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Katzengeschichten für Kinder

Katzen faszinieren den Menschen von alters her. Bei den Ägyptern wurden sie als Göttinnen verehrt, im Mittelalter zu Teufeln stilisiert, und im Märchen sind sie die ständigen Begleiter der Hexen. Auch Kinderbuchautoren sind den schnurrenden, schnorrenden Vierbeinern verfallen und erzählen mit Begeisterung von ihnen.

Von Sylvia Schwab | 17.02.2007
    "Sarah Kirsch: Katzenleben

    Aber die Dichter lieben die Katzen
    Die nicht kontrollierbaren sanften
    Freien die den Novemberregen
    Auf seidenen Sesseln oder in Lumpen
    Verschlafen verträumen stumm
    Antwort geben sich schütteln und
    Weiterleben hinter dem Jägerzaun
    Wenn die besessenen Nachbarn
    Immer noch Autonummern notieren
    Der Überwachte in seinen vier Wänden
    Längst die Grenzen hinter sich ließ."

    Katzen bevölkern die Weltliteratur. Ob Storm, Tieck oder Heine, ob Kafka, Joyce oder T. S. Eliot - sie liebten Katzen. Nein, sie liebten sie nicht, sie waren ihnen verfallen. Und sie schrieben über Katzen, oft über ihre eigenen. Fasziniert durch deren Eleganz und Unabhängigkeit nahmen die Dichter den Katzen auch ihre Unberechenbarkeit nie übel, im Gegenteil

    "Ich denke, dass Schriftsteller Eigenschaften von der Katze sehr schätzen","

    meint Gudrun Mebs, Katzenfreundin, Katzenbesitzerin, Katzenforscherin, Kinderbuchautorin, Katzenbuchautorin.

    ""Zum Beispiel wurde doch Erich Kästner gefragt, 'warum haben Sie denn Katzen und keinen Hund?' Und da hat er gesagt: 'Weil die Katzen nicht bellen'. Es sind ruhige Tiere. Wenn Du im Arbeitszimmer sitzt und eine Katze ist drin - wenn sie nicht gerade auf dem Computer liegt oder auf der Schreibmaschine sich breit macht - die spürst Du ja nicht. Es ist angenehm, es sind ja auch körperlich angenehme Tiere, und sie sind still."

    Nicht nur die Lyrikerin Sarah Kirsch oder die Kinderbuchautorin Gudrun Mebs gehören zu den Infizierten, viele moderne Autoren wie Eva Demski oder Robert Gernhardt haben über ihre Katze geschrieben. Auch Tomi Ungerer, der gleich mehrere Katzenbücher veröffentlich hat und einmal sagte:

    "Ob sie reglos verharren oder sich bewegen - diese trägen, geschmeidigen, sinnlichen, schlauen und egoistischen Wesen waren für mich mein Leben lang eine Quelle der Inspiration."

    Gerade Kinderbuchautoren können es nicht lassen, von ihren schnurrenden Schmusetieren zu erzählen, wie eine Unzahl von Katzenbüchern in den Regalen der Buchhandlungen beweist. Auch im vergangenen Herbst kamen wieder einige dazu, zum Beispiel Friedl Hofbauers und Käthe Recheis' "Schnurrbart-Kitzel-Katzenbuch". Mit dieser Sammlung von Gedichten und Geschichten haben die beiden bewährten alten Damen der österreichischen Kinderliteratur sich gemeinsam einen richtigen Spaß gemacht, und nicht nur sich selbst, auch ihren Lesern.

    "Friedl Hofbauer: Prinzessin Katze

    Meine Katze sitzt oft stumm
    irgendwo herum:
    auf der Bank, auf dem Bett,
    auf dem Fensterbrett,
    auf dem Eiskasten, auf dem Klavier ...
    Ich ruf sie, ich sag was zu ihr -
    sie schaut durch mich durch
    als wär ich ein Wicht,
    der mit einer Prinzessin spricht."

