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Kaum noch Fische, aber jede Menge Umweltgifte

Dem Sewan-See in Armenien drohte in der Sowjetzeit eine ökologische Katastrophe: Dem Gewässer wurden riesige Wassermengen entnommen, um Energie zu gewinnen. Nun droht eine neue Gefahr: Uferbebauung, Müllentsorgung und Schwermetalle.

Von Christoph Kersting | 03.01.2011
    "Wir waren heute früh um acht schon auf dem See und haben diese Krebse hier gefangen. Nicht viel, aber immerhin. Früher waren die Netze voller. Da gab es auch noch die Sewan-Forelle, die fangen wir aber seit Jahren nicht mehr..."

    Suren Awetisyan steht am Ufer des Sewan-Sees und blickt über das stahlblaue Wasser auf die schneebedeckten Berge in der Ferne, die die Grenze zu Aserbaidschan markieren. Der 47-Jährige ist Fischer, so wie sein Vater und Großvater es auch schon waren. Heute gibt es jedoch nur noch wenige, die diese Tradition am Sewan fortführen, erzählt Suren. Es gebe ja kaum noch Fische im "armenischen Meer", wie die Kaukasier den riesigen See respekvoll nennen. Nicht weit von den Fischerhütten am Seeufer steht auf einer Halbinsel eine kleine Klosteranlage aus dem neunten Jahrhundert – das Kulturdenkmal ist auch wegen des einmaligen Blicks über den See ein Muss für jeden Armenien-Besucher. Die Halbinsel ist aber unfreiwillig auch zum Symbol für den Tod auf Raten des Sewan-Sees geworden. Denn bis in die 40er-Jahre hinein waren die kleinen Klosterkirchen noch umgeben von Wasser, sie standen auf einer Insel und waren nur mit dem Boot zu erreichen. Dass das heute nicht mehr so ist, liegt an den Sowjets: Sie zapften den Sewan-See im Laufe von Jahrzehnten für immer neue Projekte an, wodurch der Wasserpegel bedrohlich sank, erzählt Bardukh Gabrielyan, Biologe an der Universität der armenischen Hauptstadt Jerewan:

    "Der Wasserpegel wurde in Zeiten der Sowjetunion drastisch gesenkt, um 22 Meter. Man nutzte den See vor allem, um mit Wasserkraftwerken Energie zu gewinnen und die Landwirtschaft mit Wasser zu versorgen. Das begann Ende der 40er-Jahre und ging so weiter bis zum Beginn dieses Jahrhunderts."

    Die Folgen waren dramatisch: Algen vermehrten sich explosionsartig, und nicht nur Fischarten wie die nur hier vorkommende Sewan-Forelle verschwanden. Durch die Trockenlegung eines großen Sumpfgebietes am See fanden zudem zahlreiche Vögel keine Brutplätze mehr. Experten zufolge starben so bis zu 150 Vogelarten am See aus, darunter Kormoran und Samtente. Nur die Umleitung zweier großer Flüsse in den See rettete den Sewan schließlich vor dem ökologischen Kollaps. Seit 2006 stieg der Pegel immerhin um zwei Meter an. Doch damit entstehen jetzt neue Probleme.

    Denn mit dem Sinken des Wasserpegels wurde die neue Uferlinie bebaut, und diese Häuser drohen nun zu versinken. Hinzu kommt laut Bardukh Gabrielyan, dass die Behörden die Rodung der Uferbepflanzung vernachlässigen, eine den See belastende Versumpfung sei die Folge. Auch illegale Müllentsorgung, ungeklärtes Brauchwasser und Goldminen in der Region machen dem See zu schaffen.

    Davon will man in der Nationalparkverwaltung des Sewan-Sees nichts wissen. Ökologische Probleme gebe es kaum, wiegelt Gagik Martirosyan ab. Der Vizedirektor des Nationalparks verweist lieber auf die schwierige Situation der Menschen am See, die früher vom Fischfang gelebt hätten und heute keine neue Arbeit fänden:

    "Die Goldminen um den See werden von russischen Konzernen betrieben. Sie sind aber kein Problem für den Sewan-See, weil hier ja nur der Rohstoff abgebaut wird. Das Gold wird abtransportiert und an anderer Stelle verarbeitet. Es entstehen also hier vor Ort keine Schadstoffe."

    Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn laut Umweltorganisationen werden bei den Minensprengungen Schwermetalle frei, die durch Regen und Erosion auch in den Sewan-See gelangen.

    Eine gefährliche Situation für das "armenische Meer", das laut Bardukh Gabrielyan das bedeutendste Wasserreservoir des Südkaukasus ist, Georgien, Aserbaidschan, Iran und die östliche Türkei eingeschlossen. Der See, resümiert der Biologe, bedeute Leben, ohne ihn werde Armenien sterben.