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Kein Anglerlatein
Spinnen fressen Fische

Biologie. - Manche Spinnen vergreifen sich offenbar gern an Beute, die viel größer ist als sie selbst. Zwei Wissenschaftler berichten jetzt in der Zeitschrift "PLoS One" von Tieren, die Jagd auf Fische machen.

Von Volker Mrasek |
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    Eine Spinne der Art Dolomedes facetus hat in einem Garten bei Brisbane, Australien, einen Fisch erbeutet. (PLoS One/Peter Liley, Moffat Beach, Queensland)
    Vielen von uns flößen Spinnen Angst ein, selbst wenn sie völlig regungslos in der Zimmerecke sitzen. Doch was soll man erst zu der Geschichte sagen, die Bradley Pusey erzählt, Ökologe an der Universität von West-Australien in Albany?
    "Es gibt Berichte aus Vorstadtgärten in Sydney und Brisbane. Da bekamen Leute einen Mordsschrecken, als sie sahen, dass Spinnen sich Zierfische aus ihren Teichen holten."
    Spinnen, die Fische fressen? Das ist kein Anglerlatein, sondern die pure Wahrheit! Bradley Pusey und der Baseler Biologe und Spinnen-Experte Martin Nyfeller dokumentieren das jetzt mit einer neuen Studie in der Fachzeitschrift PLoS One. Dass es Spinnen gibt, die sich schon einmal eine Fisch-Mahlzeit genehmigen, war durchaus bekannt. Nyfeller und Pusey legen jetzt aber eine Liste mit über 80 solcher Beobachtungen vor. Demnach ist das ungewöhnliche Fressverhalten gar nicht so selten.
    Pusey: "Nach den Berichten, die wir ausgewertet haben, kommen fischfressende Spinnen auf allen Kontinenten vor. Und zwar zwischen 40 Grad Nord und 40 Grad Süd. Also im wärmeren Teil der Welt."
    Die meisten dokumentierten Fälle gab es in den USA und in Australien. Aber auch in Europa kommt eine Art vor, die sich gerne am Wasser rumtreibt, sogar darauf laufen kann, und auf Fische lauert: die rot-braun gefärbte Listspinne. In Großbritannien, Italien und Frankreich wurde sie schon auf frischer Tat ertappt ...
    Pusey: "Wir wissen jetzt, dass dieses Fressverhalten bei zehn verschiedenen Spinnen-Überfamilien vorkommt. Und damit viel stärker verbreitet ist als gedacht. Auch zu den Größenverhältnissen zwischen Räuber und Beute können wir jetzt mehr sagen. Im Durchschnitt sind die Fische etwa doppelt so groß wie die Spinnen selbst. Das ist sehr ungewöhnlich! Normalerweise bevorzugen Spinnen Beutetiere, die nur ein Viertel oder ein Fünftel ihrer eigenen Körperlänge aufweisen."
    Mit ihren Hinterbeinen verankern sich die Spinnen auf einem Stein oder auf Pflanzenteilen, die ins Wasser ragen. Ihre Vorderbeine benutzen sie erst einmal als mechanische Sensoren, die Bewegungen im Wasser registrieren. Und dann quasi als Enterhaken: An den Beinenden sitzen Klauen, und die rammen die Spinnen in die schuppige Fischhaut. So schaffen es die Räuber, ihre schlüpfrige Beute an Land zu ziehen. Dort ritzen sie sie an, mit ihren scharfen Kauwerkzeugen, und verabreichen ihren Opfern einen Cocktail aus diversen Nervengiften.
    Pusey: "Unter diesen fischfressenden Spinnen gibt es Arten, deren Gift enthält 150 verschiedene Chemikalien. Einige dieser Neurotoxine wirken dabei nur auf das Nervensystem von Wirbeltieren und nicht auf das von Insekten. Daraus kann man schließen, dass das Ernährungsverhalten dieser Spinnen eine Anpassung ist, die sich im Laufe der Evolution entwickelt hat."
    So ein fünf oder sechs Zentimeter langer Fisch ist ein echtes Festmahl für die viel kleineren Spinnen, wie Brad Pusey verdeutlicht:
    "Wenn sie nicht gestört werden, lassen die Spinnen nur Haut, Gräten und Kopf übrig. So ein Fisch liefert ihnen also jede Menge Energie. Wir vermuten, daß das für die Spinnen vor allem in der Brutzeit wichtig ist. Es könnte den Weibchen erlauben, mehr und größere Eier zu produzieren."
    Nicht nur Fische gehören offenbar ins Beute-Schema verschiedener Spinnen-Arten. Es gibt auch einige, von denen man weiß, dass sie Vögel, Fledermäuse oder Frösche fangen. Manche überwältigen Mäuse, andere wiederum Schlangen oder Salamander. Gut möglich, dass die Liste noch länger wird. Wir warten gespannt auf die nächsten Enthüllungen der Spinnenforscher.