    Da haben wir sie, die stille, stumme Katze, deren Ruhe ja auch Gudrun Mebs becirct. Die arrogante, müsste man hinzufügen, die Hochnäsige, die Prinzessin, die Schöne.

    Mebs: "Noch dazu sieht es ja wohl so aus, dass viele Schriftsteller auch Ästheten sind. Besonders wenn sie mit der Sprache besonders hantieren, eine Form suchen, die ihnen gefällt, die schön klingt, musikalisch klingt. Und eine Katze ist in jeder Form, in jeder Bewegung anmutig."

    Gudrun Mebs lebt mit neun Katzen in der Toskana und hat vor ein paar Jahren selbst zwei Katzenbücher für Kinder geschrieben. Und noch eine andere Eigenschaft ihrer Lieblingstiere fasziniert sie immer wieder:

    "Ich glaube, dieses Unabhängige, was die Katze signalisiert, schätzen die Schriftsteller, weil sie auch selber unabhängig sein müssen oder auch sind."

    Eine Erfahrung, die Friedl Hofbauer im "Schnurrbart-Kitzel-Katzenbuch" für Kinder in eine kleine gedichtete Geschichte übersetzt hat:

    "Die unsichtbare Katze

    Manchmal ist meine Katze verschwunden.
    Ich such und such sie viele Stunden,
    sie ist nicht im Schrank
    und nicht unterm Bett,
    nicht hinterm Vorhang im Kabinett,
    auch unter dem Teppich ist sie nicht!
    Wissen möcht' ich,
    wo die sich verkriecht!
    Dann kommt der Abend.
    Es ist schon spät.
    Kaum leg ich mich aber nieder -
    schau! Da ist sie wieder!
    Mit einem Satz
    auf ihrem Platz
    in meinem Bett."

    Käthe Recheis' und Friedl Hofbauers "Schnurrbart-Kitzel-Katzenbuch", frech und fantasievoll illustriert von Thilo Krapp, ist ein bunter Geschichten- und Gedichteband voller witziger und liebevoller Beobachtungen mit realistischen Erzählungen und fantastischen Einfällen, mit anrührenden und skurrilen kleinen Momentaufnahmen.

    "Friedl Hofbauer: Alle Katzen

    Alle Katzen können schmeicheln
    alle Katzen können kratzen
    alle Katzen kann man streicheln
    alle Katzen ärgern Spatzen.
    Alle Katzen schnurren gerne,
    schlecken Milch und schlafen viel
    (bei Tag)
    in der Nacht fangen sie Sterne"

    Ja, so sind sie, die Katzen: unberechenbar. Undurchschaubar. Launisch. Sie schmeicheln und kratzen, schnurren und ärgern, streichen uns um die Beine und wenden sich katzbuckelnd ab. Und poetisch sind sie auch, die Katzen. Sie blicken blinzelnd in die Sonne, singen den Mond an und fangen die Sterne.

    Eingeschlichen in das "Schnurrbart-Kitzel-Katzenbuch" haben sich außerdem - und das ist Käthe Recheis' Anteil - Auszüge aus einer "Katzenfibel". Belehrungen einer Katzenmutter für/an ihr Katzenkind, "wie man Menschen katzengerecht erzieht".

    "Ein bei den Menschen weit verbreiteter Irrtum, mein liebes Katzenkind, ist die Tatsache, dass sie der Meinung sind, Katzen als Haustiere zu halten. In Wahrheit ist es umgekehrt: Wir Katzen halten uns die Menschen! Wir erlauben ihnen, uns zu betreuen und unser Leben angenehm und sorgenfrei zu machen."


    "Das Biest war riesig. Riesige Pranken. Riesige Krallen, riesige, dolchspitze Reißzähne. Der Schrecken, leibhaftig! Es war das größte und schrecklichste Vieh, das Lucia je gesehen hatte. Und es hatte nur eins im Sinn: fressen. Das wusste Lucia. Mäuse fressen. Kleine, unschuldige Mäuse.

