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"Kein Jude kann Volksgenosse sein"

Am 24. Februar 1920 trug Adolf Hitler im Münchner Hofbräuhaus das 25-Punkte-Programm der NSDAP vor. Dieses Programm stellte einen Querschnitt dar durch das völkische, antisemitische, revisionistische Ideengemenge, vermischt mit antikapitalistischen Tönen.

Von Volker Ullrich |
    "Parteigenossen und Parteigenossinnen! Wenn es unserer Bewegung möglich wurde, einen so ungeheuren Wandel in Deutschland herbeizuführen, dann nur deshalb, weil an sie Hunderttausende und endlich Millionen Menschen blind glaubten und sich mit dieser Bewegung verbunden fühlten, auf Sein oder Nichtsein. Dass aber diese Millionen den Glauben an diese Bewegung hängen konnten, liegt begründet in der eigenartigen Größe ihres einstigen Programms und damit ihrer Kampfansage."

    Als Reichskanzler Adolf Hitler am 24. Februar 1937 an die Verkündung des Parteiprogramms im Münchner Hofbräuhaus 17 Jahre zuvor erinnerte, waren die Nationalsozialisten bereits vier Jahre an der Macht. Und alljährlich feierten sie nun das Ereignis vom 24. Februar 1920 als heroischen Gründungsakt ihrer Bewegung. Allerdings war der Beginn keineswegs so großartig, wie die Parteilegende glauben machen wollte. Denn die im Januar 1919 gegründete "Deutsche Arbeiterpartei", die sich erst mit der Bekanntgabe des Programms in "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei" umbenannte, war damals nur eine von vielen Splittergruppen im völkisch-antisemitischen Milieu Münchens.

    Am 12. September 1919 hatte der noch als "V-Mann" für die Reichswehr tätige Weltkriegsgefreite Adolf Hitler den Auftrag erhalten, über eine Versammlung der "Deutschen Arbeiterpartei" zu berichten. In der Diskussion meldete er sich zu Wort, und der Parteivorsitzende Anton Drexler zeigte sich von den Ausführungen so beeindruckt, dass er Hitler einlud, seiner kleinen Partei beizutreten.

    "Mensch, der hat a Gosch'n, den kummt ma braucha","

    … soll Drexler bemerkt haben. In der zweiten Septemberhälfte trat Hitler unter der Mitgliedsnummer 555 in die "Deutsche Arbeiterpartei" ein und machte sich als ihr Starredner bald unentbehrlich. Bei seiner ersten öffentlichen Rede für die Partei waren nur rund 100 Zuhörer anwesend, doch von Woche von Woche stieg nun ihre Zahl.

    An der Versammlung vom 24. Februar 1920 im Festsaal des Hofbräuhauses nahmen bereits über 2000 Menschen teil. Das Parteiprogramm, das dort verkündet wurde, umfasste 25 Punkte und war von Drexler und Hitler gemeinsam entworfen worden. Hitler hat später immer wieder auf die Originalität der programmatischen Aussagen gepocht.

    Tatsächlich unterschieden sich die 25 Punkte jedoch nicht von den Programmen anderer völkischer Gruppierungen der damaligen Zeit. An der Spitze stand die Forderung nach einem Zusammenschluss aller Deutschen in einem "Großdeutschland", nach Aufhebung des Versailler Vertrags und nach Rückgabe der deutschen Kolonien. Die antisemitische Tendenz kam bereits in Punkt vier deutlich zum Ausdruck:

    ""Staatsbürger kann nur sein, wer Volksgenosse ist. Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist, ohne Rücksichtnahme auf Konfession. Kein Jude kann daher Volksgenosse sein."

    An die Adresse der Arbeiter richtete sich die Forderung nach Verstaatlichung der Großunternehmen, nach Gewinnbeteiligung und einen Ausbau der Altersversorgung. Für den Mittelstand wurde die Kommunalisierung der Großwarenhäuser, für die Bauern eine Bodenreform verlangt. Die Forderung nach "Stärkung der Zentralgewalt", verbunden mit der Polemik gegen die "korrumpierende Parlamentswirtschaft", machte deutlich, worauf das Programm letztlich zielte: auf die Beseitigung der Weimarer Demokratie und die Schaffung einer autoritär durchregierten "Volksgemeinschaft", in der für Juden kein Platz mehr sein sollte.

    Als zweiter Redner des Abends erläuterte Hitler die einzelnen Programmpunkte. Unter den Zuhörern befanden sich auch zahlreiche politische Gegner, die ihrem Protest lautstark Ausdruck gaben. Der Berichterstatter der Polizei meldete:

    "Es herrschte oftmals ein großer Tumult, sodass ich oft glaubte, jeden Augenblick kommt es zu Schlägereien."

    Zwar wurde das Parteiprogramm 1926 für "unveränderlich" erklärt, doch dort, wo es seinem Aufstieg zur Macht hinderlich war, etwa was den proklamierten Antikapitalismus betraf, hat Hitler es stillschweigend ignoriert. Im Kern allerdings - der Revision des Versailler Vertrags, der Ideologie des "Lebensraums" und dem aggressiven Antisemitismus - blieb es verbindliche Richtschnur für die politische Praxis des Nationalsozialismus über das Jahr 1933 hinaus.