Dienstag, 29. Januar. Kurz nach 21 Uhr. Die meisten Mitglieder des Vermittlungsausschusses eilen im Gebäude des Bundesrates rasch Richtung Ausgang. Neun Tage zuvor haben die Niedersachsen die schwarz-gelbe Regierung von David McAllister abgewählt. Damit haben sich auch die Mehrheiten im Bundesrat endgültig zugunsten von Rot-Rot-Grün verschoben. Und auch im Vermittlungsausschuss läuft ohne Opposition nichts mehr. Thomas Oppermann, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, bleibt auf dem Weg nach draußen bereitwillig stehen:
"Die von der Bundesregierung geplanten Eingriffe in die Lebensversicherungen haben wir so nicht akzeptieren können."
Gerade einmal etwas über zwei Stunden hat der Ausschuss an diesem Abend getagt. Das ist vergleichsweise kurz, denn die Sitzungen können sich auch schon einmal bis spät in die Nacht ziehen. Was die 32 Mitglieder genau hinter verschlossenen Türen besprechen, ist nicht öffentlich. Die Ergebnisse aber werden natürlich nach einer Sitzung bekannt:
"Der Vermittlungsausschuss soll, wie der Name schon sagt, zwischen dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat vermitteln. Das heißt, das wird insbesondere dann interessant, wenn es im Bundestag und Bundesrat unterschiedliche Auffassungen über ein Bundesgesetz gibt. Konkret heißt das, der Deutsche Bundestag verabschiedet mit Mehrheit ein Gesetz und im Bundesrat gibt es eine Mehrheit gegen dieses Gesetz. Dann kann das ein Fall für den Vermittlungsausschuss werden."
Erklärt der Bundestagsabgeordnete Thomas Strobl von der CDU. Er ist neben dem Bremer Bürgermeister Jens Börnsen (SPD), der die Länderkammer vertritt, einer der beiden Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses. Strobl findet es gut, dass es ein Gremium gibt, in dem unter Ausschluss der Öffentlichkeit um Kompromisse gerungen wird:
"Vielleicht ist, wenn die Fernsehkameras nicht dabei sind und die Journalisten nicht in ihre Notizblöcke schreiben, es leichter, auch vom eigenen Standpunkt etwas abzurücken. Und das ist denknotwendigerweise die Voraussetzung für einen Kompromiss, dass man von dem eigenen Standpunkt, von dem man ganz überzeugt ist, auch ein bisschen etwas preisgibt."
Seit 2009, seit unter Angela Merkel Schwarz-Gelb regiert, hat der Bundesrat den Ausschuss fünfzehnmal angerufen. Die Bundesregierung zehnmal. Neunmal häufiger als in der vorherigen Legislaturperiode. Bei der letzten Sitzung Ende Januar waren sich die 32 Mitglieder, die je zur Hälfte aus dem Bundestag und aus den Bundesländern kommen, bei der Mehrzahl der Punkte recht schnell einig: Das meiste wurde auf den 26. Februar vertagt – morgen Abend trifft sich der Vermittlungsausschuss schon wieder. Über ein Thema, so hieß es, wurde im Gremium lange und heftig diskutiert.
Es ging um die Frage: Dürfen Versicherungskonzerne zukünftig Geld aus den sogenannten Bewertungsreserven zurückhalten, wenn die Lebensversicherung eines Kunden fällig wird?
Die schwarz-gelbe Regierungskoalition sagt: Ja – und hatte das Gesetz im November im Bundestag mit ihrer Mehrheit beschlossen. Die rot-grüne Opposition sagt: Nein - und hatte das Gesetz im Bundesrat wieder gestoppt. Aber auch die Mitglieder des Vermittlungsausschusses konnten sich nicht einigen. Ärgerlich, findet Michael Meister, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag:
"Wir hatten als Koalition einen Einigungsvorschlag gemacht, und das war leider im Vermittlungsausschuss nicht mehrheitsfähig."
Also: Ab mit dem Streitfall in Unter-Arbeitsgruppen. Wenn der Ausschuss morgen erneut tagt, werden die Lebensversicherungen wieder Thema sein – auf Grundlage der Vorschläge aus den Arbeitsgruppen.
Dass es bei einzelnen Vorhaben im Vermittlungsausschuss nicht sofort zu einem Kompromiss kommt, ist durchaus nichts Ungewöhnliches. Denn auch hier sitzen ja Vertreter der verschiedenen Parteien. Die 16 aus den Bundesländern entsprechend der jeweiligen Regierung. Die 16 von Bundestagsseite entsprechend der Stärke der einzelnen Fraktionen. Damit sollen auch die Kräfte-Verhältnisse der Parteien im Bundestag abgebildet werden. Spiegelbildlichkeit heißt das.
"Deutschlandfunk. Acht Uhr, die Nachrichten. Zunächst die Übersicht: Die Landtagswahl in Niedersachsen hat eine knappe Mehrheit für Rot-Grün ergeben."
20. Januar, Wahl in Niedersachsen. Das Ergebnis dort hat Angela Merkel das Regieren in Berlin erschwert.
"Ich will da auch gar nicht drum herumreden, nach so einem Wechselbad der Gefühle schmerzt eine solche Niederlage natürlich umso mehr, und insofern waren wir alle ein Stück weit traurig."