    Natürlich hätte Lucia so schnell wie möglich davonrennen müssen; denn sie war so eine kleine, unschuldige Maus. Aber wegrennen ging nicht mehr. Der Schrecken stand auf Lucias Schwanz."

    Die Katze, in Rudolf Herfurtners neuem Kinderbuch "Lucia und das Drachenhalsband" ist sie nicht die schöne, schmeichelnde Freundin, sondern schlicht der Schrecken" die Gefahr, die Gemeinheit persönlich, das Böse an sich. Was Menschen an Katzen fasziniert - dass sie ambivalente Wesen sind, nicht nur schnurren und schmusen, sondern auch fauchen und kratzen -, für Mäuse ist das nur bedrohlich. Das erfährt auch Lucia jeden Tag aufs Neue. Ihre Kolonie ist auf einem Bauernhof zu Hause, und dort lebt auch ein Haufen dicker, arroganter Katzen, die immer nur eines im Sinn haben: kleine Mäuse fangen und quälen und fressen. Es ist der Kampf Davids gegen Goliath, der hier jeden Tag neu stattfindet.

    "Es ist ja doch ein eher mythisches Buch und nicht ein realistisches","

    stellt Rudolf Herfurtner selbst fest.

    ""Ich habe nicht wie viele Leute ihre Katze beobachtet und Erlebnisse mit ihr beschrieben. Für mich sind sie eher eine mythische Ebene, der Schrecken. Deswegen heißen sie ja auch 'der Schrecken' und nicht 'die Katzen'. Das Wort darf man eigentlich gar nicht benutzen unter Mäusen. Sie sind etwas, was numinos ist, was eigentlich aus einer anderen Sphäre kommt, und wenn nun meine Helden so klein unter ihren Böden sitzen, dann ist es etwas, was draußen ist, was groß ist, was plötzlich durch ein Loch hineinangeln kann und einen herausreißen kann aus seinem Leben."

    Aus Angst überhöhen die kleinen Nager die schlitzäugigen Monster zu einer Art mythischer Macht, zu einer bösen Gottheit, die immer neu durch einen Ritus gebannt werden muss: Nach jeder überstandenen Auseinandersetzung mit den Katzen beruft der Mäusechef Diodorus eine Versammlung ein. Da erzählt er seiner Gemeinde, um sie für den nächsten Kampf zu stärken, Heldengeschichten aus dem Leben des mutigsten Mäuserichs aller Zeiten: des Gil mit den grünen Hosen. Der hatte in grauer Mäusevorzeit - einem Siegfried gleich - alle Schreckenskreaturen mit Mut und Einfallsreichtum besiegt.

    Zwölf Abenteuer erleben die Mäuse bei Herfurtner mit den Katzen, zwölf mal beruft Diodorus die Versammlung ein und zwölf aufmunternde Heldengeschichten erzählt er seinen Untertanen. Geschichten, in denen der listige Gil Monster und Fabelwesen erfolgreich bekämpft. Geschichten die Rudolf Herfurtner aber nicht erfunden, sondern den mythischen Erzählungen der Weltliteratur entnommen hat. Dem Gilgamesch-Epos zum Beispiel, der Sage vom Minotaurus oder indischen und persischen Mythen.

    "Doch ehe der riesige Drachenwurm den tapferen Gil verspeisen konnte, holte dieser seine Flöte heraus. 'Ich will dir zum Tanz aufspielen!', rief er, 'warte!'

    Die Aspis fauchte und richtete sich auf. Sie war leicht hundertmal so groß wie Gil. Und ihr Fauchen klang immer noch wie ein höllisches Gelächter. Sie wollte gerade zustoßen, da spielte Gil den ersten Ton.

    'Aaargh!' brüllte die Aspis und krümmte sich wie ein Wurm an der Angel.

    'Na, wie gefällt dir das'", rief Gil und blies ihr einen Contretanz nach dem anderen."

