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"Kein Grund zur Panikmache"

Für Wolfgang U. Eckart ist die derzeitige EHEC-Infektionswelle nicht mit Epidemien wie Cholera oder Influenza vergleichbar. Es handele sich zwar um eine "sich schnell ausbreitende, ansteckende Infektionskrankheit". Im Gegensatz zu früheren Seuchen trete EHEC aber nur lokal begrenzt auf.

Wolfgang U. Eckart im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Es bleibt also dabei: Gemüse ist gesund, aber wer derzeit in Deutschland Gemüse oder Salat isst, sollte diese Lebensmittel gründlich waschen und am besten nicht roh essen. Auch Hände waschen hilft, um sich gegen den EHEC-Erreger zu schützen. Mindestens zehn Menschen sind bereits an EHEC-Infektionen in Deutschland gestorben. Ein großer Teil der Bevölkerung verzichtet derzeit darauf, Gurken, Tomaten oder Salat zu essen, so eine aktuelle Umfrage. Von der EHEC-Angst ist mittlerweile die Rede, Boulevard-Zeitungen bezeichnen die Erkrankung längst als Darmseuche. Sind das nun unangemessene Übertreibungen und warum versetzt diese Krankheit so manchen in schiere Panik und auf was müssen wir uns einstellen? Der Medizinhistoriker Professor Dr. Med. Wolfgang U. Eckart weiß bescheid, mit ihm sind wir nun verbunden. Guten Morgen, Herr Eckart.

    Wolfgang U. Eckart: Ja guten Morgen!

    Herter: Als Darmseuche, gerade habe ich es erwähnt, werden EHEC-Infektionen schon bezeichnet. Ist diese Erkrankung tatsächlich eine Seuche?

    Eckart: Das hängt von der Definition ab. Die Definition für Seuchen gibt ja die Weltgesundheitsorganisation. Vor wenigen Jahren wäre es noch keine Seuche gewesen, heute könnte man mit der neuen Definition darüber nachdenken, ob es eventuell eine ist. Ich persönlich halte es für keine Seuche. Es ist zwar eine schnell ausbreitende, ansteckende Infektionskrankheit, aber wenn man sie mal mit den wirklichen Seuchenerregern und in der Vergangenheit mit den großen Seuchen vergleicht, mit der Pest, mit den inzwischen ausgerotteten Pocken, mit Cholera oder mit Influenza, dann fehlt ihr doch Gott sei Dank das frühere Charakteristikum, dass sie wirklich Hunderttausende, ja Millionen von Menschen betrifft und auch zu ganz erheblichen Todesopfern führt. Das alles trifft für diesen neuen EHEC-Ausbruch ja überhaupt nicht zu. Es sind lokale Ausbrüche, die überregional jetzt auch auftreten, aber von einer wirklichen Seuche im klassischen Sinn darf überhaupt nicht geredet werden.

    Herter: Darf nicht geredet werden! Gehen wir, auch wir in den Medien, falsch damit um, mit dieser neuen Krankheit?

    Eckart: Da muss man, glaube ich, unterscheiden. Die Boulevardpresse, die Sie gerade angeführt haben, geht sicherlich falsch mit diesem Phänomen EHEC um. Es besteht überhaupt kein Grund zur Panikmache. Das ist nicht der Megakiller, wie wir ihn etwa bei der Influenza 1918 hatten mit heute geschätzt etwa 35 bis 40 Millionen Toten. Das sind auch nicht die großen asiatischen Grippen. Die anderen Medien, insbesondere das Robert-Koch-Institut und die Gesundheitsämter, machen im Grunde genommen genau das Richtige: Sie informieren die Bevölkerung über das, was präventiv getan werden kann, sie informieren auch über die Zahlen. Wenn man sich die Todesfälle anschaut und auch die Betroffenheitszahlen, irgendwo im Hunderterbereich im Moment, die Todesfälle weit darunter, dann ist das richtig, dieses Vorgehen der Information. Aber es besteht überhaupt kein Anlass, Hysterien auszulösen. Das ist eine völlig verfehlte Politik der Information.

    Herter: Gleichgültig, ob wir nun an die Schweinegrippe erinnern, ob wir an Ebola-Infektionen denken, oder jetzt an EHEC, der Gedanke an ansteckende Krankheiten scheint jedes mal aufs Neue Urängste zu wecken. Woran liegt das aus Sicht des Medizinhistorikers?

