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"Kein Amerikaner versteht, was ein Betriebsrat ist"

Meurer: In München begrüße ich nun den US-amerikanischen Wirtschaftsjournalisten Matthew Karnitschnig vom Wall Street Journal. Guten Tag, Herr Karnitschnig.

Moderation: Friedbert Meurer |
    Karnitschnig: Guten Tag.

    Meurer: Die Arbeiter in Bochum haben ja geglaubt, mit der Blockade des Werks Bochum würden sie die Konzernspitze in Detroit doch erheblich beeindrucken und zum Einlenken zwingen. Andere sagen, genau das Gegenteil wäre der Fall. Was ist Ihre Meinung?

    Karnitschnig: Ich glaube eher nicht. Die GM-Bosse wissen schon, was sie wollen und sie werden sich, glaube ich, durchsetzen. Das Hauptproblem hier ist, dass die Strukturen in Deutschland, was Arbeit anbelangt, den Amerikanern völlig fremd sind. Es versteht kein Amerikaner zum Beispiel, was ein Betriebsrat ist, auch wenn man es ihm erklärt, das ist ein völlig fremdes Konzept. Deswegen nehmen die US-Manager diese Strukturen oft auf die leichte Schulter.

    Meurer: Bekommen die US-Manager jetzt sozusagen Nachhilfe verpasst von den Opelanern?

    Karnitschnig: Das ist halt die Frage. Aber wenn man Opel ein bisschen kennt, dann weiß man, dass diese Probleme eine lange Geschichte haben und dass sie eben dadurch entstanden sind, dass die Menschen dies- und jenseits des Atlantiks oft aneinander vorbei reden. Es ist hauptsächlich eine Frage der Mentalität. Die Europäer machen oft den Fehler, die Lockerheit der Amerikaner falsch zu interpretieren. Im Gegensatz zu den Europäern legen viele Amerikaner in Geschäftsbeziehungen eine sehr lockere Art an den Tag. In Wirklichkeit verbergen sich hinter dieser Lockerheit beinharte Geschäftsinteressen. Andererseits ist das Problem bei Opel, dass die GM-Manager in Detroit glauben, in Europa die gleichen Geschäftspraktiken einsetzen zu können wie in Amerika. Ein anderes Problem ist, dass die GM-Bosse sich oft wie Kolonialisten verhalten haben, indem sie amerikanische Manager nach Europa geschickt haben, um hier die Geschäfte zu leiten. Es handelt sich hier oft um Menschen, die wenig oder überhaupt keine Erfahrung in fremden Ländern haben. Die wollen ein paar Jahre in Deutschland bleiben, sich das alte Europa anschauen, bevor sie dann, hoffentlich mit einem besseren Job in der Tasche, nach Hause zurückkehren.

    Meurer: Man sollte ja eigentlich annehmen, dass Konzernlenker marktwirtschaftlich denken. Was hindert die Amerikaner, sich sozusagen in deutsche Verhältnisse einzudenken? Denn, wenn man das nicht tut, kann das ja vielleicht den eigenen Interessen schaden.

    Karnitschnig: Das ist ja ganz klar und das ist bei Opel jetzt sehr deutlich geworden. Aber, das wissen wir schon seit vielen, vielen Jahren und das Problem ist nicht besser geworden. Aus irgendeinem Grund gibt es hier keine enge Bindung zwischen Detroit und Europa, es hat sich hier keine gesamte Konzernkultur entwickelt und jetzt ist die Frage, wie es weitergeht. Die US-Manager werden sich wahrscheinlich denken, ja, wir können dann weiter in den Osten ziehen, also Polen oder die Ukraine, dort ist es wenigstens billiger. Es ist immer die alte Rede von den hohen Arbeitslohnkosten in Deutschland und so weiter.

    Meurer: Zählt in den US-Konzernen nur der so genannte Shareholder-Value, die Bilanz der Aktienkurse, die Interessen der Aktionäre?

    Karnitschnig: Nicht nur, ich glaube, das ist natürlich ein Faktor. Aber, wir haben auch umgekehrt gesehen, dass es bei den deutschen Konzernen in Amerika nicht immer so optimal läuft. Sie brauchen zum Beispiel nur an Daimler-Chrysler denken oder Siemens. Sieben Jahre nach der Daimlerfusion mit Chrysler läuft das Unternehmen noch immer nicht ganz rund. Siemens hat in Amerika auch jahrelang Probleme gehabt, die sie erst vor kurzem bewältigt haben. Es geht hier auch um die Philosophie der Arbeit. Für die Deutschen ist der Arbeitsplatz ein Recht, für die Amerikaner ist ein Arbeitsplatz keine Selbstverständlichkeit, sie wechseln viel öfter den Job und sind auch mehr gewillt, aus Jobgründen ihren Wohnort zu wechseln.

    Meurer: Es hat ja auch in Detroit Massenentlassungen gegeben vor Jahren. Wehren sich US-Arbeiter weniger gegen Entlassungen als deutsche Arbeiter?

    Karnitschnig: Ja, ich glaube schon. Sie sind vielleicht ein bisschen realistischer. Was mich ein bisschen an den Deutschen wundert, dass jeder so tut, als ob diese Opelkrise aus heiterem Himmel gekommen wäre. Jeder müsste doch wissen, dass es dem Unternehmen schon seit Jahren schlecht geht. Aber anstelle sich nach einen anderen Job umzuschauen, verlässt man sich auf das Vehandlungsgeschick der Gewerkschaft oder auf Schröder oder auf den lieben Gott. Die Diskussionen über Arbeitsplatzverlagerungen sind allgegenwärtig und wenn man in der Automobilindustrie arbeitet, muss man ja wissen, dass diese so genannten Schweißjobs schon seit Jahren in Billiglohnländer verlagert werden.

    Meurer: Werden die Streiks, die wir jetzt erlebt haben, US-Investoren davor abschrecken, in Deutschland zu investieren?

    Karnitschnig: Das glaube ich nicht, weil es sich im Grunde genommen hier um Betriebe handelt, die es schon seit vielen Jahren gibt. Kein amerikanischer Investor wird jetzt in einen solchen Betrieb wie Opel mehr investieren. Das sind sozusagen Restposten aus der Vergangenheit. Wenn man jetzt in Deutschland investiert, ist das eher in Technologieunternehmen oder in Dienstleistungen und so weiter.

    Meurer: Also, das, was bei Opel passiert, färbt nicht ab auf andere Bereiche?

    Karnitschnig: Das glaube ich nicht und ich glaube auch nicht, dass das in Amerika so groß berichtet wird.

    Meurer: Das war der Wirtschaftsjournalist Matthew Karnitschnig vom Wall Street Journal.