    Herfurtner: "Irgendwann haben mich die alten Geschichten auch interessiert. Und auf der einen Seite ist es so, dass für mich die immer wichtiger wurden, auf der anderen Seite denke ich, wir haben auch eine gewisse Verpflichtung, sie weiter zu erzählen und weiter damit umzugehen, die großen Erzählungen, die uns überliefert sind, nicht einfach sterben zu lassen oder sie nur in Star Wars verkleidet oder anderen Fantasy-Geschichten verkleidet wiederzubringen, sondern sie auch ein bisschen zu tradieren. Und deswegen sind in diesem Buch jetzt auch einerseits Figuren drin, die man kennt, wie die Sphinx, das ist eine Geschichte, die einfach tradiert werden soll. Aber letztlich hat für mich das Spielerische gesiegt, und ich hab dann die verrückteren, unbekannteren Monster mir aus der Weltliteratur zusammengesucht wie Aigamuxa oder Squonk oder Kappa oder das Glatisand."

    Von zwölf Heldentaten Gils erzählt der Mäusechef Diodorus, bis die Mäuse begreifen, was zu tun ist im Kampf gegen den Katzen-Schrecken. Und mit ihnen begreifen natürlich auch die Kinder, was Diodorus - sprich Rudolf Herfurtner - ihnen sagen will, dass die Guten zwar klein, aber oho sind und damit den bösen Großen überlegen und dass Erzählen - also auch Lesen - Mut machen kann. Und schließlich:

    "Ein bisschen geht es letztlich auch darum auf einer ganz einfachen kindlichen Ebene, dass irgendwann ein Punkt kommt, wo man sagt, es genügt jetzt nicht mehr, Geschichten zu erzählen. Wenn man nämlich erfährt, dass die Katzen einen großen Ball planen, wo sie eine siebenstöckige Torte herstellen wollen mit lauter Mäusen in Aspik, dann helfen vielleicht die Geschichten nicht mehr, dann muss man sich überlegen, ob man vielleicht etwas tut."

    Mut und Mythen, kleine Helden und große Taten, Katzen in Karnevalsverkleidung und Mäuse in Aspik - Jacky Gleichs eindringliche Illustrationen zu Rudolf Herfurtners "Lucia und das Drachenhalsband" sind mindestens so surreal-bedrohlich oder auch komisch wie der Text. Ein Augenschmaus für mutige Mäuse-Gemüter.

    "Wenn die Katzen älter werden,
    haben sie oft Sehbeschwerden,
    müde Augen, die im Dunkeln
    kaum noch funkeln.

    Die Mäuse haben das sehr gern.
    Sie sehen jeden Abend fern.
    Sie essen Torte, trinken Wein
    und schlafen dann im Sessel ein."

    Um die alte und sprichwörtliche Rivalität von Katz und Maus geht auch in Martin Karaus Bilderbuch "Wenn die Katzen älter werden", nur dass der Text das schwarz-weiße Konzept von den guten Kleinen und den bösen Großen, vom schwachen Flüchtling und starken Verfolger spielerisch von den Füßen auf den Kopf stellt:

    "Wenn die Katzen älter werden,
    haben sie auch Gehbeschwerden,
    müde Beine, die das Jagen
    nicht vertragen.

    Die Mäuse werden immer frecher.
    Sie flüchten nicht in ihre Löcher.
    Sie drehen Kugeln aus Papier
    und werfen nach dem Katzentier."

    Während die Katzen alt und schwach werden, Seh- und Gehbeschwerden bekommen, gewinnen die Mäuse immer mehr Oberwasser. Sie werden frecher und furchtloser, doch merkwürdigerweise ernten sie nicht den Respekt des Lesers, sondern eher seinen Ärger. Denn die Emanzipation der kleinen Nager findet hier nicht im ehrlichen Wettkampf statt oder mit HiIfe von Mut oder List, sondern aufgrund der biologischen Uhr, die da unüberhörbar tickt für die Katzen.