"Traurig", wie es die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende beschreibt, trifft auf den Wahlabend selbst zu, dürfte aber wohl auch eine vorsichtige Beschreibung der Gefühlslage der schwarz-gelben Koalition auf Bundesebene sein. Denn auch wenn der Sieg von Rot-Grün in Niedersachsen nur knapp war, wirkt er sich doch auf die Handlungsfähigkeit der Merkel-Regierung aus. Denn nur noch in drei Bundesländern gibt es ebenfalls schwarz-gelbe Regierungen. Das heißt: Im Bundesrat hat dieses Bündnis nur noch 15 Stimmen. SPD, Grüne und Linke dagegen kommen auf 36 von 69 Stimmen – und damit auf die absolute Mehrheit. Auch im Vermittlungsausschuss haben sich die Machtverhältnisse seit der Niedersachsen-Wahl geändert, erklärt der SPD-Politiker Thomas Oppermann:
"Wir haben eine Mehrheit im Vermittlungsausschuss, aber an diese Mehrheit muss sich die Koalition erst noch gewöhnen."
Das heißt wohl: Bis zur Bundestagswahl am 22. September kann Schwarz-Gelb zwar neue Gesetze auf den Weg bringen – doch mit ihrer neuen Mehrheit in der Länderkammer können SPD, Grüne und Linkspartei Einspruch erheben gegen alles, was CDU, CSU und FDP im Bundestag mit ihrer Regierungsmehrheit verabschiedet haben. Vor allem aber hat die Opposition seit der Niedersachsenwahl genug Stimmen, um den Vermittlungsausschuss anzurufen. Das 32-köpfige Gremium wird bis zur Bundestagswahl also häufig tagen müssen. Und weil die Opposition auch im Ausschuss eine Mehrheit hat, kann sie - wie es ihr beliebt - Einfluss nehmen auf die Tagesordnung, den Ablauf der Sitzungen und die Einsetzung von Arbeitsgruppen. Sie hat also die Macht, Kompromisse hinauszuzögern, sagt Günter Bannas, der in Berlin die politische Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung leitet:
"Die drei Bundestagsoppositionsparteien können praktisch im Moment jedes Gesetz so lange aufhalten bis zur Bundestagswahl."
Danach sind alle Gesetzesentwürfe null und nichtig. Denn alles, was bis zum Ende der Legislaturperiode nicht verabschiedet ist, verfällt automatisch. Ist der Vermittlungsausschuss in den kommenden sieben Monaten bis zur Wahl also eine Art Neben-Regierung? Nein, sagt Günter Bannas:
"Weil die Ergebnisse des Vermittlungsausschusses nur dann wirksam werden, wenn sie in beiden Kammern, im Bundestag und Bundesrat, akzeptiert werden."
Hat sich die Opposition also zu laut beziehungsweise zu früh gefreut? So sieht es Günter Bannas. Denn der Opposition wird eine ihr genehme Politik, die sie mit ihrer Mehrheit im Vermittlungsausschuss durchdrückt, wenig nutzen:
"Sogenannte unechte Vermittlungsergebnisse werden ja vom Bundestag sowieso abgelehnt. Also insofern ist die Mehrheit im Vermittlungsausschuss eine schöne und wichtige Sache, aber wenn, wie im vergangenen Dezember geschehen, der Vermittlungsausschuss Ergebnisse beschließt, die der Mehrheit des Bundestages zuwiderlaufen, dann hilft das der Bundestagsopposition auch nicht, weil diese Ergebnisse werden im Bundestag dann wieder verworfen."
Erst im Dezember hatte die Opposition dem Jahressteuergesetz im Vermittlungsausschuss einen zusätzlichen Punkt hinzugefügt und aus dem Gesetz, über das weitgehend Einigkeit bestand, ein Politikum gemacht: Neben den neuen Bestimmungen für die steuerliche Förderung von Elektroautos und die Schließung von Steuerschlupflöchern stand plötzlich im Jahressteuergesetz die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit traditionellen Ehen. Stichwort: Ehegattensplitting.
Ein Tabu – bis dato für Teile der CDU und besonders für die CSU. Schwarz-Gelb ließ das Vermittlungsausschuss-Ergebnis im Bundestag prompt durchfallen.
Annehmen oder ablehnen. Eine andere Möglichkeit bleibt dem Bundestag auch nicht, wenn ein Gesetz aus dem Vermittlungsausschuss kommt, erklärt Matthias Cornils. Er ist Professor für Medienrecht, Kulturrecht und öffentliches Recht an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz:
"Das ganze Paket, dieses neu geschnürte Gesetz, wird dann dem Bundestag vorgelegt. Ohne neue Beratungsmöglichkeit, da kann also der Bundestag auch nicht wieder einsteigen in die Einzeldiskussion der Änderungen. Sondern es gilt, wenn man so will, das Prinzip: Friss Vogel oder stirb."
Wegen ähnlicher Fälle musste sich das Bundesverfassungsgericht in den Jahren 2008 und 2009 mit der Frage beschäftigen: Darf der Vermittlungsausschuss ein Gesetz um Punkte ergänzen, die zuvor weder im Bundestag noch im Bundesrat Gegenstand der Diskussion waren? Die Karlsruher Richter haben entschieden:
"Das eben ist unzulässig. Oder aber, was zulässig ist: Werden nur solche Modifikationen eingeführt, die ohnehin schon vorher Gegenstand der parlamentarischen Beratungen waren, die also als Stoff, als Material im Gesetzgebungsverfahren vorgelegen haben und deshalb dem Bundestag zurechenbar sind. Das ist eine Formulierung des Bundesverfassungsgerichts."
