Es gibt Arbeitnehmer und Arbeitnahmerinnen, die arbeiten ihr Leben lang fleißig, bekommen im Alter dann aber trotzdem nur eine Rente, die gerade mal über der Grundsicherung liegt. Eine Ungerechtigkeit, die die Koalition in Berlin schon zum Start ihrer gemeinsamen Regierungszeit beseitigen wollte - ohne dabei neue Ungerechtigkeiten zu produzieren.
Was dann aber folgte, ist bekannt: Monatelanger Streit darüber, wie die sogenannte Grundrente denn nun eigentlich aussehen soll. Jetzt hat der Gesetzentwurf die erste Hürde genommen. Das Kabinett hat die Grundrente beschlossen.
Katja Mast, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, sieht damit auch die Frage nach der Gerechtigkeit beantwortet, ob Menschen Respekt und Anerkennung von Lebensleistung bekommen oder nicht.
Sarah Zerback: Wir haben es gerade gehört. Der zuständige SPD-Minister, Hubertus Heil aus Ihrer Partei, nennt die Grundrente einen Meilenstein. Passt da zum "endlich" von Horst Seehofer ein "längst überfällig" nicht viel besser?
Katja Mast: Na ja. Wir haben ja wirklich beharrlich in dieser Koalition an dieser Grundrente gearbeitet, weil wir als SPD der festen Überzeugung sind, dass Lebensleistung Anerkennung und Respekt verdient, und es geht ja im Kern darum, dass Menschen nicht Almosen bekommen, sondern dass sie einen Restanspruch in der Rente auf eine Leistung bekommen - das war ja der Kernkonflikt -, und das nach einem Leben voller Arbeit, weil Arbeit muss sich lohnen. Wir wollen Leistungsgerechtigkeit. Wer 33 Jahre beziehungsweise 35 Jahre gearbeitet hat, zu geringem Geld, soll am Schluss dennoch mehr haben als die Grundsicherung im Alter. Das ist das Signal an die Bürgerinnen und Bürger, dass wir in der Koalition bis heute gemeinsam auf den Weg bekommen haben. Ich begrüße im Übrigen auch, dass alle drei Minister gemeinsam vor die Presse gegangen sind, weil damit auch klar ist, es ist ein gemeinsames Projekt dieser Koalition in Zeiten, wo Handlungsfähigkeit auch ein wichtiges Signal in die Republik ist.
Zerback: Aber ein Signal, was natürlich trotzdem reichlich spät kommt. Sie haben sich darauf vor anderthalb Jahren im Koalitionsvertrag ja schon verständigt. War es nicht vielleicht auch einfach viel zu kompliziert, da zwei Systeme zusammenzubringen – wir haben das ja gerade noch mal gehört -, statt sich einfach zu entscheiden, ob es nun eine Rente oder eine Grundsicherung geben soll? Haben Sie sich mit dieser Quadratur des Kreises nicht unnötig das Leben schwergemacht?
Mast: Es haben sich ja schon einige Regierungen vorher daran versucht und es nicht geschafft.
Zerback: Sie hätten es ja besser machen können!
Mast: Deshalb ist das schon ein großer Erfolg. Und es ist keine Quadratur des Kreises, weil es schon in der Vergangenheit mit Höherwertung von Entgeltpunkten in der Rentenversicherung ein ähnliches Instrument gab. Das wurde irgendwann abgeschafft. Jetzt hatten wir tatsächlich einen Konflikt an der Stelle, ob wir eine Bedürftigkeitsprüfung wie in der Sozialhilfe machen. Das würde bedeuten, man muss gucken, welches Auto fahren die Leute, wieviel Geld ist auf dem Sparbuch, welches Vermögen ist sonst noch da und so weiter. Das wollten wir als SPD ganz bewusst nicht. Die Kanzlerin hat dann irgendwann gesagt, das ist auch nicht administrierbar, nicht umsetzbar, das ist viel zu bürokratisch, und das war dann letztendlich auch der Durchbruch, dass wir zusammengekommen sind, und ich bin wirklich auch unseren Koalitionspartnern von CDU und CSU dankbar, dass sie mit uns gemeinsam diesen Weg gehen, weil der Friseurin, der Floristin, den Menschen in Ostdeutschland hilft nicht, dass wir uns auseinandersetzen, sondern es hilft ihnen, dass diese Grundrente zum 1.1.2021 kommt.
"In Ostdeutschland haben viele Menschen zu kleinem Geld lange gearbeitet"
Zerback: Frau Mast, wem es aber auch hilft, ist ja, dass zum Beispiel Rentnerinnen und Rentner einen Zuschuss bekommen könnten, die vielleicht drei Häuser haben und eine dicke Lebensversicherung, weil deren Vermögen jetzt nicht geprüft wird, sondern nur noch deren Einkommen. Das ist jetzt der Kompromiss. Wie wollen Sie denn verhindern, dass da eine Gerechtigkeitsdebatte entsteht, die die Gesellschaft spaltet?
Mast: Na ja. Rente bekommt man ja auch, wenn man drei Häuser hat und zwei Autos, weil es damit was zu tun hat, wieviel Beiträge ich bezahlt habe. Auch die Grundrente ist gekoppelt an Beitragsjahren in der gesetzlichen Rentenversicherung und 33 beziehungsweise 35 Beitragsjahre sind ja kein Klacks. Wenn man dann noch anguckt, wer profitiert von dieser Grundrente, sieht man: Von fünf Bezieherinnen und Beziehern werden vier Frauen sein. Und gerade in Ostdeutschland haben viele Menschen zu kleinem Geld lange gearbeitet.