    "Wenn die Katzen älter werden,
    können sie den Mäuseherden,
    welche sonst vor ihnen flohen,
    nur noch drohen."

    Da erringen sie plötzlich unser Mitleid, die armen Alten. Denn sie stehen auf verlorenem Posten. Es ist nur eine Frage der Zeit, dann haben die Mäuse das Sagen. Und die Alten - wer denkt nicht an die eigene Zukunft? - werden abgeschoben und ausgemustert.

    Doch im letzten Zweizeiler des Bilderbuches, auf der vorvorletzten Doppelseite, wendet sich das Blatt ganz unerwartet! Und mit einem "Doch" wird alles, was bisher erzählt wurde, nicht nur wieder infrage gestellt, sondern geradezu umgekehrt:

    "Doch wenn die Katzen älter sind,
    hat jede mindestens ein Kind."

    Womit die nächste Katzengeneration heranwächst und damit auch eine neue Bedrohung für die Mäuse. Was bedeutet, dass alles beim Alten bleibt und die gewohnte Ordnung von Stark und Schwach, Groß und Klein doch nicht über den Haufen geworfen wird. So weit, so gut - oder so schlecht, je nachdem.

    Doch, und hier kommt das zweite "Doch", die geradezu genialen Bilder von Isabel Pin erzählen eine ganz andere Geschichte als der knappe Text von Martin Karau. keine Geschichte vom Machtkampf zwischen Groß und Klein, sondern die Geschichte einer großen Liebe oder zumindest einer zärtlichen Zuneigung: die Katze als alter Mann, im braunkarierten Bademantel im Ohrensessel sitzend, die Maus als flotte junge Frau mit Rouge auf den Wangen, knappem Rock und Stöckelschuhen. Sie trinken gemütlich miteinander Kaffee, sie brät für ihn Spiegeleier und küsst ihn liebevoll auf die Stirn, und abends führt sie ihn fürsorglich ins Schlafzimmer und trägt sogar seine Brille. Was an eine Beobachtung von Gudrun Mebs erinnert:

    "Es gibt ja diesen schönen Spruch: 'Hunde haben Herrchen, Katzen haben Personal.' Und dann gibt es meinen Lieblingsspruch von Canetti, der sagt: 'Ich habe das Gefühl, in jeder Katze sitzt ein verkleideter kleiner Mensch und macht sich über mich lustig.' Wie gesagt, je länger wir Katzen haben, desto mehr habe ich auch diesen Eindruck- Ich finde das faszinierend: Stellen Sie zwei Stühle hin, einen Stuhl, einen normalen, und einen Sessel. Mit Garantie sitzt die Katze auf dem Sessel. Sie sorgt unglaublich für sich. "

    Ja, auch hier im Bilderbuch ist für die Katze beziehungsweise den Kater gesorgt, von ihrem Erzfeind, der Maus, von seiner Geliebten, der Maus. Und dann das merkwürdige, ja rätselhafte Ende von Isabel Pins gemalter Geschichte: Sind die Katzenkinder, die da heranwachsen und den Mäusen eigentlich das Leben wieder schwer machen müssten, doch selbst Mäuse! Versorgt und getragen von den alten Katzen. Katzenmütter tragen Mäusekinder! Womit endlich Frieden wäre zwischen Katz und Maus, groß und klein. Ein Frieden, den Isabel Pins Illustrationen schon atmosphärisch ausstrahlen. Einerseits großflächig, andererseits ganz zart im Detail, die Innenräume in warmen braunocker Tönen gehalten, die Außenräume in einem weichen Olivgrün, erzählen sie von Ruhe und Geborgenheit und bieten dazu eine Menge liebenswerter, verschmitzter Details - wie zum Beispiel die Bilder, die an den Wänden der Katzen-Mäuse-Wohnung hängen.

    "In unserer Straße wohnte eine alte weiße Katze."

