Sie traute sich das eigentlich nicht zu. Doch der zweite Autor, Joachim Widmann, brachte als Journalist die nötige Distanz zum Thema in die Arbeit, er garantierte auch bei aller Fülle des Materials die chronologische Struktur des Bandes. -- Ich bin keine Schreiberin, und Joachim Widmann hat von Anfang an sich diese Arbeit aufgehalst, wir haben gemeinsam und auch einzeln sehr viele Gespräche geführt, die auch abgeschrieben worden sind.
Es entsteht ein ebenso beeindruckender wie merkwürdiger Band. Eine richtige Biographie ist das nicht. Die Kombination von Insider-Nähe und nötiger analytischer Distanz funktioniert vor allem bei den siebziger und achtziger Jahren. Der Titel „Robert Havemann oder Wie die DDR sich erledigte“ betont diesen Schwerpunkt. Das Leben zuvor wird nur skizziert, die Biographie eines talentierten und ehrgeizigen Physikers, der im Wissenschaftsbetrieb der Nazis arbeitete und als Widerstandskämpfer gegen sie zum Tode verurteilt wird, das wäre eine ausführlichere Schilderung wert. Sein zweites Leben führt ihn dann in die DDR, wo er voller Überzeugung am Aufbau des Sozialismus mitwirkte und als Professor auch heute noch bei manchen Opfern der DDR-Politik aus damaliger Zeit Ablehnung hervorruft. Der Band verschweigt das nicht, auch nicht die gemäß seiner Überzeugung für ihn damals selbstverständliche Zusammenarbeit mit dem Ministerium für Staatssicherheit. (Die führt übrigens dazu, dass seine Witwe heute nur eine geringe Rente für ihn erhält – so, als ob Havemann bis zum Ende seines Lebens Stasi-Mitarbeiter geblieben wäre. Diese beschämende Tatsache spricht Katja Havemann nicht an, sie verzichtet auf alle Details, die sie in die Nähe der aufmerksamkeitsheischenden Witwenprosa in der Boulevardpresse rücken könnten.) Havemann war also ein leidenschaftlicher Mensch, der immer mit voller Überzeugung sich einbrachte.
Er war in keinster Weise lau oder halbherzig… Das war in vielen Alltagssituationen sogar eine Belastung.
So entwickelte er sich in logischen und durch das Buch nachvollziehbaren Schritten zum energischen Kritiker der DDR. Der Bruch wurde während seiner berühmten und dann verbotenen Vorlesungen „Dialektik ohne Dogma“ an der Humboldt-Universität offensichtlich. Nach dem 11. Plenum 1965 lebte Havemann als erster ein Leben in konsequenter Dissidenz zur DDR in der DDR vor – seine internationalen Kontakte und die dümmlichen Attacken der DDR-Führung stärkten sein Selbstbewusstsein, auf der richtigen Seite zu stehen. Alle Phasen der Repression gegen den philosophierenden Physiker sind durch geschickt einmontierte Auszüge aus Stasi-Akten nacherlebbar.
Im Buch sind auch Fotos. Eines zeigt die Witwe auf einer Treppe über rund 300 dicken Aktenordnern „Havemann“, der umfangreichste „Operative Vorgang“, den die Staatssicherheit je über eine einzelne Persönlichkeit in der DDR anlegte.(Ein Fall für das Guinness-Buch – verfasste ein anderer Geheimdienst der Welt jemals soviel Papier über einen Menschen?)
Gerade die Zeit während und nach der Biermann-Ausbürgerung 76 liest sich wie ein Thriller. Gegen Havemann praktiziert das MfS jahrelangen Hausarrest und ein ganzes Bündel von Schikanen – nur vor der Verhaftung des prominenten Nazigegners schreckt Erich Honecker zurück. Wie Havemann gegen all das ankämpft und selbstverständlich auf Öffentlichkeit setzt und die Westöffentlichkeit nutzt – das hat außer seinem Freund Biermann bis dahin niemand so in der DDR getrieben. Dieser Widerstandsgeist steckte an. Der junge Schriftsteller Jürgen Fuchs zog aus Jena sogar ins Holzhaus auf dem Grundstück Havemanns und wurde 76 mit anderen verhaftet. (Nach Jahren der Isolation entstand Mitte der siebziger Jahre eine neue Qualität oppositionellen Verhaltens in der DDR. Mit erweiterten Wirkungsmöglichkeiten auch für Havemann und Biermann. Vielleicht kam es vor allem deshalb zu seiner Ausbürgerung.) Was machte den am Rande Berlins im Wassergrundstück Burgwallstraße 4 lebenden Havemann für die DDR so gefährlich?
