Archiv

Katholische Vertriebene in der DDR
Treffpunkt Leipziger Zoo

Über vier Millionen Vertriebene strandeten 1945 auf dem Gebiet der späteren DDR, fast die Hälfte waren Katholiken. Eine gewaltige Herausforderung für die kleine katholische Diaspora im Kernland der Reformation. Die Integration verlief keineswegs harmonisch.

Von Blanka Weber |
    Die Vertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg geht auf Verfügungen des damaligen tschechoslowakischen Staatsoberhaupts Edvard Benes (1884-1948) zurück. Die etwa 150 von Benes zwischen 1940 und 1945 erlassenen Dekrete gehören zu den umstrittensten europäischen Rechtsakten. Auf der Grundlage der Verfügungen wurden etwa drei Millionen Deutsche sowie die vorwiegend in der Slowakei lebende ungarische Minderheit ihrer Rechte und ihres Eigentums beraubt.
    Sudetendeutsche im Juli 1946 auf dem Weg nach Deutschland: Die meisten Katholiken unter den Vertriebenen waren Sudetendeutsche und Schlesier (picture alliance / dpa / CTK_Photo)
    Wie war die "Willkommenskultur " damals – nach 1945 - in der Sowjetischen Besatzungszone? Wie haben sich die spätere DDR und auch die Staatssicherheit verhalten? Und wie sind jene Katholiken in der Fremde integriert worden? Offiziell existierte für sie das Wort "Umsiedler" - später im DDR-Sprachgebrauch waren es die "ehemaligen Umsiedler".
    "Die materiellen Dinge sind die eine Seite. Aber das allein macht ja einen Menschen noch nicht aus, dass man satt ist, ein Dach über dem Kopf hat und jetzt ein Bett hat, wo man schlafen kann."
    Torsten Müller hat sich mit der Vertreibungsgeschichte jener Menschen beschäftigt, die seit 1944 als Ostpreußen, Sudetendeutsche, Ober- oder Niederschlesier ankamen. Fast 700.000 waren es bis Anfang 1949, die allein in das Gebiet des heutigen Freistaates Thüringen kamen. Menschen, die
    viele traumatische Erfahrungen hatten bei Flucht und Vertreibung nach Mitteldeutschland.
    Torsten Müller: "Die Migrationsforschung beschreibt bei den Heimatvertriebenen zwei Schockerfahrungen. Plötzlich und unerwartet aus der Heimat vertrieben zu werden und fast nichts mitnehmen zu können, das ist der erste - und der zweite Schock ist, dass sie in den Ankunftsgemeinden nicht mit offenen Armen empfangen werden wie Landsmänner, sondern dass ihnen Hass, Fremde entgegenschlägt in Mitteldeutschland."
    Plötzlich dreimal so viele Katholiken wie zuvor
    Manche katholische Teile gehörten damals noch zum Bistum Fulda, wie das Eichsfeld, die Rhön, Erfurt und andere umliegende Orte im heutigen Thüringen. In diesem Ostteil des Bistums gab es plötzlich dreimal so viele Katholiken wie zuvor.
    "Man versucht hier in Mitteldeutschland Strukturen zu schaffen, Gottesdiensträume zu schaffen, Andachtsstätten zu schaffen, wo die Menschen zusammen kommen können, wo im staatlichen Bereich ein Verbot besteht, wo sie ihre heimatlichen Lieder singen können. Wo sie die Heiligen wiederfinden, die aus ihrer alten Heimat bekannt sind. Hedwig von Schlesien, die Gottesmutter und so weiter."
    Es gibt kaum Gemeinden für sie, kaum sakrale Gebäude, das feierliche Hochamt findet nicht wie in der alten Heimat in schönen Kirchen, sondern manchmal nur in Hinterhäusern provisorisch statt.
    Es kommt zu vielerlei Konflikten, sagt Torsten Müller, nicht nur die Seelsorge fehlt. Menschen, die mit "Nichts" kamen, müssen materiell versorgt und auch als Minderheit im sonst protestantisch geprägten Land integriert werden. Strukturen werden erst geschaffen.
