Das Viertel Thamel mitten in Kathmandu ist das Herz der Stadt, hier reihen sich Hotels aneinander, kleine Läden verkaufen Schals, Buddha-Figuren und vor allem Trekking-Ausrüstung. Es gibt Cafés, Restaurants, und die Straßen sind immer voll.
Aber jetzt ist Thamel fast menschenleer. Nur ein paar Läden haben geöffnet, aber sie haben keine Kundschaft. Ein paar Ausländer huschen über die Straßen. Sie gehören meist einer Hilfsorganisation an oder sind Touristen, die geblieben sind, um zu helfen. Es scheint, dass sich kaum noch jemand in das sehr eng bebaute Thamel traut.
Hari Dhakar hat vor zwei Jahren ein schickes, kleines Hotel eröffnet, in bester Lage, neben einem französischen Café. "Es war jeden Tag voll. Wir haben elf Räume. Wir waren ausgebucht bis August. Dann kamen die Beben. Und seitdem erhalte ich nur noch Stornierungen. Es ist leer."
Schäden vom Beben sind nicht sofort sichtbar. Ein paar Risse in den Zimmerwänden gibt es. Das Café nebenan ist geschlossen. Das Beben am Dienstag, sagt Hari, war zu viel für die Besitzer. Auch er selbst fühlt sich nicht sicher. "Ich schlafe immer draußen. Ich traue meinem Haus nicht. Wer weiß schon, was es denn aushält? Ein Statiker war hier und sagte, Du kannst drinnen schlafen. Das Haus hält Beben um 6,5 aus. Aber was, wenn es nochmal Stärkere gibt? 7,5 und mehr? Wer weiß schon, ob es dann nicht einstürzt?"
Die Straßen sind zu eng
Hari besitzt ein kleines Zelt, manchmal schläft er aber auch im Auto, sagt er. Und nur ganz selten verbringt er die Nächte in Thamel. Die Straßen sind ihm jetzt zu eng und gefährlich.
Stadtauswärts, in einer eigentlich besseren Gegend, sind die Straßen ebenfalls leer wie sonst nur an hohen Feiertagen. Es heißt, dass zwei Millionen Menschen Kathmandu verlassen haben, in der Hauptstadt und in ihren Vororten leben geschätzt sonst drei bis vier Millionen Menschen. Die meisten sind zurück in ihre Heimatdörfer. Einige kamen nach zwei Wochen wieder, aber haben nach dem schweren Nachbeben vom Dienstag wieder die Flucht ergriffen. Unter einer blauen Plane lugen Nani und Sanu hervor. Die beiden rüstigen Nachbarinnen, 65 und 71 Jahre alt, campieren seit drei Wochen auf einer liebevoll bepflanzten Grünfläche eines Kreisverkehrs. Ein Polizist schaut nach dem Rechten, die vielleicht 30 Menschen hier haben sich ihre Verschläge selbst gebaut. Nani zeigt auf ein Wohnhaus auf der anderen Straßenseite, das eigentlich intakt aussieht. "Da hinten, da haben wir gewohnt. Aber jetzt können wir uns dem Haus nicht mal nähern. Da sind so große Risse. Das könnte jederzeit einstürzen. Wir wissen ja nicht, wie lange das mit den Beben weiter geht. Einige sagen drei Monate, andere sechs Monate."
"Wir haben so viele Naturwunder hier"
Sanu ist lungenkrank, sie hängt an einer Sauerstoff-Flasche, durch einen Schlauch bekommt sie ständig ein wenig Zufuhr. "Essen zu organisieren ist nicht leicht für uns. Sie sehen ja, wie es mir geht. Manchmal besorgt meine Tochter was. Wir haben meistens Instant-Nudeln. Wasser haben wir genug. Heute war ein Lokalpolitiker da, der hat Brot gebracht und ist dann auch schon wieder weg. Das ist alles. Selbst die Plane hier mussten wir uns selbst kaufen."
Noch ertragen die beiden Damen ihr Los stoisch, lachen zwischendurch und Nani raucht nebenbei eine Zigarette. "Dass uns keine internationale Hilfe erreicht, finde ich nicht schlimm. Die sollen lieber in die Dörfer fahren, die so entlegen sind. Die haben Hilfe dringender nötig als wir."
Hotelbesitzer Hari hofft, dass die Angst bald aus Kathmandu weichen wird, und dass die Touristen zurückkommen. "Ich glaube nicht, dass der Tourismus-Markt komplett kollabieren wird. Wir haben so viele Naturwunder hier. Und die Beben werden irgendwann in ein paar Monaten aufhören."
Ob er das wirklich glaubt oder ob das Zweckoptimismus ist, sagt Hari nicht. Er fügt nur an, dass er nicht weiß, wie er der Bank die 75.000 Euro zurückzahlen soll, die er in sein Hotel gesteckt hat. Und er weiß nicht, wie lange er noch durchhält, wenn weiterhin keine Gäste kommen.