Archiv


"Kein Kulturthema spielte eine Rolle"

In Spanien haben die Konservativen erdrutschartig die Wahl gewonnen. Paul Ingendaay, der Kulturkorrespondenten der "FAZ" in Spanien, ist überzeugt, dass nun ein "Schuldendienst betrieben" werde und besonders im Kulturbereich eingespart werde.

Paul Ingendaay im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 21.11.2011
    Stefan Koldehoff: Irgendjemand hat ihn einmal geprägt, den Begriff von der Kultur als Sahnehäubchen-auf-der-Torte-Gesellschaft – einem süßen Beiwerk also, das es aber nur gibt, wenn der Bäcker es sich auch leisten kann. In Spanien stellt sich nun genau diese Frage. Dort haben gestern die Konservativen erdrutschartig die Wahl gewonnen, und nun stellt sich unter anderem die Frage, ob es im nächsten, von der Pleite bedrohten sogenannten "Olivenstaat", der Kulturförderung an den Kragen gehen wird. In Madrid war ich verbunden mit Paul Ingendaay, dem Kulturkorrespondenten der "FAZ" in Spanien, und an ihn geht die Frage, ob es schon Reaktionen von Kulturschaffenden und Intellektuellen gibt. Das Wahlergebnis kam ja nicht überraschend, man hatte ausreichend Zeit, Kommentare zu formulieren.

    Paul Ingendaay: Das Erstaunliche ist ja, dass die Kulturschaffenden schon seit Wochen sich geäußert haben über das nicht nur zu erwartende, sondern fast sichere Ergebnis. Der Pessimismus, die Tristesse, auch die Resignation sind seit Wochen zu lesen und sie haben sich genau erfüllt, das Ergebnis ist sogar noch schlimmer als befürchtet.

    Koldehoff: Das klingt alles sehr negativ. Welche Befürchtungen gibt es denn?

    Ingendaay: Es war ein Wahlkampf ausschließlich über die Wirtschaft. Das kann man nicht anders sagen. Kein Kulturthema spielte eine Rolle, nicht einmal die, sage ich mal, historische Aufarbeitung, die in früheren Jahren die Gesellschaft ein wenig gespalten hat, die ein Thema war. Die Identitätsmerkmale der beiden Parteien, ob jetzt Abtreibungsdebatte oder Francoismus, wie sanft geht man mit ihm noch um, mit den Resten des Francoismus in Spanien, alles das war völlig gegenstandslos, weil fünf Millionen Arbeitslose, die in der Zeit jetzt gekommen sind, von zwei Millionen vor wenigen Jahren ist eine Hypothek, die die Sozialisten nicht haben tragen können, und sie sind vor allen Dingen bestraft worden. Nicht die PP hat so viel gewonnen – sie hat gar nicht so viel dazugewonnen -, sondern die Sozialisten sind enorm mit über vier Millionen Stimmen weniger gestraft worden.

    Koldehoff: Inhaltlich wird jeder Kulturschaffende für sich in Anspruch nehmen, völlig unabhängig zu sein. Wirtschaftlich hängt man dann natürlich über Subventionen doch immer irgendwie auch am Tropf des Staates. Was wird denn in Spanien überhaupt subventioniert? Wer ist abhängig von der Politik?

    Ingendaay: Man müsste eigentlich mal den ganzen öffentlichen Bereich nehmen, sagen wir mal ruhig Bildung und Kultur. Gerade im Bildungswesen, Universitäten und Schulen, gab es schon viel böses Blut, weil ja die autonomen Regionen ihrerseits dort die Hoheit haben, und da hat die Region Madrid, auch in Händen der PP, schon sehr scharf geschossen und hat viele Lehrer entlassen, Übergangs- und Aushilfslehrer entlassen, und hat sogar Lehrer als Faulpelze bezeichnet. Dafür sind Leute auf die Straße gegangen. Auch das waren nur vergleichsweise kleine Demonstrationen, gemessen an dem, was hier in Spanien auf dem Spiel steht: Schuldenkrise und allgemeine Depression, kann man fast sagen, wegen einer Arbeitslosigkeit, die im kommenden Jahr noch einmal ein Prozent höher liegen wird, also bald bei 23 Prozent.

    Koldehoff: Und wenn wir mal konkret auf die Kultur kommen? Was ist mit Opernhäusern, Museen, was ist mit den spektakulären Großprojekten, die es in den vergangenen Jahren gegeben hat?

    Ingendaay: Die kommen jetzt wirklich schwer ins Straucheln. Ich war gerade in Santiago de Compostela, wo eine sogenannte Kulturstadt von Peter Eisenman designt wurde. Vier Gebäude von sechs stehen und die zwei ausstehenden, die den ganzen Komplex vervollständigen müssen vom Design her, die werden jetzt einfach nicht gebaut. Man wird jetzt für drei Jahre, mindestens drei Jahre, diesen ganzen Bereich abzäunen und die Spaten und die Bagger ruhen lassen und in drei Jahren neu nachdenken. Das heißt nicht, dass in drei Jahren weitergebaut wird, sondern dass man sich erst mal eine Verschnaufpause verschafft, weil die öffentlichen Kassen einfach leer sind, für das. Es wird jetzt Schuldendienst betrieben werden müssen. Dasselbe gilt in anderen Maßstäben vielleicht für öffentliche Institutionen. Der Prado etwa fängt die Verluste in den öffentlichen Kassen auf, indem er den Montag jetzt auch geöffnet hat, um einfach mehr Geld einzuspielen. Die Madrider Oper etwa, die ohnehin Abonnentenverluste von elf Prozent hat, weil das Programm ihnen zu modern ist, den Zuhörern, die wird einfach mit weniger Budget klarkommen müssen und nicht mehr ganz so grandiose Produktionen machen können.

    Koldehoff: Und für all das gibt es schon ganz konkrete Ankündigungen?

    Ingendaay: Nein. Da hat die PP und ihr Spitzenkandidat Mariano Rajoy Sorge getragen, sich praktisch gar nicht zu äußern, weil allen klar ist, dass die Schnitte kommen müssen, und zwar auf allen Fronten, und er war, glaube ich, klug. Er hat einfach das Ganze, den Ball rollen lassen und hat den Zorn benutzt, um seinen Gegner hinwegspülen zu lassen von der, muss man ja auch sagen, großen Frustration, die berechtigt ist, und er muss jetzt mit dem Votum einer sehr komfortablen absoluten Mehrheit, sogar einer historischen absoluten Mehrheit – die war so groß noch nie – das unangenehme machen: Er muss überall schneiden und er hat jetzt diese vier Jahre, um auch die Abwehr, den Ekel, die Scheu der Leute vor diesen ganzen Schnitten in Kauf zu nehmen. Dafür hat er die Mehrheit. Er muss jetzt geprügelt werden und er wird geprügelt werden, sobald er seine Mannschaft benennt und die Maßnahmen benennt.

    Koldehoff: Vielen Dank! – Paul Ingendaay über Spaniens Kultur nach der Erdrutschwahl.