    Eckart: Ja das ist eine ganz spannende Frage. Solche Seuchen werden ja konstruiert und die Urängste sind im Menschen eigentlich immer vorhanden gegenüber großen, lebensbedrohlichen oder gesundheitsbedrohlichen Effekten und Naturereignissen, vor allen Dingen aber auch menschlichen Ereignissen. Wenn man mal in die Geschichte noch des 20. Jahrhunderts guckt, dann sind es ja neben den Seuchen vor allen Dingen kriegerische Ereignisse, und wir müssen uns jetzt mal vorstellen, wir leben in einer Welt, Gott sei Dank, in Mitteleuropa und auch in Nordamerika, in der unmittelbare Kriegsbedrohung nicht vorherrscht. Aber die Menschen haben trotzdem natürliche Ängste, und diese Ängste haben sich etwa seit den 80er-Jahren zunehmend auf die Seuchen konzentriert und man erinnert sich an solche Buchtitel "Kommen die großen Seuchen wieder?", "Die großen Seuchen sind da", alles Phänomene meiner Ansicht, die von einem Shift der großen Ängste, weg von der Angst vor Kriegsbedrohung hin zu einer Angst vor Seuchen sich entwickelt. Das sind existenzielle Bedrohungsängste in einer Welt, in der solche massiven existenziellen Bedrohungen eigentlich gar nicht mehr vorkommen, und das trifft jetzt eben diesen Ausbruch von Entero-Hämorrhagischer Escherichia coli. Was die Medien gar nicht sagen ist, dass der Escherichia-coli-Keim in seiner normalen Form einen unglaublichen evolutionären Vorteil für den Menschen darstellt. Er ist in jeder Darmflora vorhanden, auch im Mundbereich, wir scheiden ihn täglich mit unseren Ausscheidungen, Darmausscheidungen aus, er ist verantwortlich als Mithelfer bei der Produktion von Vitamin K, er ist verantwortlich für die Abwehr von anderen Keimen, also im Grunde genommen ein völlig harmloser Keim zunächst, der aber die fatale Eigenschaft hat, dass er sich eben leicht genetisch verändert. Ich glaube, es gibt andere Dinge, vor denen wir uns wirklich Sorgen machen müssen.

    Herter: Welche?

    Eckart: Das sind sozusagen die Grundbedingungen, unter denen der EHEC-Ausbruch zustande kommen kann. Das ist für mich eine verfehlte europäische Agrarpolitik, die dazu führt, dass es in bestimmten Regionen Europas wie in Südspanien oder zum Teil in Süditalien, auch in Holland zu solchen extensiven Gemüseproduktionen kommt mit Handelswegen, die der persönliche Mensch, das Individuum nicht mehr nachvollziehen kann. Hier findet eine Entfremdung vom Lebensmittel und von den Lebensmitteltransportmitteln hin zum Menschen, zum Endverbraucher statt. Das hat es früher alles nicht gegeben. Wir wissen gar nicht mehr genau, wo unsere Lebensmittel herkommen, wir gehen deshalb, weil wir meinen, sie werden relativ steril und sauber produziert, auch relativ harmlos und unvoreingenommen mit ihnen um, und das ist falsch. Diese große Entkopplung von Lebensmittelproduktion und Lebensmitteltransport und dem einzelnen Menschen, noch dazu sozusagen die Discountermentalität, dass solche Gemüse möglichst billig produziert werden sollen, die führt dann dazu, dass an solchen Produktionsecken wie etwa in Spanien ein unglaublicher Konkurrenzkampf entsteht, die Preise, die Centpreise, die für diese Produkte von den Erzeugern erworben werden, steuern diese Konkurrenzsituation, und dann kann es zu solchen gefährlichen Entwicklungen kommen wie jetzt.

    Herter: Aber hinzu kommt ja noch so ein Dschungel an Zuständigkeiten, auf EU-Ebene, Bundesregierung, Bundesländer.

    Eckart: Ja.

    Herter: Ist das optimal?

    Eckart: Das ist überhaupt nicht optimal. Das ist weniger als suboptimal. Die Zuständigkeitsfrage ist, wie ich finde, auch nicht hinreichend gelöst. Jetzt wird uns suggeriert, dass da eine Alarmkette ausgelöst wird. Tatsächlich aber haben wir seit einigen Jahrzehnten kein Bundesgesundheitsamt mehr, das Robert-Koch-Institut macht das zwar sehr gut und reduziert sich auf die Prävention von Seuchen und von Infektionskrankheiten, aber eine zentrale Koordinationsbehörde für solche Phänomene fehlt eigentlich und es fehlt auch ein zentrales Regulativ für den Umgang mit solchen Ausbrüchen in der Europäischen Union.

    Herter: Sind die Krankenhäuser, ist die Gesundheitsinfrastruktur hier in Deutschland trotzdem ausreichend, um mit dem aktuellen Ausbruch fertig zu werden? Aus Hamburg werden immerhin Patienten zum Beispiel nach Hannover überwiesen.

    Eckart: Ja, sie kommt kapazitiv möglicherweise an eine Grenze, weil die Patienten, bei denen diese Krankheit ja wirklich dramatisch ausbricht – das sind Gott sei Dank immer sehr wenige -, die Intensivstationen füllen, sodass wir ein Kapazitätsproblem haben. Von der fachlichen Bewältigungskapazität her gibt es überhaupt kein Problem, vielleicht gibt es ein Kapazitätsproblem im lokalen und regionalen Bereich, was aber gut kompensiert werden kann. Auch hier besteht überhaupt kein Grund zur Panik und schon gar nicht zur Entwicklung von Szenarien, dass jetzt deutsche Patienten aufgrund einer mangelhaften Kapazität ins benachbarte Ausland, nach Holland, nach Frankreich oder wo auch immer hin exportiert werden müssen. Das ist alles barer Unsinn.

    Herter: Das sagt der Heidelberger Medizinhistoriker und Arzt Professor Dr. Wolfgang U. Eckart in den "Informationen am Morgen". Vielen Dank, Herr Eckart.

    Eckart: Ja, ich danke Ihnen.