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Kein Krieg mehr, aber auch kein Frieden

Eingeklemmt zwischen Iran und Syrien bleibt der Irak auch ein Jahr nach dem Abzug der US-Truppen ein Unsicherheitsfaktor in der Region. Anschlagserien erschüttern das Land. Die Infrastruktur ist desolat. Und in der Regierung Maliki blockieren sich die Koalitionäre wechselseitig.

Von Ulrich Leitholdt |
    Unterwegs in Bagdad. Gepanzerte Fahrzeuge, bewaffnete Begleiter, Funkverkehr. Alltag für Ausländer, Politiker und Geschäftsleute in einer der gefährlichsten Städte der Welt.

    Die US-Soldaten sind weg, die Gefahr bleibt. Bis zu 250 Gewalttote im Monat - Selbstmordanschläge, fern gezündete Sprengsätze, Autobomben. Realität im Irak.

    "Das wie bei einer Ampel sinniert Journalist Shamal Aqrawi. Alle paar Sekunden ändert sich die Lage. Internationale Einrichtungen, die UNO, Diplomaten, Ausländer – alle bleiben in ihrem Hochsicherheitstrakt. Jederzeit musst Du mit Explosionen rechnen."

    Es ist nicht mehr so wie 2006 mit zehn mal so vielen Opfern durch ethnisch-religiösen Terror, gezielten Mord, Anschläge und Entführungen. Dennoch:

    "Es entwickelt sich nicht so schnell wie wir uns das wünschen. Nach wie vor haben wir im Zentrum, also in Bagdad, Sicherheitsfragen, die nicht so gelöst sind wie wir uns das wünschen würden, aber es wir von allen Seiten versprochen, dass es besser werden soll."

    Peter Mayr vom LKW-Hersteller MAN kommt regelmäßig nach Bagdad. Hier im Zentrum der Macht verschanzt sich die Regierung hinter meterhohen Betonmauern, Stacheldraht, bewacht von waffenstarrenden Sicherheitsposten an gestaffelten Checkpoints und Zufahrtssperren – die Grüne Zone, ein real-irreales Stück Irak. Hier sitzt die Regierung und hier bleibt Washington weiter präsent - 16000 offiziell als Diplomaten geführte Amerikaner in ihrer weltweit größten Botschaft.

    George W. Bush: "Die Kämpfe im Irak sind beendet, die USA und ihre Alliierten haben gesiegt."

    Mission accomplished, Auftrag erfüllt. Zwischen dem Bushs Irrtum und dem Versprechen von Nachfolger Obama liegen acht Jahre.

    Barack Obama: "Unsere restlichen Truppen sind zum Jahresende zu Hause. Nach fast neun Jahren ist Amerikas Krieg im Irak vorbei."

    Iraker hingegen zweifeln, ob der Krieg wirklich zu Ende ist:

    "Gut dass die Amerikaner weg sind. Sie haben uns alles geklaut, unsere Wissenschaftler getötet, Professoren und Fachleute verjagt. Andererseits haben sie uns von einem ähnlichen Tyrannen befreit wie Gaddafi, Saleh im Jemen oder Assad in Syrien. "

    Unsicherheit und Probleme bleiben. Über 110.000 zivile Tote, zwei Millionen Vertriebene im In- oder Ausland, anhaltende Konflikte zwischen von Saddam verfolgten Schiiten und der sunnitischen Minderheit, Gebietsstreit zwischen Bagdad und den nach mehr Unabhängigkeit strebenden Kurden – ein brisantes Erbe.

    "Es gibt Zuversichtliche, und es gibt auch Pessimisten. Alle teilen ein bisschen das Gefühl des Unbehagens und alle –wenn sie ehrlich sind- sagen: wir können die Situation nicht voraussehen was passiert."