Der Versuch der Oppositionsparteien, die steuerliche Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften quasi durch die Hintertür ins Gesetz zu schreiben, war also zwar grundsätzlich legitim. Hilfreich bei der Suche nach einem echten Kompromiss war der Oppositionsclou allerdings nicht. Und somit hängt das Jahressteuergesetz noch immer in der Luft.
Eine vertrackte Situation. Aber nichts Neues für eine schwarz-gelbe Regierung. Auch wenn das letzte Mal schon einige Jahre zurückliegt, erinnert sich der Journalist Günter Bannas:
"Das letzte Mal war das der Fall in der Endphase der Regierungszeit von Helmut Kohl. Also 1996, '97, '98, als damals SPD und Grüne im Bundesrat die Mehrheit hatten und gegen damals Lafontaine und Schröder im Bundesrat damals nichts lief."
Bis im Jahr 1998 Gerhard Schröder Kohl auch als Kanzler ablöste und Rot-Grün die Bundesregierung übernahm. Die Freude darüber währte allerdings nicht lange. Bereits ein Jahr später, 1999, verlor Rot-Grün Hessen – und damit die Mehrheit im Bundesrat an Schwarz-Gelb. CDU, CSU und FDP hätten sich damals in der Opposition über weite Strecken konstruktiv an der Gesetzgebung beteiligt, erinnert sich Thomas Strobl, der heutige Vorsitzende des Vermittlungsausschusses.
"Beispielsweise erinnere ich mich daran, dass wir den Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder im Bundesrat zugestimmt haben. Ich möchte übrigens aus heutiger Sicht sagen, Gott sei Dank. Die Tatsache, dass es uns in Deutschland verhältnismäßig gut geht, vielleicht sogar sehr gut mit Blick auf andere europäische Länder, das hat etwas mit diesen Arbeitsmarktreformen durchaus zu tun. Und das ist eine gemeinsame Verantwortung für Deutschland gewesen, die man damals wahrgenommen hat. Und ich glaube, die CDU muss sich nicht schämen, damals im Interesse unseres Lands verantwortungsbewusst im Deutschen Bundestag keine Blockadepolitik, sondern eine konstruktive Politik gemacht zu haben."
Wie nicht anders zu erwarten, lobt der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der baden-württembergischen CDU das damalige Verhalten seiner Partei. Mittlerweile jedoch sei die Arbeit im Vermittlungsausschuss, dem Strobl vorsteht, schwieriger geworden:
"Wobei es nicht nur der Ausgang der Wahl in Niedersachsen ist, sondern ich habe den Eindruck, dass die herannahende Bundestagswahl sowohl den Bundesrat als auch den Vermittlungsausschuss zunehmend parteipolitisch determiniert, also nicht mehr eigentliche Interessen des Bundes und der Länder die Debatte bestimmen, sondern es eine sehr parteipolitisch zentrierte Debatte ist."
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Michael Grosse-Brömer, formuliert deutlicher. Auch er ist Mitglied im Vermittlungsausschuss:
"Rot-Rot-Grün hat jetzt eine Verhinderungsmehrheit. Und die Frage ist, wird sie sie nutzen – schau`n wir mal."
Das Misstrauen gegenüber der Opposition, das bei Grosse-Brömer hörbar ist, verwundert nicht – sieben Monate vor einer wichtigen Wahl:
"Der Bundesrat und der Vermittlungsausschuss insbesondere sind sicherlich nicht gedacht, um parteipolitisch Politik zu machen, sozusagen über Ländergrenzen und Interessen hinweg gemeinsam mit der Opposition im Bundestag. Die Gefahr besteht zurzeit."
"Ich bin gegen Blockadepolitik, und SPD und Grüne müssen sich wirklich gut überlegen, was sie tun. Es geht hier um Deutschland und geht nicht um Parteien","
sagt auch Emilia Müller. Als Ministerin für Bundes- und Europa-Angelegenheiten vertritt sie im Vermittlungsausschuss immer wieder die Interessen des Freistaates Bayern.
""Also, ein Thema hat mich sehr aufgeregt. Das war, als blockiert worden ist, das Steuerabkommen mit der Schweiz. Weil da geht es alleine für das Jahr 2013 um neun Milliarden Euro, die die Bundesrepublik Deutschland nicht zur Verfügung hat."
SPD und Grüne – allen voran Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen und Grün-Rot in Baden-Württemberg - hatten das Abkommen im Bundesrat scheitern lassen. Weil die Inhaber nicht deklarierter Konten in der Schweiz, die keine Steuern in Deutschland gezahlt hatten, ihrer Ansicht nach viel zu billig davonkommen sollten.
Mit Blockade habe das nichts zu tun, sagt die Opposition. Und was in der CDU als gefährliche parteipolitische Dominanz beklagt wird, ist für die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, positiv besetzt:
"Ein schönes Gefühl, das ist nämlich Gestaltungskraft."