Ich will mal ein Beispiel machen. Wenn Sie Floristin waren, 40 Jahre gearbeitet haben - 40 Jahre ist echt lang -, haben Sie in der Regel 40 Prozent des Durchschnittseinkommens und kommen heute auf eine Rente von ungefähr 530 Euro. Mit der Grundrente kommen Sie auf fast 950 Euro, und das ist natürlich auch ein Versprechen, dass sich Arbeit lohnt, dass die Menschen, die sich hart anstrengen, dann am Schluss auch mehr haben.
Zerback: Okay, der Punkt ist angekommen. Aber wenn wir mal bei Ihrer Floristin bleiben, Frau Mast, ohne das Beispiel jetzt total auszureizen, dann sagt die FDP, Menschen werden benachteiligt, wenn sie Floristin waren, aber weniger als 33 Jahre eingezahlt haben, in der Summe aber mehr. Wie wollen Sie diese Unschärfe den Bürgerinnen und Bürgern erklären?
Mast: Na ja. Die FDP kämpft ja immer auch gegen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Sie kämpft auch dagegen, dass wir soziale Berufe aufwerten, und vieles weitere. Da muss man dann zuerst mal schlüssig argumentieren.
Es geht darum, Arbeit aufzuwerten, soziale Sicherheit auch in den Zeiten des Wandels zu gewähren, und das kriegen wir mit der Grundrente gut hin. Ich bin wirklich Hubertus Heil sehr dankbar, dass er da hartnäckig war, beharrlich war und wir in der Koalition gemeinsam eine anspruchsvolle Lösung gefunden haben, aber gute Lösungen für die Bürgerinnen und Bürger.
Mast: "Frage der Finanzierung ist geklärt"
Zerback: Aber eine Lösung, wo noch gar nicht geklärt ist, wie das Ganze überhaupt finanziert werden soll. Wie kann es sein, dass Sie ein Gesetz auf den Weg bringen, ohne diese wichtige Frage abgeklärt zu haben?
Mast: Heute hat das gesamte Bundeskabinett den Beschluss gefasst, dass diese Grundrente so umgesetzt werden kann. Auch Jens Spahn hat in der Pressekonferenz gesagt, die Finanzierungsfrage ist geklärt.
Zerback: Wissen Sie da mehr als ich? Details habe ich dazu nicht gehört.
Mast: Natürlich, wenn wir sagen, ein Steuerzuschuss wird an die Rentenversicherung dafür überwiesen, ist die Frage geklärt. Wir haben übrigens auch vereinbart, …
Zerback: Frau Mast, Entschuldigung! Da muss ich Sie unterbrechen. Aber woher die Steuermittel kommen sollen, das ist eben nicht geklärt, weil zum Beispiel auch immer noch nicht klar ist, ob und wann es überhaupt eine Finanztransaktionssteuer gibt. Das ist ja das Finanzierungsmodell.
Mast: In der Bundesregierung ist man sich einig, dass, bis die Finanztransaktionssteuer kommt, ein Steuerzuschuss aus dem allgemeinen Bundeshaushalt für die Umsetzung der Grundrente in die Rentenversicherung fließt.
Zerback: Aber Sie planen da mit ungelegten Eiern. Sie wissen nicht, wann das sein wird, weil das hängt ja auch in europäischer und internationaler Ebene.
Mast: Ja, aber damit ist die Finanzierung geklärt. Man sagt den Ressourcen, bis das geklärt ist. Es sieht so aus, dass es bald geklärt ist. Das haben Sie ja auch in der Anmoderation schon von Hubertus Heil gehört. Es ist völlig klar, dass dieses Projekt gemeinsam finanziert ist.
Zerback: Das, was Sie jetzt skizzieren, das ist ja auch wiederum umstritten, weil schon ohne Grundrente steigt der Steuerzuschuss an die Rentenversicherung in diesem Jahr, und zwar zum ersten Mal auf mehr als 100 Milliarden Euro. Die fühlen sich ja jetzt schon überlastet.
Mast: Wer fühlt sich überlastet?
"Rentenversicherung fühlt sich nicht überlastet"
Zerback: Die Rentenversicherung.
Mast: Die Rentenversicherung fühlt sich nicht überlastet. – Die Steuerzuschüsse in die Rentenversicherung, die fließen ja aus bestimmten Gründen. Die fließen unter anderem dafür, dass die Rentenversicherung versicherungsfremde Leistungen hat, beispielsweise auch bei der Mütterrente. Da gibt es Beitragsmittel, die in die Rentenversicherung fließen. Und natürlich haben wir bei der Wiedervereinigung viele Menschen in die Rentenversicherung einbezogen und wir müssen die Leistungen natürlich auch gewährleisten. Deshalb haben wir ja schon früh, noch bevor ich Bundestagsabgeordnete wurde, klargemacht, dass es sinnvoll ist, die Alterssicherung nicht nur über Beiträge zu finanzieren, sondern auch über Steuerzuschüsse.
Zerback: Trotzdem, Frau Mast, es bleibt dabei: Das wird jetzt in die Zukunft verschoben, auf eine Zusicherung – ich sage es noch mal – der Finanztransaktionssteuer, die noch nicht steht. Haben Sie da keine Angst vor einer neuen Gerechtigkeitsdebatte der Generationen, dass die junge Generationen Ihnen da aufs Dach steigt?
Mast: Nein! Es geht für die junge Generation wie für die anderen Generationen darum, dass sich ein Leben voller Arbeit, Pflege und Kindererziehung lohnt und das auch in der Rente abgebildet wird. Sie haben vorhin auch schon über den Anfangsbetrag von 1,5 Milliarden gesprochen. Das ist eine Frage der Gerechtigkeit, ob Menschen Respekt und Anerkennung von Lebensleistung bekommen.
Zerback: Das ist sicherlich der Satz, der Konsens ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.