    "Die Zahl der Vertriebenen ist sehr groß und es gibt nur sehr wenige Priester, die in der Sowjetischen Besatzungszone bleiben. Sehr viele von den katholischen Geistlichen wandern weiter in den Westen. Und man steht immer vor dem Problem des Priestermangels. Das ist eigentlich das größte Problem. Der Bischof sitzt in Fulda, er ist weit weg und er hat selbst ein großes Diaspora-Gebiet vor seiner Haustüre und braucht selbst katholische Geistliche."
    Die staatlichen Behörden behindern zunehmend die Arbeit des Bischofs von Fulda. Seine Arbeit ist fast nicht möglich, der Ostteil seines Bistums ist wie abgeschnitten, vor allem als 1949 die DDR gegründet wird.
    "Jetzt kommt die Grenze, und der Bischof kann zu den nötigen Amtshandlungen nicht mehr einreisen. Und man baut in Erfurt eine eigene kirchliche Verwaltungseinheit auf, etappenweise. 1953 gibt es einen eigenen Weihbischof hier und 1994 ein eigenes Bistum."
    Torsten Müller hat in den Archiven der katholischen Kirche recherchiert und festgestellt, dass es Ende der 1940er- und in den 50er-Jahren keineswegs harmonisch zuging bei der Integration der 'Neuen'. Berichtet wird in Akten von Fleischspenden aus Irland. Die katholische Hilfsorganisation Caritas verteilte diese an sämtliche Altersheime im Eichsfeld, egal welcher Konfession die Menschen angehörten. Prompt gab es Beschwerden der neuen katholischen Gemeinden, warum man sie denn nicht von Seiten der eigenen Organisation in schweren Zeiten des Hungers bevorzugen würde?
    "Da gibt es materielle Verteilungskonflikte, die sich nicht lösen lassen. Das führt im katholischen Eichsfeld dazu, dass man erwägt, den Namen Caritas abzulegen, weil für viele Einheimische der Name einen negativen Klang hat; und heute begegnen mir noch Leute, die daran denken, nach dem Krieg ist viel zu ungerecht verteilt worden."
    Tabu zu DDR-Zeiten
    Die Frage nach den Heimatvertriebenen war in der DDR politisch tabu. Erst nach 1990 wurde das Thema offen behandelt. Der Blick in Archive und Akten war möglich geworden, auch in jene der Staatssicherheit. Der Wissenschaftler Torsten Müller zitiert die Publizistin Heike Amos, die über "Vertriebene im Fadenkreuz der Staatssicherheit" schrieb:
    "Dass man in der DDR ja keine Vereine, Verbände, Landsmannschaften gründen konnte und die Heimatvertriebenen sich in relativ hohem Maße einen Ort ausgesucht haben, an dem sie sich jährlich getroffen haben, nämlich im Zoo in Leipzig. Im Leipziger Zoo gab es jährlich Treffen von Heimatvertriebenen. Die haben dann vorne eine Eintrittskarte gekauft, haben sich aber nicht die Tiere angeguckt, sondern auf landsmannschaftlicher Ebene heimlich zusammen gefunden. Und das ist vom Ministerium für Staatssicherheit beobachtet worden."
    Viele der katholischen Vertriebenen legten im Laufe der Jahre nicht nur den Dialekt, sondern auch ihre kulturellen und religiösen Eigenheiten ab. Sie verließen die Kirche oder konvertierten zum Protestantismus. Die vollkommene Assimilation war – so scheint es - mancherorts der Preis für tatsächliche Anerkennung, sogar Aufstieg und Integration in der DDR. Die einst zahlenmäßig stärkste Gruppe der Sudentendeutschen wurde in den katholischen Gemeinden später von den schlesischen Vertriebenen ersetzt, die zur größten katholischen Gruppe wurde – im einstigen Ostteil des Bistums Fulda.