Für Begrifflichkeiten wie Blockadepolitik oder Verhinderungsmehrheit hat Künast – es verwundert nicht - kein Verständnis.
"Blockadepolitik ist ja eine Unverschämtheit seitens Schwarz-Gelb. Das ist so richtig Wahlkampfgeklingel. Warum: Dann wäre ja jede Mehrheit, die irgendwo besteht, oder jede Minderheit immer mit Blockade zu versehen. Nein, das ist demokratisch so gewollt. Es drückt die Mehrheit der Landesregierungen aus im Bundesrat, weil das ihre Kammer ist, in der sie ihre Interessen vertreten. Und es ist nun mal ein Fakt, dass Schwarz-Gelb nur noch in ganz, ganz wenigen Bundesländern vorhanden ist."
Nämlich nur noch in Sachsen, Bayern und Hessen. In den beiden letztgenannten Bundesländern wird im September ebenfalls gewählt. Doch egal, wie die Landtagswahlen in Bayern und Hessen auch ausgehen werden, an der rot-rot-grünen Mehrheit im Bundesrat ändert sich so schnell nichts mehr. Selbst wenn Schwarz-Gelb in München und Wiesbaden weiterregieren können.
Auch für die Union wird sich die Situation auf absehbare Zeit nicht verbessern. Selbst dann nicht, wenn im Herbst auf Bundesebene Schwarz-Gelb abgewählt würde und die Union stattdessen mit der SPD eine Große Koalition eingehen müsste. Der Journalist Günter Bannas:
"Weil auch eine Große Koalition im Bund im Bundesrat nicht über eine Mehrheit verfügt. Sie müssen sehen, dass die Grünen mittlerweile an so vielen Landesregierungen beteiligt sind, dass sie über 29 Stimmen verfügen, das ist sehr viel mehr, als eine Große Koalition alleine im Bundesrat aufbringen würde. Das heißt, auch eine Große Koalition wäre in den nächsten Jahren – und da gilt das Jahr 2016 etwa – auf Verhandlungen und einen Konsens mit den Grünen angewiesen."
Um diese Tatsache weiß natürlich auch die Vorsitzende der Grünen Bundestagsfraktion. Renate Künast hat für Angela Merkel dann auch einen Rat parat.
"Sie wird nicht drum herumkommen, sich mit dem Bundesrat irgendwie zu einigen – wir werden den Finger in diese Wunde legen."
Anlass dafür gibt es in der noch laufenden Legislaturperiode noch genügend. Sowohl Künast als auch Grosse-Brömer fällt einiges ein:
(Michael Grosse-Brömer:)
"verschiedene Regelungen auch im Bereich der Finanzmärkte"
(Renate Künast:)
"das Thema Mindestlohn"
(Michael Grosse-Brömer:)
"Meldegesetz"
(Renate Künast:)
"Betreuungsgeld"
Sogar das umstrittene Lieblingsprojekt der CSU soll wieder auf die Agenda – sei es nur, damit sich der Bundestag erneut damit beschäftigen muss. Schwarz-Gelb hat sich für das Betreuungsgeld ein nicht-zustimmungspflichtiges Gesetz gezimmert, indem Zusatzgesetze wie die Bildungskomponente – eigentlich Ländersache – davon entkoppelt worden sind. Das ärgert manche Bundesländer bis heute. Das Thema soll wieder auf den Tisch – und sei es nur der politischen Auseinandersetzung wegen:
"Ja, und immer wieder und dahinter wird auch die Begründung stehen, dass einige Bundesländer sagen, ihr seid dafür gar nicht zuständig."
In der Länderkammer muss eine Gesetzesinitiative ausgearbeitet werden, die dann in den Bundestag eingebracht wird. Dort kann diese entweder mit schwarz-gelber Mehrheit abgewehrt oder auf die lange Bank – also in den Vermittlungsausschuss – geschoben werden. Es wird wohl so ablaufen, denn kurz vor der Bundestagswahl und der bayerischen Landtagswahl kann sich Schwarz-Gelb nicht erneut einen öffentlichen Streit leisten.
Wie nicht anders zu erwarten, wollen SPD, Grüne und Linke über den Bundesrat auch einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde durchzusetzen. Der Entwurf für ein entsprechendes Gesetz soll schon am 1. März in die Länderkammer eingebracht werden. Dass aus dem Entwurf jedoch ein Gesetz wird, ist eher unwahrscheinlich. Denn da der Bundesrat keine Gesetzgebungskompetenz hat, muss er auch diese Initiative wieder dem Bundestag vorlegen. Die schwarz-gelbe Mehrheit dort zeigt aber bis heute kaum bis keine Sympathien für eine flächendeckende, gesetzlich festgelegte Lohnuntergrenze. Stillstand also wohl auch hier.
Ob nun also
(Michael Grosse-Brömer:)
"Verhinderungsmehrheit"
oder auch
(Renate Künast:)
"Gestaltungskraft" -
die Niedersachsen-Wahl hat für eine Verschiebung der Machtverhältnisse gesorgt. Worst Case für die Merkel-Regierung; für die Opposition die Chance, ein bisschen mitzumischen. Viel erreichen jedoch werden beide Lager bis zur Bundestagswahl im Herbst nicht. Nur die Arbeit im Vermittlungsausschuss könnte mehr werden. Das heißt: Nachtsitzungen, Verhandlungsmarathon, Geschäft und Gegengeschäft, Kompromisse – wir werden uns wohl an den Vermittlungsausschuss gewöhnen müssen - bis zum 22. September. Und vielleicht sogar darüber hinaus.
