem Dichter eine neue Platte gereicht. Da sagte jemand neben mir: ‚Der Mensch isst gut!‘‘
"Kunst ist Weglassen"
Der Titel von Rudolphs Biografie – "Rebell im Maßanzug" – bezeichnet somit treffend Franks Widersprüchlichkeit. Katharina Rudolph macht damit aber auch auf eine weitere Folge von extravagantem Lebensstil aufmerksam: die Entfremdung des Schriftstellers von seinen sozialistischen Weggenossen und Bewunderern. Sie begann bereits in den zwanziger Jahren. In einer Rezension verspottete Johannes R. Becher seinen Freund aus Münchner Boheme-Tagen 1924 sogar als "lebenden Leichnam". Auch deshalb, weil sich der einstige Kritiker der Gesellschaftsordnung in der Weimarer Republik auf das Verfassen empfindsam-psychologischer Liebesgeschichten verlegte. Ein Beispiel dafür ist die Erfolgsnovelle "Karl und Anna" aus dem Jahr 1926 über die Liebe zwischen einer Ehefrau und einem fremden Mann, der behauptet, ihr aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrter Gatte zu sein. Das gleich zweimal verfilmte Werk ist von einer kunstvollen sprachlichen Schlichtheit und damit ein Musterbeispiel für Franks Ästhetik der Reduktion. Über sein Alter Ego Michael Vierkant schrieb Frank:
"Nachdem er im Laufe des langen Abends eine halbe Seite geschrieben hatte, dachte er in einem Rückfall in den Größenwahn, dass mancher Schriftsteller über dieselbe Sache zehn Seiten vollschreiben würde. (Den folgenden Morgen strich Michael von der halben Seite noch fünf Zeilen und sagte, endlich zufrieden:
‚Wer es nicht übers Herz bringt, wegzulassen, hat noch viel zu lernen. Kunst ist Weglassen.‘)".
Kunst ist Weglassen – mit dieser Maxime ist Leonhard Frank im Rückblick freilich alles andere als ein lebender Leichnam. Viel eher schon der Ahnherr für heutige Meister der Reduktion und des bloßen Andeutens wie Peter Stamm oder Angelika Klüssendorf.
Katharina Rudolph: "Rebell im Maßanzug. Leonhard Frank. Die Biographie"
Aufbau-Verlag, Berlin. 496 Seiten, 28 Euro.