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Kathedrale Notre-Dame
Streit um den Wiederaufbau

Kurz nach dem Brand von Notre-Dame verkündete Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die Kathedrale werde innerhalb von fünf Jahren wieder aufgebaut. Dazu sollen bisher strikte Bauauflagen gelockert werden. Kritiker werten das als einen Angriff auf die Regeln des Denkmalschutzes.

Von Suzanne Krause |
Bauarbeiten an der vom Brand gekennzeichneten Pariser Kathedrale Notre-Dame, aufgenommen am 29. April 2019
Bauarbeiten an der vom Brand gekennzeichneten Pariser Kathedrale Notre-Dame, aufgenommen am 29. April 2019 (picture alliance/abaca/Vernier Jean-Bernard/JBV News)
Ein hoher Bauzaun rund um Notre-Dame hält Neugierige auf Sicherheitsabstand. Am sommerlichen Samstagabend flanieren unzählige Touristen vorbei. An der Ostflanke der Kathedrale heben viele den Blick: Gleich über den hellen Steinzinnen beginnt der Himmel, das Dachgestühl ist abgebrannt, dessen Bleibedeckung weggeschmolzen.
Vor einem Baustelleneingang haben sich einige Gläubige versammelt. Einer hält sein Smartphone in die Höhe; alle schauen die Liveübertragung der Messe, die nur einige Meter entfernt in der Seitenkapelle zelebriert wird. Mit Tränen in den Augen stimmen sie bei den Kirchenliedern mit an. Ein älteres Paar hält sich im Hintergrund.
"Ja, in Notre-Dame läuft die erste Messe seit dem Brand. Das berührt mich sehr."
"Wir sind Touristen, wir fühlen uns weniger betroffen als die hiesige Bevölkerung. Dennoch können wir es kaum abwarten, dass Notre Dame wiederaufgebaut wird."
Mit andächtiger Miene stehen ein Endvierziger und seine Tochter im Teenie-Alter am Bauzaun: Touristen aus North Carolina.
Sie erzählen: "Da wir gerade in Paris sind, wollten wir die Messe nicht versäumen. Es ist sehr wichtig, dass die Kirche wieder aufmacht. Notre-Dame ist ein wichtiger Teil von Paris, von dessen Geschichte. Meine Frau und ich haben den Brand im Fernsehen verfolgt, wir haben beide geweint. Bei unserem Paris-Trip vor 20 Jahren haben wir es versäumt, Notre-Dame zu besuchen, das bedauere ich heute ungemein."
Messe unterm Schutzhelm
Mit einem Schutzhelm auf dem Kopf bekräftigt der Pariser Erzbischof Michel Aupetit in seiner Andacht, die Kathedrale sei eine Kultusstätte, dies sei, Zitat: "Ihr eigentlicher und alleiniger Zweck." Nach der Altarweihe empfängt Monseigneur Aupetit im benachbarten Diözesesitz die Presse:
"Diese Messe ist ein Zeichen der Hoffnung für die Gläubigen. Die Kathedrale erwacht zu neuem Leben. Am wichtigsten ist es aber wohl, den Gläubigen bewusst zu machen, dass die eigentliche Kathedrale aus lebenden Steinen besteht: Aus all den Gläubigen."
Michel Aupetit, Erzbischof von Paris, leitet die erste Messe nach dem Großbrand von Notre-Dame in einer Seitenkapelle der Kathedrale Notre-Dame. Er trägt einen Bauarbeiterhelm.
Die erste Messe nach dem Großbrand in Notre-Dame (KTO/AP/dpa )
Am Tag vor der Messe besichtigen Armin Laschet, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und deutsch-französischer Kulturbevollmächtigter sowie die ehemalige Kölner Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner die Baustelle Notre-Dame.
Armin Laschet: "Man ist immer noch erschüttert über die Schäden, die man sehen kann. Aber es ist auch besonders, welche Wunder da geschehen sind. Beispielsweise, dass der Vierungsturm vor der Madonna quasi sich zerschlagen hat und das eigentliche Symbol von Notre-Dame de Paris nicht zerstört worden ist."
Barbara Schock-Werner war schon kurz nach dem Brand auf der Baustelle. Sie sagt:
"Also, beim ersten Mal hat mich schon beeindruckt, wie groß die Zerstörung auch in den Gewölben ist. Und wie groß die Gefahr war, dass der Nordgiebel abstürzt. Und heute hat mich beeindruckt, wie viel in der Zeit schon getan ist, die ganzen Gerüste und auch wie die Fenster abgestützt sind, dass die Leim-Binder, die auf die Gewölbe sollen, dass alles da ist."
Man sieht ein teilweise durch die Hitze verbogenes großes Baugerüst, die verkohlten Überreste des Dachs und ein großes Loch.
