Das katholische Erzbistum Köln ist zu einer Zahlung von 300.000 Euro Schmerzensgeld an einen Missbrauchsbetroffenen verurteilt worden - eine wegweisende Entscheidung. Der Kläger Georg Menne war in den 1970er-Jahren als Messdiener viele Jahre lang von einem Priester sexuell missbraucht worden. Vor dem Landgericht Köln war kein Vergleich zwischen den beiden Parteien zustande gekommen.
Das Urteil dürfte eine wichtige Signalfunktion haben, auch wenn es noch nicht rechtskräftig ist. Der Kirchenrechtler Thomas Schüller sprach gegenüber der dpa von einer „Zäsur in der deutschen Justizgeschichte“.
- Der sexuelle Missbrauch war verjährt. Warum gab es trotzdem einen Prozess?
- Wie hat das Gericht die Summe von 300.000 Euro begründet?
- Welche Signalwirkung geht von dem Urteil aus?
- Muss die Kirche mit weiteren Klagen rechnen?
- Wie reagieren Betroffene auf das Urteil?
- Wie wird sich die katholische Kirche künftig positionieren?
Der sexuelle Missbrauch war verjährt. Warum gab es trotzdem einen Prozess?
Der Prozess vor dem Landgericht Köln war ein Zivil- und kein Strafprozess. Ein Strafprozess war nicht mehr möglich, weil der beschuldigte Kleriker nicht mehr lebt. Die ihm vorgeworfenen Taten sind bereits verjährt - der Zivilprozess konnte nur deswegen stattfinden, weil das Erzbistum entschied, keine Verjährung geltend zu machen.
Wie hat das Gericht die Summe von 300.000 Euro begründet?
Der Kläger Georg Menne war in den 1970er-Jahren mehr als 300 Mal von einem Priester vergewaltigt und auf andere Weise sexuell missbraucht worden. Er hatte 750.000 Euro Schmerzensgeld gefordert. Der Vorsitzende Richter Stephan Singbartl sagte dazu in seiner Urteilsbegründung, dass Menne furchtbares Unrecht widerfahren sei. Das Gericht sei jedoch nicht in den höchsten Schmerzensgeld-Bereich vorgestoßen, weil Mennes Leben glücklicherweise trotz der Verbrechen nicht zerstört worden sei. Er habe geheiratet, Kinder bekommen und einem Beruf nachgehen können. Damit solle sein Leid in keiner Weise kleingeredet werden, doch sei es Aufgabe des Gerichts, dies auch ins Verhältnis zu anderen Geschädigten zu setzen. Menne sagte dazu nach der Verhandlung, er habe viele Jahre intensiver Therapie hinter sich. Fertig sei man mit den furchtbaren Kindheitserlebnissen nie.
Welche Signalwirkung geht von dem Urteil aus?
Das Urteil hat eine hohe Signalwirkung, weil durch den Richterspruch die Institution katholische Kirche in die Verantwortung genommen und zur Rechenschaft gezogen wird. Es wird künftig nicht mehr so einfach für die Kirche sein, auf den Priester als Täter zu verweisen und eine Amtshaftung abzulehnen.
Die katholische Kirche befindet durch das Urteil zudem erstmals nicht selbst, was sie an Entschädigungszahlungen für angemessen hält. Bisher leistete sie nur freiwillige Zahlungen an Missbrauchsbetroffene, sogenannte Anerkennungsleistungen. Die dafür zuständige Kommission hat in 143 Fällen eine Summe von mehr als 50.000 Euro zuerkannt. In 24 Fällen ging es um mehr als 100.000 Euro. Oft bleiben die Zahlungen aber auch weit darunter und können auch bei 10.000 Euro liegen, der Kläger im Kölner Verfahren Georg Menne hatte 25.000 Euro bekommen. Die Deutsche Bischofskonferenz hat angekündigt, an diesem System festhalten zu wollen.
Muss die Kirche mit weiteren Klagen rechnen?
Missbrauchsbetroffene werden sich vermutlich durch das Urteil gestärkt fühlen, die Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche ebenfalls vor ein weltliches Gericht zu tragen. Ein solcher Prozess bleibt aber eine Kraftanstrengung – neben den möglichen Kosten ist auch der psychische Druck groß, allein einer großen Institution wie der Kirche mit ihren Anwälten gegenüberzustehen.
Nicht jeder Betroffene sexualisierter Gewalt sei in der Lage, den weltlichen Klageweg zu gehen, da die Beweislast beim Kläger liege, sagte der Sprecher des Betroffenenbeirats bei der Deutschen Bischofskonferenz, Johannes Norpoth, dem Sender WDR 5: "Sie müssen die Dinge beweisen, müssen sich quasi komplett offenlegen. Im Kölner Verfahren hatten wir das Glück, dass die Beklagtenseite, also das Erzbistum, die Vorgänge und Taten von vorneherein bestätigt hat."
Wie reagieren Betroffene auf das Urteil?
Für Johannes Norpoth hat das Gericht mit seiner Entscheidung eine klare Richtung vorgegeben: "zu deutlich höheren Zahlungen als das, was katholische Kirche bisher leistet". Nun hätten die Bischöfe und insbesondere die Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen (UKA) "ein erstes Referenz- und Vergleichsurteil". Ein solches habe bisher gefehlt. Auch die Betroffenenorganisation „Eckiger Tisch“ sieht im Urteil „ein wichtiges Signal für Tausende ähnlich gelagerte Fälle in Deutschland“: „Die Kirche haftet für die Verbrechen ihrer Priester, Bischöfe und Ordensvorgesetzten.“
Wie wird sich die katholische Kirche künftig positionieren?
Das Erzbistum Köln hat mitgeteilt, dass es für das erlittene Unrecht und Leid institutionelle Mitverantwortung übernehmen will. Deshalb habe Erzbischof Rainer Maria Woelki im konkreten Fall auch entschieden, keine Verjährung der in den 1970er-Jahren begangenen Taten geltend zu machen.
„Ich bin froh und dankbar, dass das Gericht mit seiner Entscheidung zur Klarheit in diesem Fall beigetragen hat“, erklärte Woelki. Ob die Kirche bei dieser Linie bleibt, wenn sie in weiteren Prozessen zu hohen Entschädigungszahlungen verurteilt wird, ist allerdings fraglich.
Christiane Florin, ahe, dpa, kna