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Katholische Kirche
"Reform der Kirche funktioniert nur mit der Tradition"

Das Rad neu zu erfinden, sei nicht immer notwendig, sagte der Kirchenhistoriker Hubert Wolf im DLF hinsichtlich einer Reform der Kirche. Eine solche könne nur mit und nicht gegen die Tradition gelingen. Zudem bemängelte Wolf, Papst Franziskus binde die Kurie nicht ausreichend ein - trotz seiner Fähigkeit zur Kommunikation.

Hubert Wolf im Gespräch mit Michael Köhler |
    Hubert Wolf, Autor, Theologe und Kirchenhistoriker
    Hubert Wolf, Autor, Theologe und Kirchenhistoriker (imago / Gerhard Leber)
    Michael Köhler: Meine erste Frage, Professor Wolf: Es gab mal Zeiten, da nicht geweihte Laien mehr Vollmachten hatten, insbesondere auch Frauen. Worin hat sich das ausgedrückt, wo war das so, wie war das?
    Hubert Wolf: Am deutlichsten sieht man das bei den Äbtissinnen, also bei den Vorsteherinnen von Benediktinerinnen-Klöstern, von Zisterzienserinnen-Klöstern. Das sind Frauen, die eigentlich ein Bistum leiten. Das heißt, zu diesem Bereich gehören 40, 50, 100 Pfarreien. Die machen all das, was ein Bischof macht: Sie setzen Pfarrer ein, setzen Pfarrer ab, die erlauben Ehen, wenn Ehe-Hindernisse vorliegen, sie verbieten gefährliche Bücher, sie stellen das Celebret aus, dass ein Priester überhaupt die Messe lesen darf, und so weiter. Das einzige was die nicht machen ist: Sie weihen keine Priester und lesen keine Messe.
    Und jetzt ist es so: Dass Männer das gemacht haben in der Reichskirche, das ist eigentlich seit vielen, vielen Jahren ganz klar. Es gibt eine ganze Reihe von Fürstbischöfen der Reichskirche, die nie eine höhere Weihe hatten und trotzdem Bischof waren von vier, fünf Diözesen mitunter. Und das gilt eben auch für Frauen.
    Bei den Äbtissinnen ist natürlich noch mal eine andere Frage, ob die Äbtissinnen-Weihe in die Nähe einer Diakoninnen-Weihe oder einer Bischofsweihe kommt. Aber selbst wenn sie das nicht tut, haben diese Frauen Jurisdiktionsvollmacht ausgeübt wie ein Bischof. Und auch die Männer, die Bischöfe sind, obwohl sie keine Bischofsweihe haben, haben bischöfliche Vollmachten im jurisdiktionellen Bereich ausgeübt. Und das finde ich schon sehr interessant.
    Köhler: Ich höre da zwei Sachen heraus, Professor Wolf. Das Erste ist, dass Frauen Vollmachten ausgeübt haben wie ein Bischof, haben Sie gesagt. In der Benedikts-Regel heißt es ja auch, die Obedientiam Abtorum, der Gehorsam gegenüber dem Abt. Und wenn Abt Frau Abt ist, dann ist Frau Abt eben Chef, und die kann sagen, wer hier zelebriert, das bestimme ich, wir haben hier eine eigene Jurisdiktion. Da war man schon weiter. Das Zweite, was ich raushöre, ist, dass es schon mal vor vielen Jahrhunderten eine viel modernere, vielleicht reformfreudigere Kirche gab - und jetzt kommt der Punkt -, die nicht im Widerspruch zur Katholizität steht. Richtig?