    So beginnen Erinnerungen. So beginnen Märchen. So beginnt Jutta Richters parabelartige Erzählung "Die Katze oder wie ich die Ewigkeit verloren habe". Im Mittelpunkt des ganz reduzierten, konzentrierten Textes stehen eine weise alte Katze und ein kleines Mädchen, Christine, eine schnurrende, lebenserfahrene und allwissende Halbgöttin und ein Kind, das verträumt, mutwillig, nämlich unangepasst und voller fantastischer Ideen ist.

    "Ich war besonders. Ich hatte eine ganze Welt, die lag auf der Straße vor mir. Mit bunt schillernden Benzinpfützen. Mit roten schleimigen Nacktschnecken. Mit Knippsteinen und Himbeerbonbons. Mit krumm gebogenen rostigen Nägeln. Mit Huflattichblumen und Blindschleichen und dieser alten Katze, die genauso unsterblich war wie ich. Uns gehörte die Ewigkeit."

    Und die Ewigkeit ist, wie die Autorin selbst erklärt:

    "Die Ewigkeit ist der eigentlich paradiesische Zustand. Die Ewigkeit ist die Unendlichkeit der Kindheit, ist die Fülle. Und die hört auf, die wird weniger. Und sie hört in dem Moment auf, wo die Unschuld aufhört. Und das ist, glaube ich, das Ende des Buches."

    Jutta Richters "Die Katze" ist eine kleine große Geschichte von der Vertreibung aus dem Paradies der Kindheit, oder besser: eine Geschichte von dem freiwilligen, selbstständigen Austritt aus der Kindheit, einer Kindheit voller magischer Dinge, mutiger Träume und hässlicher Albträume, einer Kindheit voller bedeutsamer Ereignisse und merkwürdiger Menschen, voller unverständlicher Vorschriften und kleiner mutwilliger Fluchten. Denn Schritt für Schritt beginnt Christine an dem zu zweifeln, was die allwissende Katze ihr jeden Morgen auf dem Schulweg schnurrend einflüstert. Sie emanzipiert sich, macht sich ein erstes eigenes Bild von der Welt und den Menschen. Sie entwickelt zum Beispiel Mitleid mit dem einsamen Briefträger und einem unbeliebten Lehrer.

    Und als Christine es wagt, ihr zu widersprechen, kommt es zum endgültigen Bruch:

    "Sie fauchte noch mal und sprang von der Mauer.

    Und ich war verwirrt [...]

    Um mich herum sirrte der Sommer und trotzdem wurde mir kalt, denn ich wusste genau, jetzt hatte die Ewigkeit aufgehört. Und mit der Katze würde ich nie wieder sprechen.

    Die Katze war böse. Sie kannte kein Mitleid, sie kannte nur sich und die Mäuse."

    Jutta Richter hat ein zauberhaftes kleines Buch geschrieben, einen philosophischen Text für "alle Kinder, die weise und freundlich sind" - wie es in der Widmung heißt, aber auch für alle Eltern, die Lust haben und sich die Zeit nehmen, mit ihren Kindern zurückzureisen in die Kindheit, in jene Zeit, in der die Tage sich endlos zogen, in jene Zeit, in der es kein schlechtes Wetter gab, und in jene Zeit, in der plötzlich alle Sicherheiten in Frage gestellt wurden. Schrill, plötzlich und unwiderruflich.

    Still, fast lyrisch kommt dieser Text daher, in knappen Sätzen und kurzen Kapiteln, lakonisch, gestochen scharf und zugleich geheimnisvoll und anspielungsreich zwischen den Zeilen. Ideal dazu passen die ebenso sparsamen wie eindrucksvollen Illustrationen von Rotraud Susanne Berner. Wie der Text sind die Bilder konkret und surreal zugleich, schwebend leicht und doch von großem Gewicht. Eine Katzengeschichte? Oder eher ein philosophischer Versuch über die Kindheit?

    "Das kann ich nicht beantworten. Es ist natürlich keine Katzengeschichte, selbstverständlich nicht. Aber es ist auch eine Katzengeschichte. Ich habe versucht, die Welt mit fremden Augen zu begucken, und das aufzuschreiben."