"Die von der Bundesregierung geplanten Eingriffe in die Lebensversicherungen haben wir so nicht akzeptieren können."
Gerade einmal etwas über zwei Stunden hat der Ausschuss an diesem Abend getagt. Das ist vergleichsweise kurz, denn die Sitzungen können sich auch schon einmal bis spät in die Nacht ziehen. Was die 32 Mitglieder genau hinter verschlossenen Türen besprechen, ist nicht öffentlich. Die Ergebnisse aber werden natürlich nach einer Sitzung bekannt:
"Der Vermittlungsausschuss soll, wie der Name schon sagt, zwischen dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat vermitteln. Das heißt, das wird insbesondere dann interessant, wenn es im Bundestag und Bundesrat unterschiedliche Auffassungen über ein Bundesgesetz gibt. Konkret heißt das, der Deutsche Bundestag verabschiedet mit Mehrheit ein Gesetz und im Bundesrat gibt es eine Mehrheit gegen dieses Gesetz. Dann kann das ein Fall für den Vermittlungsausschuss werden."
Erklärt der Bundestagsabgeordnete Thomas Strobl von der CDU. Er ist neben dem Bremer Bürgermeister Jens Börnsen (SPD), der die Länderkammer vertritt, einer der beiden Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses. Strobl findet es gut, dass es ein Gremium gibt, in dem unter Ausschluss der Öffentlichkeit um Kompromisse gerungen wird:
"Vielleicht ist, wenn die Fernsehkameras nicht dabei sind und die Journalisten nicht in ihre Notizblöcke schreiben, es leichter, auch vom eigenen Standpunkt etwas abzurücken. Und das ist denknotwendigerweise die Voraussetzung für einen Kompromiss, dass man von dem eigenen Standpunkt, von dem man ganz überzeugt ist, auch ein bisschen etwas preisgibt."
Seit 2009, seit unter Angela Merkel Schwarz-Gelb regiert, hat der Bundesrat den Ausschuss fünfzehnmal angerufen. Die Bundesregierung zehnmal. Neunmal häufiger als in der vorherigen Legislaturperiode. Bei der letzten Sitzung Ende Januar waren sich die 32 Mitglieder, die je zur Hälfte aus dem Bundestag und aus den Bundesländern kommen, bei der Mehrzahl der Punkte recht schnell einig: Das meiste wurde auf den 26. Februar vertagt – morgen Abend trifft sich der Vermittlungsausschuss schon wieder. Über ein Thema, so hieß es, wurde im Gremium lange und heftig diskutiert.
Es ging um die Frage: Dürfen Versicherungskonzerne zukünftig Geld aus den sogenannten Bewertungsreserven zurückhalten, wenn die Lebensversicherung eines Kunden fällig wird?
Die schwarz-gelbe Regierungskoalition sagt: Ja – und hatte das Gesetz im November im Bundestag mit ihrer Mehrheit beschlossen. Die rot-grüne Opposition sagt: Nein - und hatte das Gesetz im Bundesrat wieder gestoppt. Aber auch die Mitglieder des Vermittlungsausschusses konnten sich nicht einigen. Ärgerlich, findet Michael Meister, der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion im Bundestag:
"Wir hatten als Koalition einen Einigungsvorschlag gemacht, und das war leider im Vermittlungsausschuss nicht mehrheitsfähig."
Also: Ab mit dem Streitfall in Unter-Arbeitsgruppen. Wenn der Ausschuss morgen erneut tagt, werden die Lebensversicherungen wieder Thema sein – auf Grundlage der Vorschläge aus den Arbeitsgruppen.
Dass es bei einzelnen Vorhaben im Vermittlungsausschuss nicht sofort zu einem Kompromiss kommt, ist durchaus nichts Ungewöhnliches. Denn auch hier sitzen ja Vertreter der verschiedenen Parteien. Die 16 aus den Bundesländern entsprechend der jeweiligen Regierung. Die 16 von Bundestagsseite entsprechend der Stärke der einzelnen Fraktionen. Damit sollen auch die Kräfte-Verhältnisse der Parteien im Bundestag abgebildet werden. Spiegelbildlichkeit heißt das.
"Deutschlandfunk. Acht Uhr, die Nachrichten. Zunächst die Übersicht: Die Landtagswahl in Niedersachsen hat eine knappe Mehrheit für Rot-Grün ergeben."
20. Januar, Wahl in Niedersachsen. Das Ergebnis dort hat Angela Merkel das Regieren in Berlin erschwert.
"Ich will da auch gar nicht drum herumreden, nach so einem Wechselbad der Gefühle schmerzt eine solche Niederlage natürlich umso mehr, und insofern waren wir alle ein Stück weit traurig."