    Wolf: Wer legt fest, was Katholizität ist? Heute wird immer so getan, es war immer schon so, wie es heute ist, so war es immer schon. Und Katholizität heißt ja gerade gemäß des Ganzen. Das war anders katholisch, aber nicht weniger katholisch. Und Reform, wenn wir heute über Reform reden, Reform heißt ursprünglich, als man noch Latein gelernt hat, reformare, zurückformen, also wieder Modelle entdecken, Konzepte entdecken, die es in der Geschichte der Kirche schon einmal gab. Das heißt, man kann mit der Reform, man kann durch die Reform die Tradition wieder zu Wort kommen lassen. Und das ist natürlich das, was mich als Kirchenhistoriker fasziniert. Sie muss nicht das Rad immer neu erfinden, sondern wir haben in unserer Tradition Modelle. Ob ich die jetzt modern nennen will wie Sie, das ist eine Wertung. Aber wir haben alternative Modelle, die sind nicht weniger katholisch, sondern nur anders katholisch.
    Köhler: Das heißt, der römische Zentralismus ist nicht in Stein gemeißelt?
    Wolf: Der römische Zentralismus, so wie wir ihn kennen, ist eine Folge des 19. Jahrhunderts, eine Orientierung der Kirche auf die Papstkirche ist eine Folge der Säkularisation und eine Bewegung zunächst von unten. Die Menschen, die durch die Krise der Französischen Revolution gehen, die diese Umbrüche nicht mehr richtig mitvollziehen können, die suchen nach Halt im Petrusfelsen. Aber glauben Sie ernsthaft, dass ein Fürstbischof der Reichskirche, ein Fürstbischof in Köln, dass der irgendwann nach Rom gefahren wäre, um den Papst zu besuchen? Das wäre ihm nicht eingefallen. Was will ich da! Ich bin selber Nachfolger der Apostel! Da haben wir ein Selbstbewusstsein der Bischöfe jetzt mal, ein episkopales Selbstbewusstsein, das davon ausgeht, wir sind doch nicht die Oberministranten des Papstes, sondern die Nachfolger der Apostel. Nachfolger der Apostel - was kann man eigentlich mehr sein?
    Köhler: Das bringt mich zu einem wichtigen Punkt, den Sie ja immer gerne stark machen, gerade das, was Sie gesagt haben. Nach dem Sendschreiben des Papstes, nach der Bischofssynode zu Ehe und Familie, da gab es viel Kritik: Da wird nichts Konkretes drinstehen, keine Handlungsanweisung. Es gab den Vorwurf des Abwälzens der Verantwortung auf die Gemeinden. Wenn ich Sie richtig verstehe und das jetzt richtig raushöre, sehen Sie das eher als einen Vorteil, sozusagen auf lokaler Ebene die Dinge viel vernünftiger entscheiden zu können?
    Wolf: Prinzip der Subsidiarität auch in der Kirche anwenden
    Wolf: Ich sehe es einfach so, dass das Prinzip der Subsidiarität, das wir ja in der katholischen Soziallehre erfunden haben, wofür wir überall gelobt werden, im Staat, in Gesellschaft, von den Gewerkschaften, dass dieses Prinzip der Subsidiarität endlich mal in der Kirche selber angewendet wird, nämlich Probleme müssen dort gelöst werden, wo sie entstehen. Und die obere Ebene greift nur dann ein, wenn die untere es nicht schafft. Jetzt ist es so und was der Papst sagt ist: Es geht um inkulturierte Lösungen. Und inkulturierte Lösungen heißt doch, wir müssen vor Ort Probleme sehen und dafür Antworten finden. Und das machen zunächst natürlich mal die Bischöfe. Und die sind natürlich jetzt in einem ganz anderen Spiel. Die können jetzt nicht mehr sagen, na ja, wir würden ja gern, aber der Papst in Rom will nicht, sondern der Papst sagt jetzt, gut, es gibt Normen, diese Normen müssen aber angewendet werden. Und dann bringt er Thomas von Aquin. Da geht es um Billigkeit, da geht es um die Umstände, und diese Umstände können dazu zwingen, dass ich eine objektiv richtige Norm subjektiv nicht umsetzen kann. Und dann muss darauf pastoral reagiert werden.
