Trommeln, Trecker, Transparente in Gorleben. Hunderte jubeln mit Abstand. Auch Hans-Werner Zachow dreht auf der Kundgebung am Sonntag noch eine letzte Ehrenrunde um das stillgelegte Bergwerk. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung (BGE) hat Gorleben von der Landkarte genommen. Der umstrittene Salzstock - ausgeschieden, gleich zu Beginn des Suchverfahrens. Zachow molk gerade seine Kühe, als er davon erfuhr: "Da habe ich die Nachricht im Radio gehört und habe gedacht: Ich habe mich verhört. Das kann eigentlich gar nicht sein."
Der Landwirt ist überrascht. Und er freut sich, dass sich erstmals die Wissenschaft vor der Politik durchgesetzt hat. Zachow ist ein Aktivist der ersten Stunde. Er war erst 21 Jahre alt, als er beim "Gorleben-Treck" einen von 300 Traktoren nach Hannover steuerte. Auch bei den Castor-Transporten ins Zwischenlager stellten sich Zachow und seine Mitstreiter immer wieder quer.
"Bei bestimmten Bohraktionen. Wo wir dann mal so Untersuchungen gemacht haben, ob es denn einem Bohrloch auch guttut, wenn es mit Gülle versorgt wird. War eine gute Aktion, denke ich mal", sagt Zachow und lacht. "Aber es hat uns natürlich auch einiges an Ärger, Prozesse und auch Geld gekostet, diese Aktionen durchzuführen."
"Am Anfang war es sehr schwierig"
1977 hatten Politiker den Standort ausgewählt. Nach den Vorstellungen der damaligen niedersächsischen Landesregierung unter dem CDU-Politiker Ernst Albrecht sollte in Gorleben ein "nukleares Entsorgungszentrum" entstehen. Es gab immer wieder fachliche Zweifel an der Eignung des Standorts – und viel Proteste: Die Aktivisten im Wendland haben Schienen besetzt und Mist auf Kreuzungen gekippt.
"Am Anfang war es sehr schwierig. Da gab es also sehr viel Streit, sind sehr viele Freundschaften auseinandergegangen. Es gab da nur entweder ja oder nein. Es war hier ein Landkreis, der bestimmt war durch die CDU. Sehr viele konservative Wähler, die also auch gesagt haben, wir müssen jetzt Arbeitsplätze schaffen. Wir müssen Geld reinbringen - und ihr Spinner wehrt euch dagegen und blockiert alles. Das macht doch gar keinen Sinn."
Widerstand im Wendland
Dem Treck der Bauern nach Hannover 1977 und dem Hüttendorf "Republik Freies Wendland" im Jahr darauf folgten bunte Kunstaktionen. Kreative aus Hamburg und Berlin siedelten bald am Zonenrand, führten ihren Kampf gegen die Kernkraft auch für eine bessere Welt.
"Auch die ersten Landkommunen, die andere Lebensformen ausprobiert haben. Viele von den sensationellen Aktionen, die wir gemacht haben, die sind auch möglich geworden, weil wir so viele gute Ideen und neues Denken von außen bekommen haben", sagt die frühere Europaabgeordnete der Grünen, Rebecca Harms - auch so eine Symbolfigur des Widerstands.
Aristokraten unter Rebellen
"Lüchow-Dannenberg, seien wir ehrlich, war bis 1977 eine völlig verträumte Region hinter dem großen Wald. Und auch das trat ein, dass diese Entscheidung diesen Raum Lüchow-Dannenberg sozusagen von der Steinzeit absolut in die Neuzeit katapultiert hat."
Der parteilose Landrat Jürgen Schulz prophezeit, dass sich in Deutschland wohl kaum noch einmal eine Standortgemeinde finden wird, die sich wirtschaftliche Vorteile von der nuklearen Entsorgung verspricht.
Rund 30 Millionen Mark bot die damalige niedersächsische Regierung Andreas Graf von Bernstorff für dessen Ländereien über dem Salzstock Gorleben. Doch der konservative Aristokrat verzichtete auf das Geld, trat aus der CDU aus und begründet seinen Übertritt ins Lager der Rebellen mit den 300 Jahre alten Familienstatuten: "Und da heißt es: Omnipräsenz est momentum. Und soll man sich wegen eines kurzen Vorteils das, was lange währen soll, nicht verderben. Dieser Spruch hat mich sehr motiviert, mich auch so zu verhalten."
Neue Formen des Landlebens
Auch Fried Graf von Bernstorff versteht sich mehr als Gestalter denn als Verhinderer. Der Junior, ein gelernter Betriebswirt, folgt in den Spuren des Vaters – und denkt die Energiewende weiter. Gemeinsam mit Freunden hat er den Verein "Wendezukunft" ins Leben gerufen, ein Thinktank, der neue attraktive Formen des Landlebens entwickeln soll: Bürgerbeteiligung, Kreislauf, Vernetzung sind Leitgedanken. Im familieneigenen Privatwald, dem größten Norddeutschlands, will der junge Graf zum Entsetzen einiger Umweltbewegter Windanlagen installieren.
"Ich finde, jetzt ist es an der Zeit, dass wir nach vorne schauen und uns auch in andere Debatten einbringen. Zum Beispiel Stadt-Land: Wie kann man hier auch noch eine Infrastruktur aufrechterhalten, dass es hier noch Schulen und Kindergärten gibt? Und genau diese Fragen wurden für mein Gefühl vernachlässigt."
"Gelernt, wie man Salzstöcke geologisch erkundet"
Untertage ist es still geworden. Die BGE entwickelt Pläne, den Salzstock endgültig stillzulegen, womöglich auch zu verfüllen. Gut zwei Dutzend Mitarbeiter sind dort derzeit noch beschäftigt, das Bergwerk in Stand zu halten.
"Mein Eindruck ist, dass die Kolleginnen und Kollegen das sehr professionell aufgefasst haben. Selbstverständlich gibt es bei dem einen oder der anderen auch Enttäuschung. Das verstehe ich. Aber man muss ihnen immer wieder sagen: Sie haben dazu beigetragen, dass in der Bundesrepublik und insbesondere am Endlagerbereich ganz viel Wissen erarbeitet wurde."
Er lasse niemanden ins Bergfreie fallen, versichert BGE-Chef Steffen Kanitz. "Wir haben aus Gorleben sehr viel gelernt. Wir haben gelernt, wie man Salzstöcke geologisch erkundet, sodass wir natürlich zum einen innerhalb der BGE, aber auch mit Forschungspartnern dafür sorgen werden, dass das Wissen nicht verloren geht und wir nicht bei null anfangen, sondern dass wir dieses Wissen auch mit in die weiteren Erkundungsprojekte retten können."
"Unsere Expertise wird gefragt sein"
Nach mehr als 40 Jahren Widerstand haben sie ihr Ziel erreicht. Einschlafen werde der Protest nicht, versichert Martin Donat. Er ist Vorsitzender der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, die sich im Widerstand gegen die Atomanlagen gebildet hat.
"Unsere Expertise wird gefragt sein, wir werden sie auch nicht verwehren. Und dabei geht es vor allen Dingen darum, dass alle Wirtsgesteine gleichrangig betrachtet werden. Und, dass es ein faires, transparentes Verfahren gibt, in denen die Betroffenen von Anfang an Mitspracherechte haben. Und nicht zu vergessen: Wir sind auch weiterhin ein Zwischenlagerstandort. Das Problem ist noch lange nicht aus der Welt!"