Christiane Kaess: Diese Frage wird heute weltweit große Aufmerksamkeit bekommen: Was wird Papst Franziskus entscheiden zu den Vorschlägen, die die katholischen Bischöfe aus aller Welt über das Familienbild der Kirche ihm vorgelegt haben? Heute wird das Schlussdokument der Bischofssynoden zu Ehe und Familie veröffentlicht, das für die Kirche verbindlich ist. Schon vor den zwei Synoden wurden Katholiken weltweit auch dazu befragt. Das letzte Wort hat jetzt der Papst und der beginnt seine Botschaft mit den Worten "Freude der Liebe". Ob für die Kritiker der konservativen Strukturen in der Katholischen Kirche tatsächlich viel Freude dabei sein wird, das bleibt abzuwarten. 200 Seiten soll das Dokument umfassen, das heute Mittag veröffentlicht wird. Die brisantesten Punkte: Wie will die Kirche künftig mit wiederverheirateten Geschiedenen umgehen? Wie hält sie es mit der Sexualmoral und was sagt der Papst über den Umgang mit Homosexualität? - Am Telefon ist jetzt Christian Weisner. Er ist Sprecher der kirchenkritischen Initiative "Wir sind Kirche". Guten Morgen, Herr Weisner.
Christian Weisner: Ja! Guten Morgen, Frau Kaess.
Kaess: Herr Weisner, was erwarten Sie?
Weisner: Ja, die Erwartungen sind groß an Papst Franziskus. Man muss aber genauso gut sagen, dass ihm die Bischöfe bei der Synode das nicht einfach gemacht haben und genauso wenig die beiden Vorgängerpäpste Papst Benedikt und Papst Johannes-Paul II. Das Papier, was die Bischöfe nach dieser zweiten Synode dem Papst am 24. Oktober letzten Jahres überreicht haben, das war so ein Kompromisspapier. Die Bischöfe haben nicht den Mut gehabt, wirklich neue Vorschläge zu bringen, wie die katholische Lehre gestaltet und weiterentwickelt werden kann. Und das andere, die andere Hypothek ist wirklich die Enzyklika Humanae Vitae. Man erinnert sich: Im Jahr 1968 hat Papst Paul VI. entgegen seiner Berater damals die künstliche Verhütung verboten in der Enzyklika. Die deutschen Bischöfe haben das mit einer Königsteiner Erklärung damals aufgefangen, den Menschen gesagt, nein, ihr könnt nach eurem Gewissen handeln. Und das andere ist natürlich auch noch ein Papier von 1981. Die Hypotheken sind groß und da jetzt wirklich wieder, ich sage mal, eine neue Weiterentwicklung in die kirchliche Lehre zu bekommen, das ist eine unendlich schwierige Aufgabe.
"Ich hoffe, dass der Papst einen klugen Weg findet"
Kaess: Das heißt, Herr Weisner, wenn ich Sie so höre, Sie gehen davon aus, dass sich die Bewahrer durchsetzen werden und nicht die Reformer?
Weisner: Die Bewahrer, die haben sich sehr ins Zeug gelegt, auch gerade jetzt noch mal gestern Kardinal Brandmüller, der jetzt gar kein Moraltheologe ist, sondern einfach nur ein römischer Kardinal schon im Ruhestand, die wirklich gesagt haben, nein, die Kirche kann sich gar nicht ändern. Das ist unhistorisch und das ist einfach sehr gefährlich. Wenn wir wirklich die Worte der Unauflöslichkeit der Ehe so Jesus in den Mund legen und sagen, der hat es damals gesagt, das ist unhistorisch, unbiblisch. Die Entwicklung hat es in der Kirche gegeben und es geht ja gerade darum und das ist das wesentliche Ziel erst mal, die Sendung der Kirche zu erfüllen, die Menschen zu erreichen, die frohe Botschaft von Jesus Christus, die frohe Botschaft zu den Menschen zu bringen, und dann darf man nicht sofort gleich wieder, wenn man einerseits einlädt, wieder Verbotsschilder aufstellen, Du darfst nicht, Du darfst nicht, Du darfst nicht, weil Du geschieden wiederverheiratet bist, weil Du homosexuell bist und alles andere. Das ist, glaube ich, die große Problematik und ich hoffe trotzdem, dass Papst Franziskus da einen klugen Weg findet, wirklich erst mal wieder die Diskussion, die theologische Diskussion auch einzubeziehen.
Kaess: Und macht Ihnen da, Herr Weisner, der Titel Hoffnung auf Veränderung, dieses "Freude der Liebe"? Deutet das an, dass eventuell die Barmherzigkeit, die dem Papst ja offenbar so wichtig ist, im Mittelpunkt stehen könnte?
Weisner: Das ist das eine. Das andere ist, dass Kardinal Schönborn jetzt heute Mittag in Rom zusammen mit dem Synodenkardinal das Dokument vorstellen wird. Kardinal Schönborn ist der Moderator der deutschsprachigen Synodengruppe im letzten Oktober gewesen. Und da waren Kardinäle, Kardinal Kasper, der sich für die Barmherzigkeit ausgesprochen hat, genauso wie Kardinal Müller, der Präfekt der Glaubenskongregation, und die haben schon einen theologischen Weg geöffnet in dieser deutschsprachigen Gruppe. Bloß der ist leider noch nicht von der Gesamtsynode im Oktober angenommen worden. Die berufen sich auf Menschen wie Thomas von Aquin aus dem 13. Jahrhundert, der gesagt hat, natürlich muss es Grundprinzipien geben, aber die Anwendung, die muss immer auf den Einzelfall bezogen sein, und das ist, glaube ich, so etwas, was wir in der katholischen Kirche brauchen: keine rigorose rechtliche Sexualmoral, sondern wirklich auf den Menschen zugehend, den Menschen begleitend, einladend. Da, glaube ich, da hat Franziskus wirklich ein Charisma, das auch durchzusetzen.