    Ich meine, der Umgang mit Homosexualität, der ist natürlich in Afrika oder im Osten Europas ein ganz anderer als jetzt bei uns oder in Lateinamerika. Und bitte, Subsidiarität ist was ganz Wunderbares. Und warum soll das nur der Exportschlager der katholischen Soziallehre sein. Wir müssen es selber bei uns anwenden. Dann haben aber auch Bischöfe, dann haben auch Pfarrer, dann haben auch Gemeinden andere Verantwortung. Klasse, es geht doch um mündige Christen.
    Köhler: Dieses Stichwort der inkulturierten Lösungen, wovon Sie gesprochen haben, habe ich mir aufgeschrieben. Wenn man das in die Gegenwartssprache der Kulturleute übersetzt, dann ist das das, was man so Diversität nennt oder Anerkennung von kultureller Vielfalt, auf die man an verschiedenen Orten der Welt verschieden reagieren muss. - Sie sagen, wenn ich Sie richtig verstanden habe, man kann Kurienkrankheiten von heute vielleicht auch mit dem einen oder anderen Modell von gestern begegnen: Zum Beispiel durch flache Hierarchien, Kardinalsräte, durch andere Formen kollegialer Entscheidungsfindung. Würde das in die Praxis übersetzt bedeuten: Gemeindeleitung durch Laien, Predigterlaubnis, die sogenannten "Viri Probati". Da gibt es ja viele Vorschläge.
    Wolf: Eine Art Kabinett gab es schon ganz früh in der Kurie
    Wolf: Ja gut, jetzt haben Sie zwei Dinge vermischt. Es geht erst mal um Kurie und zum anderen geht es um Gemeinde vor Ort. Erst mal geht es ja um Kurie. Der Papst sagt ja in seiner Weihnachtsansprache, das sind Kurienkrankheiten und der Fisch stinkt vom Kopf her. Und es muss oben mal angefangen werden. Und da sage ich, es gibt in der Geschichte der Kirche Modelle, die die einsamen Entscheidungen des Papstes kollegial abgefedert haben. Das war nämlich ursprünglich zum Beispiel das Konsistorium. Konsistorium ist heute ein zeremonieller Rahmen, in dem der Papst Entscheidungen bekannt gibt. Ursprüngliches Konsistorium war mit 15 Kardinälen, die der Papst jeden Tag fragen muss bei jeder Entscheidung, die er fällt. Also im Grunde haben wir das, was wir heute ein Kabinett nennen, das haben wir schon ganz früh in der Kurie vorgebildet. Und dass es zu diesen Kommunikationsdisastern gekommen ist liegt daran, dass die rechte Hand der Kurie nicht weiß, was die linke tut.
    Köhler: Sie denken an Benedikt und seine Rücknahme der Exkommunikation der Piusbrüder?
    Wolf: Das ist ein ganz sprechendes Beispiel. Wenn der Papst die Information, die es in dem Ministerium gab, sagen wir Einheitssekretariat, Ministerium, zuständig für die Einheit der Christen und das Verhältnis zu den Juden - - Walter Kasper hat mir damals gesagt: Ja, wir hatten so eine dicke Akte über Williamson und die Holocaust-Leugnung. Nur der Papst konnte das nicht zur Kenntnis nehmen. Es gibt Infos und der Papst ist darüber nicht im Bild. Das kann man abschaffen, indem man einfach dafür sorgt, dass es nicht nur um Privataudienzen geht, der Papst allein verfügt über das Wissen, weil er die einzelnen Minister privat empfängt, sondern er trifft sich jede Woche mit ihnen zu einer Lage. Dann weiß Minister A, was B, C und D dazu beizutragen haben. Das ist ein Modell und da muss man nichts Neues erfinden. Das haben wir in der Tradition der Kirche.
