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Kein Ende in Sicht
Streit um die Synagoge von Potsdam

Eigentlich schien alles klar: Für die fünf jüdischen Gemeinden in der Landeshauptstadt Brandenburgs sollte ein neue Synagoge gebaut werden. Es gibt den Entwurf eines Architekten, die Finanzierung ist gesichert. Doch nun ist das Projekt gefährdet. Das Bauvorhaben sei zu wenig sakral, lautet die Kritik.

Von Christoph Richter |
24.04.2020, Brandenburg, Potsdam: An der Mauer eines Wohnhauses hängt ein Plakat mit der Aufschrift "Potsdam baut doch eine Synagoge". Das Grundstück gegenüber dem Filmmuseum war vom Land Brandenburg für den Bau der Neuen Synagoge zur Verfügung gestellt worden.
In der Potsdamer Schlossstraße sollte eigentlich schon seit Jahren eine neue Synagoge stehen (Picture Alliance / dpa / Carsten Koall)
"Schauen Sie sich das mal an: Ist das eine Synagoge? Sie sitzen im Betsaal ohne Fenster?". Ud Joffe, der Vorsitzende der Potsdamer Synagogengemeinde, steht etwas gebückt vor einem riesigen Computerbildschirm und zeigt den streng kubischen Synagogen-Vorentwurf. Die glatte Fassade soll aus hellen Glindower Ziegeln gebaut werden. "Zweckgebäude, Brutalo-Architektur, schmucklos", kritisiert Joffe.
Ein Entwurf des Berliner Architekten Jost Haberland. Der Vorschlag ähnele eher einer "Juden-Sozialamts-Behörde" als einer Synagoge, sagt Joffe. Der Bau sei einfach nicht sakral genug.
"Grundsätzlich hat der Architekt nicht einmal die technischen Vorgaben der Gemeinden vollumfänglich umgesetzt. Die Mitglieder haben sich für eine breite Eingangssituation entschieden, der Architekt hat sich auf eine schmale Sicherheitsschleuse konzentriert. Das beeinträchtigt total den Charakter des Hauses. Dann gehen wir in die Synagoge. Die Mitglieder der jüdischen Gemeinden haben sich für hohe Glasfenster entschieden, der Architekt hat sie wieder halbiert." Dem widerspricht Architekt Jost Haberland in einem Telefonat gegenüber dem Deutschlandfunk. Ganz im Gegenteil, man habe alle Vorgaben und Wünsche der jüdischen Gemeinden weitestgehend erfüllt.
Bauherren-Modell führt zu Konflikten
In der Potsdamer Staatskanzlei heißt es hinter vorgehaltener Hand: Man könne nicht einfach an den Entwürfen des Architekten rumkritzeln und mir nichts, dir nichts Änderungen verlangen. Man habe sich an urheberrechtliche Verpflichtungen zu halten. Ud Joffe widerspricht: Es könne nicht sein, dass am Ende der Architekt und die Brandenburger Baubehörde den Juden vorschreiben würden, wie die Synagoge auszusehen habe, in der sie mal Schabbat feiern wollen. Joffe: "Ein Grundproblem ist, dass die Bauherrschaft der zu bauenden Synagoge nicht bei den jüdischen Gemeinden liegt. Das ist ein Präzedenzfall in der Bundesrepublik Deutschland, der immer mal wieder zu unlösbaren Problemen führt."
2010 hat sich die Potsdamer Synagogengemeinde gegründet, eine Abspaltung der Jüdischen Gemeinde in der Landeshauptstadt. Auslöser war der Streit um die Gestaltung des Synagogen-Neubaus.
Joffe erzählt: "Die Synagogengemeinde ist die größte aktive Gemeinde, mit einem großen Anteil an Familien und Kindern. Wir haben 210 Mitglieder, Tendenz steigend."
"Das Land muss eine dezentrale Lösung finden"
Wenn sich die mittlerweile fünf verschiedenen jüdischen Gemeinden in Potsdam im Streit um die Synagoge nicht einigen können, dann müsse das Land Alternativen andenken, sagt Joffe. Sein Vorschlag: Das im Landeshaushalt eingestellte Geld für den Synagogenbau aufteilen und mehrere Synagogen bauen.
"Es muss in Potsdam anerkannt werden, dass es in Potsdam mehrere jüdische Gemeinden gibt, so wie es viele, viele christliche Gemeinden gibt, die alle ihr Gotteshaus haben. Und wenn die beiden großen jüdischen Gemeinden ihr religiöses Leben nicht gemeinsam feiern wollen, dann muss das Land eine andere Lösung, eine dezentrale Lösung finden. Welche auch absolut in Ordnung ist."
24.04.2020, Brandenburg, Potsdam: Ud Joffe, Vorsitzender der Synagogengemeinde Potsdam, informiert über den Bau einer Synagoge in Potsdam.
Ud Joffe lehnt den Entwurf des Architekten strikt ab (Picture Alliance / dpa / Carsten Koall)
Ud Joffe kommt aus Ramat Gan bei Tel Aviv, hat in Jerusalem und Berlin Musik studiert, bei Barenboim hospitiert. Seit 1997 lebt Joffe in Potsdam, ist der Künstlerische Leiter des Neuen Kammerorchesters Potsdam. Neben der Musik ist ihm die Synagoge in Potsdam ein besonderes Anliegen.