"Traurig", wie es die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende beschreibt, trifft auf den Wahlabend selbst zu, dürfte aber wohl auch eine vorsichtige Beschreibung der Gefühlslage der schwarz-gelben Koalition auf Bundesebene sein. Denn auch wenn der Sieg von Rot-Grün in Niedersachsen nur knapp war, wirkt er sich doch auf die Handlungsfähigkeit der Merkel-Regierung aus. Denn nur noch in drei Bundesländern gibt es ebenfalls schwarz-gelbe Regierungen. Das heißt: Im Bundesrat hat dieses Bündnis nur noch 15 Stimmen. SPD, Grüne und Linke dagegen kommen auf 36 von 69 Stimmen – und damit auf die absolute Mehrheit. Auch im Vermittlungsausschuss haben sich die Machtverhältnisse seit der Niedersachsen-Wahl geändert, erklärt der SPD-Politiker Thomas Oppermann:
"Wir haben eine Mehrheit im Vermittlungsausschuss, aber an diese Mehrheit muss sich die Koalition erst noch gewöhnen."
Das heißt wohl: Bis zur Bundestagswahl am 22. September kann Schwarz-Gelb zwar neue Gesetze auf den Weg bringen – doch mit ihrer neuen Mehrheit in der Länderkammer können SPD, Grüne und Linkspartei Einspruch erheben gegen alles, was CDU, CSU und FDP im Bundestag mit ihrer Regierungsmehrheit verabschiedet haben. Vor allem aber hat die Opposition seit der Niedersachsenwahl genug Stimmen, um den Vermittlungsausschuss anzurufen. Das 32-köpfige Gremium wird bis zur Bundestagswahl also häufig tagen müssen. Und weil die Opposition auch im Ausschuss eine Mehrheit hat, kann sie - wie es ihr beliebt - Einfluss nehmen auf die Tagesordnung, den Ablauf der Sitzungen und die Einsetzung von Arbeitsgruppen. Sie hat also die Macht, Kompromisse hinauszuzögern, sagt Günter Bannas, der in Berlin die politische Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung leitet:
"Die drei Bundestagsoppositionsparteien können praktisch im Moment jedes Gesetz so lange aufhalten bis zur Bundestagswahl."
Danach sind alle Gesetzesentwürfe null und nichtig. Denn alles, was bis zum Ende der Legislaturperiode nicht verabschiedet ist, verfällt automatisch. Ist der Vermittlungsausschuss in den kommenden sieben Monaten bis zur Wahl also eine Art Neben-Regierung? Nein, sagt Günter Bannas:
"Weil die Ergebnisse des Vermittlungsausschusses nur dann wirksam werden, wenn sie in beiden Kammern, im Bundestag und Bundesrat, akzeptiert werden."
Hat sich die Opposition also zu laut beziehungsweise zu früh gefreut? So sieht es Günter Bannas. Denn der Opposition wird eine ihr genehme Politik, die sie mit ihrer Mehrheit im Vermittlungsausschuss durchdrückt, wenig nutzen:
"Sogenannte unechte Vermittlungsergebnisse werden ja vom Bundestag sowieso abgelehnt. Also insofern ist die Mehrheit im Vermittlungsausschuss eine schöne und wichtige Sache, aber wenn, wie im vergangenen Dezember geschehen, der Vermittlungsausschuss Ergebnisse beschließt, die der Mehrheit des Bundestages zuwiderlaufen, dann hilft das der Bundestagsopposition auch nicht, weil diese Ergebnisse werden im Bundestag dann wieder verworfen."
Erst im Dezember hatte die Opposition dem Jahressteuergesetz im Vermittlungsausschuss einen zusätzlichen Punkt hinzugefügt und aus dem Gesetz, über das weitgehend Einigkeit bestand, ein Politikum gemacht: Neben den neuen Bestimmungen für die steuerliche Förderung von Elektroautos und die Schließung von Steuerschlupflöchern stand plötzlich im Jahressteuergesetz die Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften mit traditionellen Ehen. Stichwort: Ehegattensplitting.
Ein Tabu – bis dato für Teile der CDU und besonders für die CSU. Schwarz-Gelb ließ das Vermittlungsausschuss-Ergebnis im Bundestag prompt durchfallen.
Annehmen oder ablehnen. Eine andere Möglichkeit bleibt dem Bundestag auch nicht, wenn ein Gesetz aus dem Vermittlungsausschuss kommt, erklärt Matthias Cornils. Er ist Professor für Medienrecht, Kulturrecht und öffentliches Recht an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz:
"Das ganze Paket, dieses neu geschnürte Gesetz, wird dann dem Bundestag vorgelegt. Ohne neue Beratungsmöglichkeit, da kann also der Bundestag auch nicht wieder einsteigen in die Einzeldiskussion der Änderungen. Sondern es gilt, wenn man so will, das Prinzip: Friss Vogel oder stirb."
Wegen ähnlicher Fälle musste sich das Bundesverfassungsgericht in den Jahren 2008 und 2009 mit der Frage beschäftigen: Darf der Vermittlungsausschuss ein Gesetz um Punkte ergänzen, die zuvor weder im Bundestag noch im Bundesrat Gegenstand der Diskussion waren? Die Karlsruher Richter haben entschieden:
"Das eben ist unzulässig. Oder aber, was zulässig ist: Werden nur solche Modifikationen eingeführt, die ohnehin schon vorher Gegenstand der parlamentarischen Beratungen waren, die also als Stoff, als Material im Gesetzgebungsverfahren vorgelegen haben und deshalb dem Bundestag zurechenbar sind. Das ist eine Formulierung des Bundesverfassungsgerichts."
