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Kein Geld für die Kultur

Feuchte Wände, keine Heizung und seit vier Monaten ist das Museum komplett geschlossen: Der Existenzkampf des bosnischen Nationalmuseums ist symbolisch für die Lage im Land. Mit mehr als 50 Prozent Arbeitslosigkeit herrscht Stillstand in Bosnien, und die Kultur gerät ins Hintertreffen.

Von Ralf Borchard |
    Als das Eingangstor ins Schloss gefallen ist, sind wir ganz allein. Keine Museumswärter, keine Besucher. Das Nationalmuseum ist seit vier Monaten geschlossen. Obwohl es sich um eine der bedeutendsten Kultureinrichtungen des westlichen Balkans handelt. 1888 gegründet, seit 1913 in einem ursprünglich prunkvollen Neorenaissance-Gebäude mit wunderschönem Innenhof untergebracht, mit archäologischer, ethnologischer und naturkundlicher Sammlung. Und der ältesten wissenschaftlichen Bibliothek Bosniens:

    "Wir haben das Museum vor vier Monaten geschlossen, weil wir seit zwei Jahren keine finanzielle Unterstützung mehr erhalten","

    sagt Vizedirektorin Marica Filipovic.

    ""Die Angestellten haben seit 17 Monaten kein Gehalt mehr bekommen."

    Filipovic zeigt verbliebene Schäden aus den Kriegsjahren von 1992 bis 1995, einzelne mit internationalen Geldern renovierte Räume und spricht von einer insgesamt desaströsen Situation:

    "Den ganzen Winter über konnten wir wieder nicht heizen. Es herrscht solche Feuchtigkeit in den Räumen, dass wir uns sehr große Sorgen machen, was mit den Ausstellungsstücken passiert, auch aufgrund des Staubs und anderer Dinge."

    Nur das Prunkstück des Museums scheint noch sicher: die Sarajevo Haggada, eine reich bebilderte Handschrift aus dem 14. Jahrhundert, die sephardische Juden nach ihrer Vertreibung aus Spanien nach Bosnien brachten. Das Buch liegt hinter Panzerglas in einem extra gesicherten Raum, in dem auch die Klimaanlage noch funktioniert.

    Warum bekommt kein Besucher mehr diesen Kunstschatz zu sehen? Weil sich die bosnischen Politiker nicht über Kulturfragen einigen können. Sechs andere nationale Einrichtungen, etwa Historisches Museum und Literaturmuseum, sind genauso betroffen. Der Friedensvertrag von Dayton hat das Land in eine serbische Republik und eine muslimisch-kroatische Föderation geteilt, diese wiederum in zehn Kantone, Kulturfragen wurden schlicht ausgeklammert, die schwache bosnische Zentralregierung hat kein Kulturministerium. Auf der Suche nach einem verantwortlichen Politiker ist nur der Kulturminister des Kantons Sarajevo zum Interview bereit:

    Bis 2001 sei die Zuständigkeit für das Nationalmuseum tatsächlich beim Kanton Sarajevo gelegen, erklärt Ivica Saric. Er selbst habe sein Amt erst 2002 übernommen. Offiziell sei die Ebene der Zentralregierung zuständig, doch dort herrsche ein politisches Vakuum, wirklich zuständig fühle sich niemand.

    Der Mann mit der beeindruckenden Bassstimme ist eigentlich Opernsänger, kann stolz von Auftritten mit Placido Domingo erzählen, eine Lösung für die Museumskrise hat auch er nicht. Vor kurzem waren zwei Kuratoren des Metropolitan Museum of Art in Sarajevo, um die berühmte Haggada als Leihgabe nach New York zu holen. Wäre das nicht eine Chance, weltweit auf das Problem aufmerksam zu machen und für Sarajevos Kunstschätze zu werben?

    "Es gibt keinerlei rechtliche Unterstützung in Vertrags- oder Versicherungsfragen"

    sagt Museums-Vize-Direktorin Filipovic.

    "New York hätte seinen kommerziellen Erfolg, aber wenn der irgendetwas passiert, was dann? Derzeit kann die Haggada Sarajevo nicht verlassen."

    So ist der Existenzkampf des Nationalmuseums symbolisch für die Gesamtlage im Land. Bosnien, verloren zwischen mangelnder Eigenverantwortung und dem Ruf nach mehr internationaler Hilfe, mit Bürgern, die bei mehr als 50 Prozent Arbeitslosigkeit andere Sorgen haben als geschlossene Museen, mit Politikern, die vor allem an sich selbst, aber nicht an das große Ganze denken.

    Obwohl vor kurzem Kulturschaffende aus ganz Bosnien Rosen vor dem Museumseingang niedergelegt haben, obwohl Museen weltweit im Internet Solidarität versprechen, eine Wiedereröffnung des bosnischen Nationalmuseums ist derzeit nicht in Sicht:

    "Momentan bin ich sehr pessimistisch", sagt Marica Filipovic, "sehr sehr pessimistisch."