"Wir müssen schnell bauen"
Der Streit darum schwelt nun schon seit zehn Jahren. Ein Blick zurück:
2005 hat das Land Brandenburg einen Staatsvertrag mit den jüdischen Gemeinden unterschrieben. Darin enthalten ist der Bau einer Synagoge in Potsdam, inklusive der kompletten Kostenübernahme durch das Land. Derzeit ist von acht Millionen Euro die Rede, plus Betriebskosten.
Synagogen-Neubau in Magdeburg - Bund der Steuerzahler stellt Zuwendungen infrage
Der Bund der Steuerzahler Sachsen-Anhalt kritisiert, dass der geplante Neubau der Magdeburger Synagoge mit öffentlichem Geld unterstützt wird. Die jüdische Gemeinde erinnert daran, wer für die Zerstörung der alten Synagoge verantwortlich ist.
Ein Architektenwettbewerb wurde ausgeschrieben, 2010 der Siegerentwurf vorgestellt. Doch dann gab es sofort Streit, in dessen Folge gab es bis 2018 ein Moratorium. Das Ziel war es, die Konflikte aus dem Weg zu räumen. Was nach zähen Verhandlungen letztlich auch funktionierte. Im April dieses Jahres schien die Lösung nah, mit den Händen zu greifen. Trotz aller Differenzen zwischen den jüdischen Gemeinden.
"Die beiden Gemeinden haben dem Vorentwurf zugestimmt", sagt Evgeni Kutikow, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde. Er war glücklich, weil man bereits die Synagoge vor dem geistigen Auge sah, so Kutikow. Die etwa 400 Mitglieder seiner Gemeinde kommen fast alle aus der Ex-Sowjetunion, sind hochbetagt. Und haben auch schon gejubelt - dann kam die Ernüchterung:
Weil die Synagogengemeinde und Ud Joffe den Vorentwurf der Synagoge erneut in Frage gestellt habe, die Zustimmung zum Vorentwurf zurückgezogen habe. Das sei unverantwortlich, das gehe einfach nicht, sagt der aus Gomel in Weißrussland stammende Kutikow: "In unserer Gemeinde sehen wir überhaupt keinen Grund, irgendetwas neu zu beginnen, neu zu machen. Wir sind mit dem zufrieden, was bisher geleistet wurde. Wir unterstützen den Vorentwurf von Architekt Haberland, wir finden ihn sehr schön. Unsere Meinung: Wir müssen nichts ändern, sondern schnell bauen."
Das Land schweigt
Viele der betagten Gemeindemitglieder würden sich nach nichts mehr sehnen als einer Synagoge in Potsdam. Und zwar so schnell wie möglich. Doch das passiert nun vorerst nicht.
Evgeni Kutikow und die Jüdische Gemeinde Potsdam sind enttäuscht. Sie haben sich nun wegen der Differenzen mit der Synagogengemeinde von dem Vorhaben verabschiedet. Weil man aber nur eine einzige Synagoge für alle Potsdamer Jüdinnen und Juden bauen werde, hat sich nun auch das Land Brandenburg von dem Vorhaben zurückgezogen. Vorerst, wie es heißt. Offen will derzeit keiner darüber sprechen, weder die SPD-Kulturministerin Manja Schüle, noch ihr Staatssekretär Tobias Dünow. Klar ist nur: Der Bau einer Synagoge in Potsdam ist durch den Streit in der jüdischen Community in weite Ferne gerückt.
"Mein Vorschlag ist, eine Stiftung zu gründen"
Außerhalb Brandenburgs sorgt der Streit für Unverständnis. Auch bei Mendelssohn-Nachfahre Julius H. Schoeps.
Ihn erinnere der Streit an die 2000er-Jahre, erzählt er, als die Moses-Mendelssohn-Stiftung die Synagoge in Potsdam bauen wollte, wofür man beim Land Brandenburg allerdings keine Mehrheit fand. Schoeps versteht es bis heute nicht, der Bau würde längst stehen.
Der Historiker und Politologe Julius H. Schoeps, hier in Potsdam 2012
Julius H. Schoeps wollte schon vor 20 Jahren eine Synagoge in Potsdam bauen (dpa / picture alliance / Oliver Mehlis)
Schoeps wendet den Blick nach vorn:
"Mein Vorschlag ist seit Jahren, eine Stiftung zu gründen. Die könnte dann der Bauherr sein."
Das sei der einzig praktikable Weg. Denn mit dem Land als Bauherrn und den zerstrittenen Potsdamer Gemeinden gehe es ja nicht, sagt Julius H. Schoeps. Im Vorstand sollten daher sitzen:
"Ich würde sagen: der Zentralrat der Juden, der Landesverband der jüdischen Gemeinden in Brandenburg und die Stadt Potsdam."
Suche nach neuem Bauherren-Modell
Um das Projekt einer Synagoge in Potsdam zu retten, laufen hinter den Kulissen derzeit die Drähte heiß. Es heißt, man suche nach einem neuen Bauherren-Modell. Derzeit kursieren dazu verschiedene Pläne. Der Zentralrat der Juden hat bereits abgewinkt, ebenso die Moses-Mendelssohn-Stiftung.
Im Gespräch sind jetzt - neben dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden - das Abraham-Geiger-Kolleg und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, das zentrale jüdische Hilfswerk. Ob es dazu kommt, ist derzeit völlig ungewiss.