Katharina Schratt war, bevor sie am 17. April 1940 starb, ein Denkmal: lebende Erinnerung an die k.u.k.-Monarchie. Über 30 Jahre lang, bis zu seinem Tod 1916, war sie die "Freundin des Kaisers" gewesen. Aber weder Zeitgenossen noch Nachwelt konnten sich je darauf einigen, welcher Art diese ebenso öffentliche wie diskrete Beziehung war. 1885 war die Tochter eines Badener Lebensmittelhändlers, die sich besonders mit ihrem komischen Talent am Burgtheater nach vorn gespielt hatte, beim Wiener Industriellenball eingeladen. 32 Jahre war sie da alt. Kaiser Franz Joseph bewunderte damals schon die energische und lebenslustige Schauspielerin.
"Zweitens ärgere ich mich, dass ich nicht die Courage hatte, Sie am Balle anzusprechen. Allein ich hätte müssen die Sie umringenden Leute durchbrechen, während man von allen Seiten mit und ohne Operngucker beobachtet wird."
Das gestand er ihr - in einem der zahllosen Briefe, für die der Kaiser von Österreich, König von Ungarn, Böhmen, Dalmatien, Croatien, Slawonien, Illyrien et cetera, et cetera, immer Zeit fand.
Zitat Kaiser Franz Joseph:
"Ich habe mich halt nicht getraut, so sehr es mich auch zu Ihnen hinzog."
Pedantischer Frühaufsteher
Der pedantische Frühaufsteher Franz Joseph, der Tag für Tag am Schreibtisch sein aufbegehrendes Vielvölkerreich zusammenzuhalten suchte, hatte heimliche Liebschaften. Aber bei Katharina Schratt suchte er vielleicht eher ein Stück von dem gemütlichen Familienglück, das ihm absurde Hofzwänge und in der Folge seine weitgehend abwesende Ehefrau verweigerten. Nicht umsonst förderte Kaiserin Sisi die Affäre ihres Mannes, die keine sein sollte - das feudale 18. Jahrhundert mit seinen offiziellen Mätressen war ja vorbei - , sie gab der Schratt vor der Öffentlichkeit das harmlose Image einer gemeinsamen Freundin. Umso seltener brauchte dafür Sisi bei ihrer kaiserlichen Familie aufzutauchen, deren soziale Apathie gefürchtet war. Typisch die Aussage einer Hofdame:
"Gestern speisten wir bei Hofe, zu gegenseitiger allseitiger Verzweiflung."
"Was für ein Gegensatz zu einem Diner bei Frau Kathi Schratt! Ob in Hietzing oder in der Stadt, die Unterhaltung ist stets geistreich und lebendig, die Gesellschaft bunt gemischt und ausgezeichnet," schrieb der preußische Gesandte Graf Eulenburg. Die mit dem Aufschwung der Gründerzeit entstandene sogenannte zweite Gesellschaft hatte an dem auf alten Adel fixierten Kaiserhof selten Zutritt, Frau Schratt dagegen empfing sie gern: Wirtschafts- und Finanzmogule, dazu Schauspieler, Maler, Literaten, Wissenschaftler, viele von ihnen jüdisch - was im aufkeimenden Antisemitismus der Zeit nicht selbstverständlich war.
Generöse Geschenke
Der einsame Franz Joseph konnte an dieser sorglos-heiteren Melange teilhaben, indem er sich beim Frühstück in der Villa der Freundin die Schnurren aus Gesellschaft und Theater erzählen ließ - Anekdoten über ihre diversen Liebhaber dürfte Frau Schratt zurückgehalten haben. Für seinen Anteil an der Lebenslust der "Freundin" zahlte der Kaiser generös. Davon, dass Katharina Schratt seine Geschenke Jahre später gut gebrauchen konnte, profitieren heute noch Auktionshäuser:
"Diese Brosche stammt direkt aus einer Privatsammlung und wurde vor vielen Jahren von der damals sehr berühmten Volksschauspielerin Katharina Schratt verkauft. Der Kaiser überhäufte Katharina Schratt mit zahlreichen Geschenken, darunter auch viel Schmuck und Juwelen."
"Wer wird meine Schulden zahlen? Daumen halten!", beschriftete schon die junge Schratt ihr Porträt. Ein teurer verflossener Ehemann, aufwendiger Lebensstil, Spielsucht: Schulden hatte sie immer. Aber es gab ja einen, der sie immer beglich; überhaupt war ihre privilegierte Existenz nicht zu leugnen. Wohl keine Burgschauspielerin bekam soviel Urlaub wie die Schratt – die Zeit brauchte sie für den Kaiser - und hatte dennoch so viel am Theater zu sagen.
"Man kriecht auf allen Vieren, wenn sie kommt, der Intendant nicht ausgeschlossen."
Trotzdem verließ Katharina, neben Charlotte Wolter eine der beliebtesten Burgschauspielerinnen, im Jahr 1900 das Theater im Streit mit dem neuen Intendanten. Auch die Beziehung zum Kaiser war abgekühlt, seit 1898 die Hüterin ihrer Reputation, Sisi, ermordet worden war. Schließlich blieb aber doch alles beim Alten. Fotos aus den folgenden Jahren zeigen ein biederes Paar beim Spaziergang im Schönbrunner Schlosspark, das so bürgerlich, so traulich verheiratet wirkt, wie es Franz Joseph mit seiner Sisi nie vergönnt gewesen war.