Ein am 17.4.2019 gemachtes Luftbild zeigt die Schäden am Dach der französischen Kathedrale Notre-Dame in Paris nach dem Brand vom 16.4. (Gigarama.ru / AP / dpa)
Macrons ehrgeiziger Plan
Am Tag nach dem Brand hat Staatspräsident Emmanuel Macron ein sehr ehrgeiziges Ziel vorgegeben: In fünf Jahren solle Notre-Dame wiederaufgebaut sein. Und, warum nicht, eventuell in moderner Form. Ein Ansinnen, das seither im Land für viel Polemik sorgt. Marie-Josée Dumont ist Architektin und Historikerin. Im französischen Fernsehen kritisierte sie Macrons Vorgabe unverhohlen:
"Ein Wiederaufbau in fünf Jahren ist unmöglich – insofern das Gebäude dabei nicht geopfert werden soll. Diese Vorgabe besorgt alle Architekten, Denkmalschützer, die Verantwortlichen im Kulturministerium. Wenn Notre-Dame in beispielhafter Manier restauriert werden soll, muss man in Kauf nehmen, dass dies zehn, fünfzehn Jahre brauchen wird. Außer, man will 2024 zur Olympiade in Paris das Olympische Banner auf Notre-Dame hissen – ein eher obszöner Gedanke!"
Im Eilverfahren will die Regierung ein Gesetz durchbringen, das den Rahmen steckt für die Restaurierung der Kathedrale. Paragraf neun sieht vor, herkömmliche strikte Bauauflagen zu lockern. Mancher Kritiker wertet das als einen Angriff auf die Regeln des Denkmalschutzes – der als Präzedenzfall in die Annalen eingehen könnte. Ende Mai müht sich Kulturminister Franck Riester, abzuwiegeln, wie in einer Übertragung des TV-Kanals des Senats zu sehen ist.
"Die anstehenden Bauarbeiten sind ehrgeizig und einmalig. Um sie bestmöglich voranzutreiben, wollen wir uns die Möglichkeit offenhalten, gewisse wesentliche Bestimmungen zu erleichtern. Aber es versteht sich von selbst, dass die Lockerung der Gesetze verhältnismäßig sein muss. Es geht nicht darum, sich der Restaurierung von Notre-Dame zu bedienen, um französisches oder europäisches Recht bei Denkmalschutz, Umwelt und Städtebau mit Füssen zu treten."
Schwimmbad auf dem Dach
In der Nationalversammlung wurde das Projekt in erster Lesung verabschiedet. Im Senat jedoch heftig umgeschrieben. Am 26. Juni steht der geänderte Gesetzestext in der Nationalversammlung erneut zur Abstimmung. Vor Wochen schon hat Premierminister Edouard Philippe den Startschuss gegeben für einen internationalen Architektenwettbewerb zum Wiederaufbau der berühmten Pariser Kathedrale.
Schon zuvor kamen erste Ideen von Experten und Amateuren. Darunter Vorschläge, das Dach von Notre-Dame zu begrünen, dem Steinbau ein Glashaus aufzusetzen oder gar ein Schwimmbad auf dem Dach einzurichten. Utopien, die damit kollidieren, dass Frankreich die sogenannte Venedig-Charta unterschrieben hat. Die verlangt, denkmalgeschützte Gebäude in identischer Form zu restaurieren. Überhaupt sei es viel zu früh, zu spekulieren, wie Notre-Dame in einigen Jahren aussehen könne, meint auch Ex-Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner. Sie soll die deutschen Hilfen koordinieren und sagt: Derzeit handele es sich bei der Kathedrale noch um eine "Schwerverletzte".
Barbara Schock-Werner: "Über die Zeitfrage kann man noch gar nichts sagen, solange die statische Sicherung nicht da ist, ob die Gewölbe oben bleiben oder nicht."
Baustelle Laizismus
Die gigantische Baustelle bietet der Forscherwelt Gelegenheit, Notre-Dame unter die Lupe zu nehmen. Gerade habe er auf neuen Fotos bislang unbekannte Gemälde im Gewölbe entdeckt, erzählt Olivier de Chalus.
Er hat die Baugeschichte der Pariser Kathedrale erforscht und gehört einer Gruppe von Wissenschaftlern, denen es am Herzen liegt, rund um den Wiederaufbau alle Expertise zusammenzubringen. Dazu gehört auch theologisches Fachwissen. Das wiederum berührt einen empfindlichen Punkt im Kirchen-Staats-Verhältnis, da Theologie in Frankreich nur an Katholischen Universitäten studiert werden kann.
Olivier de Chalus: "Somit wird es eventuell möglich sein, gewisse Kompetenzen der katholischen Kirche ins Zentrum zu rücken. Wie sorgen wir dafür, dass bei manchen Themen Theologen mitarbeiten können? Denn im laizistischen Frankreich gibt es an den staatlichen Universitäten kein Theologie-Studium. Da stellen sich nun viele Fragen."
Am vergangenen Samstag jedenfalls hat Erzbischof Michel Aupetit klargemacht, worum es ihm beim Wiederaufbau von Notre-Dame geht: Über sämtliche politische Polemik hinaus möchte er den Gläubigen ihre Kirche wieder zugänglich machen. Der Staat kommt erst an zweiter Stelle.