Verantwortung liegt bei den Priestern
Kaess: Aber bei einem der größten Streitpunkte, nämlich genau dem Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, da scheint sich ja so eine "Lösung" abzuzeichnen, nämlich dass im Einzelfall entschieden werden muss. Aber wenn ich das richtig verstanden habe, ist das gar nicht neu.
Weisner: Das wird von vielen Priestern natürlich gemacht. Aber es ist jetzt gewissermaßen immer so: Die Verantwortung und die Last liegt beim Priester, dass er einen verantwortlichen Weg finden muss für die Leute und eine Begleitung finden muss. Da wäre es gut, das ist die große Hoffnung, dass der Papst Franziskus jetzt im Grunde die Bischofskonferenz an die Hand nimmt, und das ist, glaube ich, jetzt der entscheidende Punkt. Die Bischöfe haben dem Papst ein schwaches Papier vorgelegt. Das ist so das Paradoxe der Synode. Sie haben eigentlich gesagt, Papst, entscheide Du. Aber der Papst Franziskus legt wieder die Verantwortung in die Hände der Bischöfe, denn ihm ist ja die Dezentralisierung so wichtig. Das heißt, wir können mit einer Weltkirche von bald 1,3 Milliarden Menschen nicht im Grunde überall die kleinen Vorschriften in gleicher Weise haben. Die Kulturen sind ganz anders. Das hat man bei der Synode deutlich gesehen. Die afrikanischen Bischöfe, die noch sehr stark feindlich gegenüber Homosexuellen eingestellt sind. Die Probleme sind unterschiedlich und da wird Franziskus hoffentlich einen Weg öffnen, der auf die einzelnen Kulturen eingeht und wo die Bischöfe dann aber in der Verantwortung sind. Das ist, glaube ich, die entscheidende Botschaft. Ich glaube, die Nagelprobe ist: Wir sollten nicht das Papstschreiben alleine nur jetzt als entscheidend sehen, sondern was machen die Bischöfe daraus, die Theologen, die Wissenschaftler und wir alle in der Kirche.
Kaess: Und da ist ja offenbar, so wie Sie das schildern, schon jetzt eine relativ große Kluft zwischen Lehre und Praxis. Ist es denn überhaupt dann so wichtig oder tatsächlich so relevant, was in dem Schreiben steht, wenn in der Praxis sowieso eventuell anders gehandelt wird?
Weisner: Ja das ist aber genau der Ansatz natürlich, dass diese Kluft da ist, und die wird als Doppelmoral gesehen, die wird als nicht überzeugend gesehen. Dann denkt man noch an die ganzen Missbrauchsskandale und deren Vertuschung in der römisch-katholischen Kirche. Da ist ein großer Glaubwürdigkeitsverlust noch leider da und die katholische Kirche hat in diesen Sexualfragen ja im Grunde seit 1968, seit der Enzyklika Humanae Vitae zumindest in weiten Teilen der Welt ihre Sprechfähigkeit verloren. Es geht wirklich darum, wieder in positiver Weise Menschen zu begleiten, aber ihnen jetzt nicht nur von oben herab nur Forderungen zu stellen und Gebote, Du darfst, Du darfst nicht, sondern die Gewissensentscheidung ist anzuerkennen. Und die Gewissensentscheidung ist ein ganz wesentliches Element auch in der katholischen Kirche. Darum geht es.
Franziskus hat neuen Weg eingeschlagen
Kaess: Sie haben selbst schon gesagt, Herr Weisner, der Papst ist auch für die Einheit der Kirche verantwortlich. Ist das vielleicht auch der Grund, warum wirkliche Veränderungen in der Kirche so schwer durchzusetzen sind, beziehungsweise warum vielleicht Franziskus nicht das geschafft hat - so sagen zumindest Kritiker -, was man sich am Anfang von ihm versprochen hat?
Weisner: Ich bin doch sehr der Ansicht, dass es Franziskus viel mehr, als uns das selber jetzt bewusst ist, gelungen ist, wirklich einen neuen Weg einzuschlagen. Er hat in dem Sinne erst mal durch seine ganze Art, aber auch allein schon durch den Umzug in das Haus Santa Martha in Rom deutlich gemacht ein anderes Papsttum. Er will eine Synodalität der Kirche, er will eine Dezentralisierung der Kirche, er will eine Kirche, wo die Doktrin, die Lehre den Menschen dient und nicht das Gesetz die Menschen beherrscht. Das ist schon ein Mentalitätswechsel. Ich glaube, wir sind noch lange in diesem Aufarbeitungsprozess. Wir haben vorher zwei Päpste gehabt, das muss man einfach so sagen, den polnischen Papst, den deutschen Papst, die sehr stark auch gegen das Konzil gearbeitet haben, und man muss auch wirklich sagen, Papst Johannes-Paul II., der hat damals noch als Erzbischof von Krakau und Moraltheologe diese Enzyklika Humanae Vitae, die uns immer noch so schwer, ich sage mal, in der Entwicklung liegt, mit formuliert, sich dafür eingesetzt. Er hat sehr gegen jede Art von Sexualität gekämpft. Ich glaube, dieser Kampf, der ist dann in Kirchengesetze umgegossen worden, und da brauchen wir jetzt wirklich wieder eine Weitung.
Kaess: Die Meinung von Christian Weisner. Er ist Sprecher der kirchenkritischen Initiative "Wir sind Kirche". Herr Weisner, danke für dieses Gespräch heute Morgen.
Weisner: Gerne, Frau Kaess.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.