Der Versuch der Oppositionsparteien, die steuerliche Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften quasi durch die Hintertür ins Gesetz zu schreiben, war also zwar grundsätzlich legitim. Hilfreich bei der Suche nach einem echten Kompromiss war der Oppositionsclou allerdings nicht. Und somit hängt das Jahressteuergesetz noch immer in der Luft.
Eine vertrackte Situation. Aber nichts Neues für eine schwarz-gelbe Regierung. Auch wenn das letzte Mal schon einige Jahre zurückliegt, erinnert sich der Journalist Günter Bannas:
"Das letzte Mal war das der Fall in der Endphase der Regierungszeit von Helmut Kohl. Also 1996, '97, '98, als damals SPD und Grüne im Bundesrat die Mehrheit hatten und gegen damals Lafontaine und Schröder im Bundesrat damals nichts lief."
Bis im Jahr 1998 Gerhard Schröder Kohl auch als Kanzler ablöste und Rot-Grün die Bundesregierung übernahm. Die Freude darüber währte allerdings nicht lange. Bereits ein Jahr später, 1999, verlor Rot-Grün Hessen – und damit die Mehrheit im Bundesrat an Schwarz-Gelb. CDU, CSU und FDP hätten sich damals in der Opposition über weite Strecken konstruktiv an der Gesetzgebung beteiligt, erinnert sich Thomas Strobl, der heutige Vorsitzende des Vermittlungsausschusses.
"Beispielsweise erinnere ich mich daran, dass wir den Arbeitsmarktreformen der Regierung Schröder im Bundesrat zugestimmt haben. Ich möchte übrigens aus heutiger Sicht sagen, Gott sei Dank. Die Tatsache, dass es uns in Deutschland verhältnismäßig gut geht, vielleicht sogar sehr gut mit Blick auf andere europäische Länder, das hat etwas mit diesen Arbeitsmarktreformen durchaus zu tun. Und das ist eine gemeinsame Verantwortung für Deutschland gewesen, die man damals wahrgenommen hat. Und ich glaube, die CDU muss sich nicht schämen, damals im Interesse unseres Lands verantwortungsbewusst im Deutschen Bundestag keine Blockadepolitik, sondern eine konstruktive Politik gemacht zu haben."
Wie nicht anders zu erwarten, lobt der Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der baden-württembergischen CDU das damalige Verhalten seiner Partei. Mittlerweile jedoch sei die Arbeit im Vermittlungsausschuss, dem Strobl vorsteht, schwieriger geworden:
"Wobei es nicht nur der Ausgang der Wahl in Niedersachsen ist, sondern ich habe den Eindruck, dass die herannahende Bundestagswahl sowohl den Bundesrat als auch den Vermittlungsausschuss zunehmend parteipolitisch determiniert, also nicht mehr eigentliche Interessen des Bundes und der Länder die Debatte bestimmen, sondern es eine sehr parteipolitisch zentrierte Debatte ist."
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU Bundestagsfraktion, Michael Grosse-Brömer, formuliert deutlicher. Auch er ist Mitglied im Vermittlungsausschuss:
"Rot-Rot-Grün hat jetzt eine Verhinderungsmehrheit. Und die Frage ist, wird sie sie nutzen – schau`n wir mal."
Das Misstrauen gegenüber der Opposition, das bei Grosse-Brömer hörbar ist, verwundert nicht – sieben Monate vor einer wichtigen Wahl:
"Der Bundesrat und der Vermittlungsausschuss insbesondere sind sicherlich nicht gedacht, um parteipolitisch Politik zu machen, sozusagen über Ländergrenzen und Interessen hinweg gemeinsam mit der Opposition im Bundestag. Die Gefahr besteht zurzeit."
"Ich bin gegen Blockadepolitik, und SPD und Grüne müssen sich wirklich gut überlegen, was sie tun. Es geht hier um Deutschland und geht nicht um Parteien","
sagt auch Emilia Müller. Als Ministerin für Bundes- und Europa-Angelegenheiten vertritt sie im Vermittlungsausschuss immer wieder die Interessen des Freistaates Bayern.
""Also, ein Thema hat mich sehr aufgeregt. Das war, als blockiert worden ist, das Steuerabkommen mit der Schweiz. Weil da geht es alleine für das Jahr 2013 um neun Milliarden Euro, die die Bundesrepublik Deutschland nicht zur Verfügung hat."
SPD und Grüne – allen voran Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen und Grün-Rot in Baden-Württemberg - hatten das Abkommen im Bundesrat scheitern lassen. Weil die Inhaber nicht deklarierter Konten in der Schweiz, die keine Steuern in Deutschland gezahlt hatten, ihrer Ansicht nach viel zu billig davonkommen sollten.
Mit Blockade habe das nichts zu tun, sagt die Opposition. Und was in der CDU als gefährliche parteipolitische Dominanz beklagt wird, ist für die Fraktionsvorsitzende der Grünen, Renate Künast, positiv besetzt:
"Ein schönes Gefühl, das ist nämlich Gestaltungskraft."
Für Begrifflichkeiten wie Blockadepolitik oder Verhinderungsmehrheit hat Künast – es verwundert nicht - kein Verständnis.
