"Kler" - der Klerus, so heißt der Spielfilm des polnischen Regisseurs Wojciech Smarzowski, der derzeit an der Weichsel hohe Wellen schlägt. Das Werk prangert das zwielichtige Finanzgebaren der katholischen Kirche und Verstrickungen mit der Politik ebenso an wie den Kindesmissbrauch durch Geistliche. Vor allem Letzteres ist nun großes Thema, der Begriff "Pädophilie" in aller Munde, auch wenn dies freilich das hinter dem Missbrauch stehende, strukturelle Machtsystem etwas verdeckt. Die Kirchenführung im Land, die anders als die Deutsche Bischofskonferenz bislang keine umfassende Untersuchung eingeleitet hat, ist in der Defensive.
Endlich, sagt die Soziologin Jolanta Klimczak von der Schlesischen Universität in Kattowitz, kämen die lange Zeit marginalisierten Themen Missbrauch und die Mechanismen missbrauchter Macht zur Sprache.
Jolanta Klimczak: "Wir denken durch die Debatte und den Film, dass wir mit unserem Unbehagen nicht vereinsamt sind, dass es nicht außerhalb der Norm liegt, und dass es mehr Menschen gibt, die so denken, wie wir. Es ist ein Film für Menschen, die in dieser römisch-katholischen Gemeinschaft verankert sind. Er vermittelt ihnen ein Gefühl, dass nicht nur sie alleine das Böse bemerken."
"Ich lasse mir nicht mehr auf der Nase herumtanzen"
Die immer unverblümter geäußerte Kritik auch durch Gläubige bestätigt Klimczaks Einschätzung. Die 69-jährige Maria Barcik etwa gehört zu jenen Menschen. Sie hat jahrelang ihren Glauben innerhalb der Kirche praktiziert, doch ein Missbrauchsfall in einem Kinderheim, das von Nonnen geführt wurde, hat sie vor einigen Jahren gegen die Amtskirche aufgebracht.
Der Kassenschlager "Kler" ist für sie die Bestätigung ihrer Beobachtungen.
Maria Barcik: "Die Kirche verlangt, dass wir die Priester als Heilige sehen – das darf doch nicht sein, so funktioniert das nicht. Doch es wird sich nicht ändern, wenn sich die Menschen nicht ändern und beginnen, offen darüber zu reden und der Kirche und den Priestern auf die Finger zu schauen. Ich sehe aber, dass sich vor allem junge Menschen von der Kirche abwenden. Ich jedenfalls lasse mir nicht auf der Nase herumtanzen – nicht mehr."
Barciks Gemeinde, oder eher: Ex-Gemeinde, gehört in den Einzugsbereich der Erzdiözese Kattowitz, deren prachtvolle Christus-König-Kathedrale gerade in den letzten Zügen renoviert wird. Tomasz Kurpas war zwar noch nicht im Kino. Der Jurist und seit Kurzem Sprecher der Erzdiözese – eine von 14 des Landes – räumt durchaus ein, dass der Missbrauch in der Kirche ein Problem ist. Doch zumindest seinen Erzbischof sieht er auf einem guten Weg.
Kein Hinweis auf Vertuschung
Tomasz Kurpas: "Die Sensibilität und die Bewertung der Frage des Missbrauchs sind heute anders als noch vor einigen Jahren, auch wegen der sogenannten Affären, die in anderen Ländern bekannt wurden. In meinen Augen wird das Problem heute viel radikaler angegangen. Hier in der Erzdiözese habe ich kein Verhalten beobachten können, das auf Vertuschung oder das Geheimhalten von Straftaten weisen würde. Die Kurienbeamten reagieren bei Verdachtsfällen sehr entschieden."
Der Umgang mit dem Thema Missbrauch ist in den Kirchenreihen äußerst vielstimmig. Bischof Andrzej Czaja aus Oppeln etwa verfasste nach dem Kinobesuch einen Gemeindebrief, in dem er über die Zahl der Missbrauchsfälle berichtet und die Opfer um Vergebung bittet. Die Mehrheit in der polnischen Bischofskonferenz – der Episkopat – kann sich indes nicht zu einem entschiedenen Vorgehen entschließen. Eine finanzielle Entschädigung für die Opfer lehnt er bislang ab. Doch ein polnisches Gericht hat Ende September ein womöglich wegweisendes Urteil gesprochen: Eine Ordensgemeinschaft soll für die Straftaten von einem ihrer Priester dem Opfer eine hohe Entschädigung und eine monatliche Rente zahlen.
Inzwischen hat Erzbischof Wojciech Polak für den Episkopat angekündigt, bis November eine statistische Zusammenfassung aller Missbrauchsfälle vorzulegen. Das aber, sagt Zbigniew Nosowski, Chefredakteur der renommierten katholischen Zeitschrift "Wiez", sei bei weitem nicht genug.
Täter-Landkarte im Netz
Zbigniew Nosowski: "Für die Säuberung der Kirche muss viel mehr getan werden. Es reicht nicht, Zahlen zusammenzustellen. Nötig sind detaillierte Berichte, die nicht nur die Fälle sexueller Straftaten aufzeigen, sondern auch die Mechanismen, wie diese verschwiegen und vertuscht oder wie Dokumente vernichtet wurden. So ein Bericht muss unbedingt auch unter Beteiligung von Experten von außen entstehen, die unabhängig von kirchlichen Quellen sind. Das alles wird nicht sofort geschehen, genauso wie auch in den USA, Irland, Deutschland und anderen Staaten dieser Prozess nicht sofort geschah. Experten haben den Episkopat seit Jahren gewarnt, zu reagieren und aus den Fehlern aus anderen Staaten zu lernen. Aber in Polen läuft alles nach dem alten polnischen Sprichwort: Nach dem Schaden ist der Pole klug."
Noch radikaler als Nosowski argumentieren die Macher der virtuellen Pädophilen-Landkarte von der Opfer-Stiftung mit dem Namen "Ängstigt euch nicht". Eine unabhängige Parlamentskommission unter Ausschluss von Kirchenvertretern solle das ganze Ausmaß der Missbrauchsfälle ans Tageslicht bringen, fordern sie. Zwar dürfte das unter der jetzigen Regierung, die als kirchennah gilt, kaum passieren.
In einigen Städten jedoch gab es Anfang des Monats bereits Proteste gegen die Kirche, die Opfer von Geistlichen finden nun zunehmend Gehör – und die Kirche wird reagieren müssen.