Jürgen Liminski: Es scheint ein beliebtes Spiel für Medienleute zu sein, das Kirchen-Bashing. Das könnte Bischöfe eigentlich gelassen ertragen, aber manche Umfrage dürfte ihnen doch zu denken geben, etwa die von Allensbach, wonach Zweidrittel der Katholiken dafür sind, dass Geschiedene wieder kirchlich heiraten dürfen.
- Und zu diesem und anderen Themen begrüße ich den Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meissner. Guten Morgen, Eminenz!
Joachim Kardinal Meisner: Guten Morgen!
Liminski: Herr Kardinal, Weihnachten – was predigen Sie heute Abend?
Kardinal Meisner: Das ist eine gute Frage. Das Predigtthema Weihnachten kann man sich eigentlich gar nicht aussuchen. Der Inhalt des Weihnachtsfestes ist so überwältigend, dass der ewige Gott einer von uns, Mensch geworden ist, sodass man über nichts anderes mehr predigen kann. Das macht auch letztlich die Menschen froh und gibt auch eine wirkliche Perspektive für Gegenwart und Zukunft in unserem Leben.
Liminski: Dieser Gott ist in eine Familie geboren. Thema Familie und Ehe sind aktuell, die Debatte um wiederverheiratete Geschiedene scheint die Kirche in Deutschland zu teilen. Wie ist denn Ihre Position?
Kardinal Meisner: Also, lieber Herr Liminski, zu allen Zeiten hat die Kirche, namentlich die Bischöfe mit dem Papst zusammen den Auftrag, den Gehorsam gegenüber dem Worte Gottes den Menschen vorzuleben. Die Bischöfe haben mit dem Papst Anteil auch am Lehramt. Aber immer sub Petro et cum Petro, also unter dem Petrus und mit dem Petrus. Also einen Dissens in der Lehre zwischen Papst und Bischof ist theoretisch nicht denkbar. Ja, lassen Sie mich noch etwas dazufügen: Von jeher ist die Kirche überzeugt, dass die Einheit Christi mit seiner Kirche, die ja sein Leib ist, normativ auch für die Ehe ist. Und der Apostel Paulus sagt es ausdrücklich: Die Ehe ist ein tiefes Geheimnis. Ich beziehe es auf Christus und die Kirche. Und Christus sagt dann folgerichtig, was Gott verbunden hat, das darf der Mensch nicht trennen. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Sie werden vielleicht denken, das kommt ja bei ihm wie aus der Pistole geschossen. Jeden Tag werde ich mit diesen Fragen konfrontiert. Und darum ist mir Ihre Frage nicht neu gewesen.
Liminski: Das ist nicht die gleiche, identische Position wie zum Beispiel bei Ihrem Amtskollegen Zollitsch. Der plädiert für mehr Integration in das Gemeindeleben, also Integration der Geschiedenen. Und meint, in Rom gäbe es auch verschiedene Meinungen dazu. Also die der Glaubenskongregation zählt demnach nicht mehr als die von anderen. Was gilt denn nun?
Kardinal Meisner: Also, Herr Liminski, hören Sie mal auf einen alten Bischof. Bei meinem letzten Besuch bei Papst Franziskus konnte ich sehr freimütig mit dem Heiligen Vater über alles mögliche sprechen. Und ich sagte ihm auch, in seiner Verkündigung in Form von Interviews und Kurzansprachen bleiben doch manche Fragen offen, die für den Unkundigen eigentlich weiter ausformuliert werden müssten. Der Papst guckte mich groß an und fragte mich, ich sollte doch mal ein Beispiel nennen. Und meine Antwort war dann, bei seiner Rückkehr von Rio nach Rom würde er während der Fahrt im Flugzeug mit dem Problem der wiederverheirateten Geschiedenen angesprochen. Und da sagte der Papst ganz schlicht: Geschiedene können zur Heiligen Kommunion gehen, wiederverheiratete Geschiedene nicht. In der orthodoxen Kirche kann man zweimal heiraten. So weit seine Aussage. Und dann sprach er von der Barmherzigkeit, die aber nach meinen Worten, so habe ich ihm das gesagt, hierzulande immer als Ersatz für alle möglichen Fehlleistungen des Menschen gedeutet wird. Und der Papst antwortete mir darauf sehr energisch, er sei doch ein Sohn der katholischen Kirche, und er sage nichts anderes, als was die Kirche lehrt. Und die Barmherzigkeit muss identisch mit der Wahrheit sein, sonst verdient sie nicht den Namen Barmherzigkeit. Und im Übrigen, sagt er ausdrücklich, wenn theologische Fragen offenbleiben, dann ist die wichtige Glaubenskongregation dazu da, das detailliert zu klären und zu formulieren. Also die Kongregation, müssen Sie sich immer denken, bis vor dem Konzil war der Papst selbst der Vorsitzende, und sie ist, in der kurialen Ordnung steht die nach wie vor an der ersten Stelle. Und man kann den Präfekt nicht gleichsam als Privatmann deklarieren, nur weil er mal ein Mitglied der Bischofskonferenz war.
Liminski: Nun hat der Papst für die Synode im kommenden Herbst eine Umfrage gestartet über Familie und Ehe und die Sexualmoral. Und für Köln liegen Ergebnisse ja auch schon vor. Demnach wird das in der Bevölkerung anders gesehen als in Rom. Soll, muss die Kirche sich nicht anpassen?