"Blockadepolitik ist ja eine Unverschämtheit seitens Schwarz-Gelb. Das ist so richtig Wahlkampfgeklingel. Warum: Dann wäre ja jede Mehrheit, die irgendwo besteht, oder jede Minderheit immer mit Blockade zu versehen. Nein, das ist demokratisch so gewollt. Es drückt die Mehrheit der Landesregierungen aus im Bundesrat, weil das ihre Kammer ist, in der sie ihre Interessen vertreten. Und es ist nun mal ein Fakt, dass Schwarz-Gelb nur noch in ganz, ganz wenigen Bundesländern vorhanden ist."
Nämlich nur noch in Sachsen, Bayern und Hessen. In den beiden letztgenannten Bundesländern wird im September ebenfalls gewählt. Doch egal, wie die Landtagswahlen in Bayern und Hessen auch ausgehen werden, an der rot-rot-grünen Mehrheit im Bundesrat ändert sich so schnell nichts mehr. Selbst wenn Schwarz-Gelb in München und Wiesbaden weiterregieren können.
Auch für die Union wird sich die Situation auf absehbare Zeit nicht verbessern. Selbst dann nicht, wenn im Herbst auf Bundesebene Schwarz-Gelb abgewählt würde und die Union stattdessen mit der SPD eine Große Koalition eingehen müsste. Der Journalist Günter Bannas:
"Weil auch eine Große Koalition im Bund im Bundesrat nicht über eine Mehrheit verfügt. Sie müssen sehen, dass die Grünen mittlerweile an so vielen Landesregierungen beteiligt sind, dass sie über 29 Stimmen verfügen, das ist sehr viel mehr, als eine Große Koalition alleine im Bundesrat aufbringen würde. Das heißt, auch eine Große Koalition wäre in den nächsten Jahren – und da gilt das Jahr 2016 etwa – auf Verhandlungen und einen Konsens mit den Grünen angewiesen."
Um diese Tatsache weiß natürlich auch die Vorsitzende der Grünen Bundestagsfraktion. Renate Künast hat für Angela Merkel dann auch einen Rat parat.
"Sie wird nicht drum herumkommen, sich mit dem Bundesrat irgendwie zu einigen – wir werden den Finger in diese Wunde legen."
Anlass dafür gibt es in der noch laufenden Legislaturperiode noch genügend. Sowohl Künast als auch Grosse-Brömer fällt einiges ein:
(Michael Grosse-Brömer:)
"verschiedene Regelungen auch im Bereich der Finanzmärkte"
(Renate Künast:)
"das Thema Mindestlohn"
(Michael Grosse-Brömer:)
"Meldegesetz"
(Renate Künast:)
"Betreuungsgeld"
Sogar das umstrittene Lieblingsprojekt der CSU soll wieder auf die Agenda – sei es nur, damit sich der Bundestag erneut damit beschäftigen muss. Schwarz-Gelb hat sich für das Betreuungsgeld ein nicht-zustimmungspflichtiges Gesetz gezimmert, indem Zusatzgesetze wie die Bildungskomponente – eigentlich Ländersache – davon entkoppelt worden sind. Das ärgert manche Bundesländer bis heute. Das Thema soll wieder auf den Tisch – und sei es nur der politischen Auseinandersetzung wegen:
"Ja, und immer wieder und dahinter wird auch die Begründung stehen, dass einige Bundesländer sagen, ihr seid dafür gar nicht zuständig."
In der Länderkammer muss eine Gesetzesinitiative ausgearbeitet werden, die dann in den Bundestag eingebracht wird. Dort kann diese entweder mit schwarz-gelber Mehrheit abgewehrt oder auf die lange Bank – also in den Vermittlungsausschuss – geschoben werden. Es wird wohl so ablaufen, denn kurz vor der Bundestagswahl und der bayerischen Landtagswahl kann sich Schwarz-Gelb nicht erneut einen öffentlichen Streit leisten.
Wie nicht anders zu erwarten, wollen SPD, Grüne und Linke über den Bundesrat auch einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde durchzusetzen. Der Entwurf für ein entsprechendes Gesetz soll schon am 1. März in die Länderkammer eingebracht werden. Dass aus dem Entwurf jedoch ein Gesetz wird, ist eher unwahrscheinlich. Denn da der Bundesrat keine Gesetzgebungskompetenz hat, muss er auch diese Initiative wieder dem Bundestag vorlegen. Die schwarz-gelbe Mehrheit dort zeigt aber bis heute kaum bis keine Sympathien für eine flächendeckende, gesetzlich festgelegte Lohnuntergrenze. Stillstand also wohl auch hier.
Ob nun also
(Michael Grosse-Brömer:)
"Verhinderungsmehrheit"
oder auch
(Renate Künast:)
"Gestaltungskraft" -
die Niedersachsen-Wahl hat für eine Verschiebung der Machtverhältnisse gesorgt. Worst Case für die Merkel-Regierung; für die Opposition die Chance, ein bisschen mitzumischen. Viel erreichen jedoch werden beide Lager bis zur Bundestagswahl im Herbst nicht. Nur die Arbeit im Vermittlungsausschuss könnte mehr werden. Das heißt: Nachtsitzungen, Verhandlungsmarathon, Geschäft und Gegengeschäft, Kompromisse – wir werden uns wohl an den Vermittlungsausschuss gewöhnen müssen - bis zum 22. September. Und vielleicht sogar darüber hinaus.