    Die Welt mit fremden Augen begucken - das ist eine ebenso schlichte wie schöne Definition für das, was wir unter Literatur verstehen, ob sie für Erwachsene geschrieben ist oder für Kinder. Ob sie von Menschen erzählt oder von Tieren, von Katzen zum Beispiel.

    "In dieser Nach nahm mich die Katze zum ersten Mal mit. Und wir durchstreiften im Traum die dunklen Gassen der Stadt. Sie lehrte mich das Balancieren auf den Dachfirsten und das Hochklettern an rostigen Regenrohren. Sie lehrte mich den Mond betrachten und zeigte mir, wie man den Mäusen im hohen Gras auflauert.

    Ich kauerte reglos neben ihr, hielt meinen Atem an, wartete gespannt, bis die Maus sich vom Loch entfernt hatte, und schlug ihr dann die Krallen ins Genick."


    Literaturliste

    Besprochene Titel, erschienen 2006:

    Friedl Hofbauer/Käthe Recheis: Das Schnurrbart-Kitzel-Katzenbuch. Mit Bildern von Thilo Krapp. Dachs Verlag, 61 S., geb. 13,60 Euro

    Rudolf Herfurtner: Lucia und das Drachenhalsband. Mit Bildern von Jacky Gleich. Hanser Verlag, 128 S., geb. 12,90 Euro

    Martin Karau: Wenn die Katzen älter werden. Mit Illustrationen von Isabel Pin. Aufbau Verlag, 20 S., geb. 12,50 Euro

    Jutta Richter: Die Katze oder wie ich die Ewigkeit verloren habe. Mit Bildern von Rotraud Susanne Berner. Hanser Verlag, 65 S., geb. 13,30 Euro


    Weitere Kinder-Katzenbücher:

    Lucy Daniels: Kätzchen in der Küche, Bertelsmann Omnibus
    Barbara Frischmuth: Donna & Dario, Sauerländer
    Peter van Gestel: Stientje, Beltz & Gelberg
    Elke Heidenreich: Nero Corleone, Hanser (auch als Hörbuch bei Der Hörverlag)
    Hanna Johansen: Felis, Felis, Nagel & Kimche
    Henning Mankell: Ein Kater schwarz wie die Nacht, Oetinger
    Erwin Moser: Katzenkönig Mauzenberger, Beltz & Gelberg
    Sven Nordquist: Wie Findus zu Pettersson kam, Oetinger
    Käthe Recheis: Lisa und die Katze ohne Namen, Nagel & Kimche
    Simon und Desi Ruge: Katze mit Hut, Beltz & Gelberg
    Ellen Sell: Kater Pfennig - rabenschwarz
    Luis Sepúlveda: Wie Kater Zorbas der kleinen Möwe das Fliegen beibrachte
    Ingrid Uebe: Ein Tiger unterm Weihnachtsbaum, Ravensburger Verlag,
    Tomi Ungerer: Kein Kuß für Mutter, Diogenes
    Tomi Ungerer: Katzen


    Katzenbücher für Erwachsene:

    Julia Bachstein: Katzenglück. Fotoband. Schöffling Verlag
    Julia Bachstein: Komische Katzen, Fotoband, Schöffling Verlag
    Marylka Bender: Zen-Katzen, Patmos
    Imke Bunge/Eward Reder (Hrsgg.): Seelenverwandte auf sanften Pfoten. Katzen in der Literatur. dielmann Verlag
    Lesley O'Mara (Hrsg.): Miau! Mio! Die frechsten Katzengeschichten, Aufbau Verlag
    Federico Hindermann (Hrsg.): Katzen. Texte aus der Weltliteratur, manesse bei dtv
    Ilse Walter (Hrsg.): Katzenschnurren. Von Mäusejagden und Zimmertigern, Residenz Verlag
    Tomi Ungerer: Das große Katzenbuch, Diogenes