Robert hatte eine ganz besondere Fähigkeit, jüngeren Menschen oder Menschen mit weniger politischen Erfahrungen die Angst zu nehmen.
Solche Menschen kommen ausführlich zu Wort oder werden geschildert. Eindrückliche Biographien tauchen auf und verquicken sich zu einem Gruppenbild von Leuten, die in dieser DDR so nicht mehr weiterleben wollen. An solchen Stellen ist das Buch mehr als eine Biographie – ein Staat in der Krise bekommt lauter Gesichter und Geschichten. (Ein ganzes Forschungsinstitut könnte damit beschäftigt werden, den Puzzleteilen einer DDR-Opposition nachzuspüren. (So viel Lebendigkeit vernachlässigt manchmal die genaue Zuordnung innerhalb der Geschichte, der havemann-zentrierte Blick hat auch Leerstellen.) Robert H. kämpft bis zum Ende seines Lebens für eine in die Öffentlichkeit wirkende Opposition in der DDR. Und er darf ab 1980 noch einmal einen neuen Wirkungsschub für sein Engagement erleben.
Und seine Praxis war sich zu erinnern an seine konspirativen Kenntnisse aus der Nazizeit und sich am laufenden Band auszudenken, wie kann man diese Abschottung umgehen, was kann man machen, um die an der Nase herumzuführen oder trotzdem seine Kassetten, Briefe und Tonbänder auf den Weg zu bringen.
Havemann bleibt bis zum Lebensende ein undogmatischer Linker, er setzt Hoffnungen auf die ökologische Bewegung im Westen. Gleichzeitig ist er einer der wenigen in der DDR, der auf die Einheit Deutschlands hofft. Irgendwann, glaubte er, verkaufen die Russen das Land. Als Havemann 82 stirbt, gerät seine Beerdigung nochmals zur Sicherheitsposse. Und im Buch beginnt ein sprunghaft erzählter hochinteressanter Teil: das Leben einer Witwe, die nicht nur als Professoren-Witwe weiterleben will. Frau Havemann arbeitete eine Zeit in einer Autowerk statt:
Ja, das war eine Kurbelwellenreparaturwerkstatt, und in der DDR waren Kurbelwellen was Knappes, sie wurden mehrfach regeneriert.
Zusammen mit ihren Freundinnen Bärbel Bohley und Ulrike Poppe gründet und inspiriert sie eine neue unabhängige Frauenbewegung.
Ich fand die Idee ganz hervorragend, es auch mal als Frauengruppe zu versuchen. Es gab so Fragen, die besonders die Kinder und die DDR-Erziehung betrafen… Und wir hatten auch gute Kontakte zu Frauen in Westberlin.
Fast nimmt sich Katja Havemann zu sehr zurück. Alle Anekdoten und Details zeigen, wie neben dem direkten Einfluss auch ein intensiv indirekter von diesem Grundstück in der Burgwallstraße Nr. 4 ausging. Nicht umsonst wurde dort 1989 die Bürgerbewegung „Neues Forum“ gegründet. An dieser Stelle hört das Buch auf. Es könnte weitererzählt werden vom Echo der Vergangenheit in die bundesdeutsche Gegenwart. (Allein das Hin und Her bei den Prozessen um die Rehabilitierung Havemanns wäre eine Betrachtung wert. Auch der Anwalt Gregor Gysi taucht in der DDR-Vergangenheit von Robert und dann auch Katja Havemann immer wieder auf – er wird verzichten, durch Klage die Aufmerksamkeit auf diese für ihn wenig schmeichelhaften Stellen zu lenken.) Die politische Analyse spart die persönlichen Dimensionen einer Partnerschaft aus, von denen im Buch durchaus geredet wird. Wer aufmerksam liest, entdeckt manch unterhaltsame Anekdote, die die Autoren nicht sensationslüstern ausbreiten. (Die gelungene Balance zwischen nötiger Offenheit und jener dem Menschen angemessenen Diskretion stellt eine der Leistungen dieses Bandes dar.) Wie geht es weiter mit Robert Havemann?
Ich denke, Robert bleibt lebendig, nicht weil Straßen nach ihm benannt sind oder so – immer wieder wenn von ihm die Rede ist, dann entsteht Meinungsstreit, dann entstehen Dispute.
Momentan ist allerdings keines der Bücher Havemanns lieferbar. Aber wenigstens diese monumentale Skizze zu einer Biographie.