    Köhler: Das heißt, es gibt solche Modelle, die man nur, modern gesprochen, aktivieren muss, solche Kollegien beispielsweise?
    Wolf: Richtig! Reformare heißt zurückformen und eine Reform der Kirche funktioniert nur mit der Tradition und nicht gegen die Tradition. Denn wer gegen die Tradition arbeiten würde, wir müssen das Rad neu erfinden, das kann mal notwendig sein, ganz neue Konzepte zu kreieren, aber zunächst mal lass uns doch die Tradition die Antworten geben auf die Fragen.
    Köhler: Papst Franziskus kommuniziert besser?
    Wolf: Papst muss bei dem Prozess die Kurie mitnehmen
    Wolf: Er kommuniziert relativ gut, aber er bindet die Kurie nicht ausreichend ein, ist jedenfalls mein Eindruck. Warum hat er das mit dem Kabinett nicht schon gemacht? Ich meine, er muss sich doch jede Woche mal mit den wichtigsten zehn Leuten aus der Kurie treffen. Natürlich ist der Kardinalsrat wichtig, der von außen die ganze Sache kontrolliert. Aber ich muss bei so einem Prozess den Laden, die Kurie auch mitnehmen. Mal ehrlich: Ich fand natürlich die Weihnachtsansprache schon ziemlich erfrischend. Aber wenn ich meinen Mitarbeitern in Münster in unserem Weihnachtsgottesdienst gesagt habe, ihr habt alle geistlichen Alzheimer und ihr seid auf Karriere aus und ihr schaut nur auf die roten und violetten Knopflöcher, dann wären die alle am 6. Januar wiedergekommen, richtig motiviert. Insofern muss man verstehen, dass sich manche in der Kurie auch schwer tun mit diesem neuen Stil. Und ob er die Kurie mitnimmt, ist eine Frage.
    Köhler: Wir haben angefangen mit den Äbtissinnen und den Frauen, die Vertreterin der Frauenorden waren. Gerade beim Papst, sehen Sie als Kirchenhistoriker auch im Blick auf die gegenwärtigen Diskussionen realistische Chancen auf diese jetzt in unserem Gespräch viel angesprochene Reformfähigkeit, eine Stärkung der Frauen beispielsweise?
    Wolf: Ja es gibt doch nichts Besseres, als wenn der Papst sagt, die Frage, ob Diakoninnen möglich sind oder nicht, die darf man gar nicht stellen, weil nicht sein kann was nicht sein darf, sondern wenn der Papst sagt, ein weiser Professor habe ihm erzählt, in der alten Kirche habe es Diakoninnen gegeben. Und er wollte das genauer wissen. Es ist doch wunderbar, zu sagen, ich habe Fragen an die Geschichte und die Geschichte gibt uns Antworten. Als Kirchenhistoriker freue ich mich darüber sehr, aber wenn es da Fakten gibt, Fragen gibt, Antworten, warum soll es dann keine Reformen geben? Ich bin da gar nicht so skeptisch. Es kommt jetzt nur darauf an, dass das jetzt umgesetzt wird: Wer kommt in die Kommission, welches sind die Fragen, was haben wir eigentlich schon aufgearbeitet. Da muss man keine zehn Jahre dran arbeiten, sondern ich glaube, man kann den Forschungsstand erst mal zusammenfassen, wo gibt es Diakoninnen, welchen Titel haben die, sind das weibliche Titel oder männliche Titel, wie werden die geweiht, sind das dieselben Formulare wie bei den Männern oder andere, was machen die, sind die nur in der Karitas tätig oder auch im Gottesdienst, lesen die das Evangelium vor oder nicht, gibt es das in der Ostkirche, wie lang gibt es das. Das sind alles Fragen, die man einfach mal stellen kann, Fakten, die man auf den Tisch legen kann, und das finde ich gut, dass Fakten, die Tradition Antworten gibt. Das kann man ganz entspannt dann sehen, glaube ich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.