    Martin Kobler leitet die UN-Mission im Irak. In Zeiten höchster Gewalt - von 2005 bis 2007 - war er deutscher Botschafter in Bagdad. Für ihn sind jetzt die Iraker am Zug.
    Armee und Polizei sind immer wieder Ziel von Anschlägen. Die Attentäter wollen die Staatsmacht vorführen. Sie schafft es nicht, die Sicherheitsministerien Innen und Verteidigung zu besetzen. Politischer Stillstand mit hohem Gefährdungspotenzial. Das Volk hat mit 60 Prozent Wahlbeteiligung geliefert, seine Politiker nicht.

    "Die Regierung hat einen Etat von fast 90 Milliarden Dollar – mein Bruder und ich, wir haben nicht mal fünf."

    Kriege, interne Konflikte und Sanktionen haben Iraks Infrastruktur zerstört. Milliarden für den Wiederaufbau verschwanden. Von 30 Millionen Irakern lebt ein Viertel unter der Armutsgrenze. Einem der ölreichsten Länder mangelt es am Nötigsten.

    "Kraftwerke liefern nicht genug Strom,"

    klagt Irfan in Basra.

    "Vier bis sechs Stunden am Tag, mehr nicht. Wir sind auf Generatoren angewiesen und die kosten ne Menge Geld."

    In Sommer 50 Grad, aber kein Kühlschrank, keine Klimaanlage, kein Licht. Iraker verlieren das Vertrauen in die versprochene Demokratie. Ihre Regierung kann weder für Strom, sauberes Wasser, Müllabfuhr noch ein anständiges Gesundheitswesen sorgen. Korruption grassiert, Irak steht da ganz hinten in der Weltrangliste. Juliana al-Bazi, Chefin einer Frauenzeitung, beschreibt wie es läuft:

    "Vetternwirtschaft ist ganz üblich. Man bringt die Familie bei der Firma unter, für die man arbeitet. Milliarden verschwinden einfach so in Ministerien. Das zu ändern ist ganz schwierig."

    Infrastruktur-Probleme ließen sich lösen. Öl ist ausreichend vorhanden. Doch die Anlagen sind verrottet. Keine Wartung über Jahre, Anschläge. Wenige Kontrakte wurden neu vergeben. Es gibt Streit - auch ums Öl, von dessen Erträgen Irak zu 95 Prozent abhängt.

    "Das Öl-Gesetz ist immer noch nicht verabschiedet. Es gibt ne Förderung von drei Millionen Barrel am Tag. Das will verteilt werden. Und Geld ist Macht."

    Kein Krieg mehr, aber auch kein Frieden. Wut auf die Amerikaner bestimmt noch immer viele Gefühle – man erinnert sich an willkürliche Haft, Demütigung Gefangener, nicht geahndete Todesschüsse der Bodygards von Blackwater, viele Opfer unter der Bevölkerung und uneingelöste Versprechen für ein besseres, freies Leben nach Saddam.

    "Sie waren Besatzer, mussten weg. Über acht Jahre – das reicht."

    Demokratische Ansätze blieben stecken. In der Regierung des Schiiten Maliki beäugen sich Koalitionäre misstrauisch und blockieren sich wechselseitig. Irans Einfluss wurde nicht eingedämmt, sondern ist gewachsen. Ein instabiler Irak dient seinem Machtstreben in der Region. Eingeklemmt zwischen Iran und dem Krisenherd Syrien bleibt Irak ein Unsicherheitsfaktor nach dem US-Abzug, der eigentlich, so Hillal Khashan von der Amerikanischen Universität Beirut, keiner ist:

    "Die USA werden im Irak auf Dauer präsent sein. Sie haben doch den ganzen Aufwand nicht umsonst getrieben, um dann zu verschwinden. Die USA werden im Irak bleiben so wie in Europa."

    Oder mit den Worten von US-Verteidigungsminister Panetta beim Abschied seiner letzten Soldaten in Bagdad – alles auf Anfang:

    "This is not the end – this is truely the beginning."