Kardinal Meisner: Also, ich sagte schon, die Kirche hat sich dem Worte Gottes anzupassen und nicht der Meinung der Menschen. Wir müssen als Kirche die Meinung der Menschen kennen, um dann das Wort Gottes entsprechend zu verkünden. Aber anpassen, wie Sie fragen, ist keine Kategorie des Evangeliums. Es ist doch erstaunlich, dass etwa die evangelische Kirche mit ihrem Positionspapier zu Fragen der Sexualität eine totale Angleichung an den sogenannten Zeitgeist in den Fragen der Sexualität definiert hat. Und wie sieht denn die Situation in der evangelischen Kirche aus? Wie ich hörte, sind die Kirchenaustrittszahlen noch höher als bei uns. Also, das kann nicht, letztlich, dieser Exodus an der Frage der Sexualität liegen.
Liminski: Das ZdK sieht das ein bisschen anders. ZdK-Präsident Glück plädiert dafür, sich anzupassen und die wiederverheirateten Geschiedenen voll zu integrieren, also auch zur Eucharistie zuzulassen. Das ZdK will sich mit dem Zeitgeist vermählen, könnte man sagen. Da desertieren ganze Truppenteile von den christlichen Heerscharen. Haben Sie keine Angst vor der Isolation?
Kardinal Meisner: Also, Angst vor der Isolation kenne ich nicht. Ich bin in der Grundschule in Thüringen der einzige katholische Junge, Schüler gewesen. Und ich war immer mittendrin und hab mich nicht isolieren lassen. Der Auftrag des ZdKs besteht doch darin, das Evangelium in den Dimensionen des Säkularen, also das heißt, in der Welt sichtbar und wirksam werden zu lassen. Und hier muss sich dieses Gremium wirklich ernsthaft fragen lassen, sind die ihrem Auftrag und ihrer Berufung treu geblieben? Sie formulieren in diesem Zusammenhang, ob ich nicht Angst vor einer gewissen Isolation hätte? Ich habe echt Sorge um die Menschen, die sich ihren Glauben selbst zurechtbiegen und die ihren Glauben sich selbst zurecht bauen und die nicht ehrfürchtig entgegennehmen, wie Christus ihn selbst uns anvertraut hat. Das bringt keine Lösung. Im vierten Jahrhundert hieß es Angesicht der Irrlehre der Arianer – über Nacht war die Kirche ariansich. Und das ist nicht so geblieben. Sie ist wieder katholisch geworden. Und deswegen: So bedrängend die Zahlen sind – aber Angst macht mir das nicht. Ich muss schlicht so sagen, wir müssen fragen, was Gott will. Und die Kirche seit 2.000 Jahren weiß sie darum, was Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht trennen. Eine andere Frage ist, ob alle geschlossenen Ehen wirklich gültig sind. Müsste man nicht kanonistische Kriterien haben, neue, wo die Officilat, also die ehegerichteten Prüfungen, diese Ehe ist gar nicht zustande gekommen und diese ist ungültig. Das ist aber eine andere Frage. Da geht es nicht um die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Heiligen Kommunion.
Liminski: Herr Kardinal, morgen vollenden Sie Ihr 80. Lebensjahr, Sie werden Ihren Rücktritt einreichen beziehungsweise den Papst bitten, Sie in den Ruhestand gehen zu lassen. Die Nachfolgefrage ist offen, ich will dieses Fass auch gar nicht aufmachen, es sei denn, Sie haben eine Präferenz, die Sie uns verraten wollen. Aber rückblickend auf die 25 Jahre Köln darf man fragen, was hat Sie denn am stärksten beeindruckt in diesen Jahren Ihrer Bistumszeit.
Kardinal Meisner: Ich werde jetzt permanent mit solchen Fragen konfrontiert. Aber zunächst mal, alle Fragen, die meine Nachfolge als Erzbischof von Köln betreffen, nehme ich täglich in mein persönliches Gebet hinein. Aber mit Menschen, selbst mit meinen engsten Mitarbeitern, rede ich darüber nicht. So werden Sie verstehen, dass ich auch selbstverständlich mit Ihnen als Journalist im Deutschlandfunk nicht besprechen werde. Aber was mich in diesen 25 Jahren in meinem Dienst als Erzbischof von Köln am stärksten beeindruckt hat, ist weithin die Treue und Glaubenskraft unserer Priester, die in den schwierigen Situationen in einer Neukonzeption der Seelsorge wegen des Priestermangels die damit verbundenen Schwierigkeiten mittragen und bereit sind, auf diesem Sektor unbebautes Gebiet zu betreten. Was mich weiter immer wieder bei unseren Priestern, Diakonen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Seelsorge innerlich positiv bewegt, ist ihre Glaubenskraft und Glaubensfreude trotz permanenter Negativnachrichten aus den Medien, oder wie sie hier, in Ihrem Interview auch hörbar geworden sind. Das ist schon ein Wunder, dass sie da nicht innerlich resignieren.
Liminski: Haben Sie einen Wunsch für Weihnachten und die Zukunft?
Kardinal Meisner: Ja, eigentlich mehrere Wünsche, aber mein Hauptwunsch ist für Weihnachten und die Zukunft, dass die Freude an Gott, die unsere Stärke ist, wie der Heilige Vater in seinem apostolischen Schreiben ausdrücklich betont, ist es die Freude an Gott, die uns die Welt wirksam umgestalten hilft. Und das ist die einzige Kraft, die ausreichen wird, auch wenn wir weniger Kirchensteuer oder was auch immer haben, dass die Kirche ihre Mission erfüllt. Und zwar nicht nur mit Ach und Krach, sondern auch ein bisschen mit Glanz und Gloria.
Liminski: Das war Joachim Kardinal Meissner, Erzbischof von Köln, hier zu Weihnachten im Deutschlandfunk. Besten Dank für das Gespräch, Herr Kardinal!
Kardinal Meisner: Jawohl. Alles Gute und feiern Sie ein glückseliges Weihnachtsfest!
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